Full text: St. Ingberter Anzeiger

wesen, auf 5000 Meter Entfernung unter dem 
Feuer der chinesischen Geschütze seinen Weg zu ver⸗ 
olgen. Admiral Courbet hat angeordnet, die 
französischen Schiffe sollten die Angriffe erwidern, 
sedoch niemals das Feuer zuerst eröffnen. Dadurch 
oll Thina die Veranwworlichkeit zur Last fallen für 
alle Beschädigungen neutraler Schiffe, welche die 
Schifffahrt auf dem Min wieder aufgenommen haben. 
Skierniewice, 17. Sept. Die Abreise 
Kaiser Wilhelms erfolgte pünktlich um 8 Uhr Vor⸗ 
mitiags. Das glänzende Gefolge hatte sich vorher 
auf dem Perron versammelt, während die aller⸗ 
höchsten Herrschaften in den weiten Räumen des 
Spezialbahnhofes sich herzlichst verabschiedeten. Fünf 
Minuten vor Abgang des Zuges traten die Herrscher 
zuf den Perron; Kaiser Wilhelm führte die Kai— 
serin, Kaiser Franz Joseph die Großfürstin. Beim 
Abschied küßte Kaiser Wilhelm der Kaiserin von 
Rußland den Mund, dann zweimal die Hand. Die 
Augen des greisen Hercschers waren vor Rührung 
eucht, auch die Kaiserin war sichtlich ergriffen. 
Hierauf küßte der Kaiser der Großfürstin die Hand 
und umarmte und küßte je drei Mal Franz Joseph, 
Alexander und die Großfürsten. Er sprach dann 
dem im Halbkreise versammelten russischen und 
zsterreichischen Gefolge seinen Dank für die herzliche 
Aufnahine aus. Nachdem er den Wagen bestiegen, 
rat er salutirend ans Fenster und blieb in dieser 
Stellung bis der Zug den Perron verlassen hatte. 
Die Kaiserin, die beiden Kaiser und die Großfürsten 
vinkten ihm noch mit der Hand Grüße zu. Ein 
ziermaliges donnerndes Hurrah aller Versammelten 
begleitete den scheidenden Kaiser. Kaiser Franz 
Joseph hatte vorher von jedem der Herren des 
deutschen Gefolges mit freundlichem Handdrücken 
sich verabschiedet. Als die allerhöchsten Herrschaften 
den Perron verließen, führte Franz Josebh die 
taiserin am Arme. 
Skierniewice, 17. Sept. Heute Vormittag 
10 Uhr verließ auch der Kaiser von Oester— 
re ich Skierniewice. Dieselben Personen, welche 
dem Kaiser Wilhelm das Geleite gegeben, waren 
uuch diesmal auf dem Bahnhof versammelt. 
Warschau, 17. Sept. Der Kaiser begab 
sich nach der Abfahrt des Kaisers von Oesterreich 
zur Jagd nach dem Fürstenthum Lowicz. Am 23. 
Sepfember findet die Rückfahrt des kaiserlichen 
Paares nach Peterhof statt. Wie verlautet, soll 
der Besuch des Kaisers von Oesterreich seitens des 
russischen Kaiserpaares bald erwiedert werden. Groß⸗ 
zürst Michael Nikolajewitsch ist mit seinen Söhnen 
zuf dem Zuge des deutschen Kaisers abgereist und 
egibt sich zunächst nach Amsterdam. 
Petersburg, 18. Sept. Der Kaiser er⸗ 
nannte den deutschen Kaiser zum Inhaber des be⸗ 
rühmten (37.) Ordens⸗Dragoner-Regiments und 
ordnete gleichzeitig an, daß die Offiziere dieses 
Regimentäü, sowie die Offiziere des Dragoner⸗ 
Regiments, dessen Chef der Kaiser von Oesterreich 
ist, in den Epauletten die Namenschiffern ihrer 
Thefs tragen. Der Kaiser verlieh dem General v. 
Schweinitz und dem Grafen Kalnoky den Andreas⸗ 
Orden, Graf Wolkenstein und General Werder den 
Alexander Newsky⸗Orden mit Brillanten, Graf 
Albedyll und Generallieutenant Mondel den Aleran⸗ 
der Newsky ⸗Orden, Graf Herbert Bismarck den 
Stanislausorden erster Klasse, Graf Wilhelm Bis⸗ 
marck und Klepsch den Annenorden zweiter Klasse 
mit Brillanten, dem Fürsten Radziwill den weißen 
Adlerorden. Der Kaiser von Oesterreich verlieh 
dem Grafen Wielopoläky den Orden der eisernen 
Zrone erster Klasse und schenkte dem Commandeur 
»es Herholmer ⸗Regiments eine goldene mit Bril⸗ 
lanten geschmückte Tabatiere. 
Konstantinopel, 17. Sept. Die Pforte 
sendet weilere Truppendetachements nach Albanien, 
wo zufolge der beabsichtigten Grenzregulirung mit 
Montenegro die Liga turkenfeindlich auftritt und 
iner der Chefs, ein gewisser Ali Pascha von 
Bussigne, von den Behörden verhaftet worden ist. 
— Lord Dufferin wurde in der letzten Privat⸗ 
Audienz vom Sultan sehr kühl empfangen. Auch 
zeigen die türkischen Blätter wenig Sympatbie 
ür ihn. 
Rew⸗York, 17. Sept. Aus Mexilo liegt 
die Meldung vor: Gonzales Botlschaft an den 
dongreß besagt, die vorläufige Basis der diplo⸗ 
natischen Beziehungen zu England ist sofort dem 
Zongreß unterbreitet. Die Kommisfion gehe bald 
nach China und Japan ab. Behufs Entwickelung 
)er mexikanischen Handelsinterefsen wird die Vorlage 
ines neuen Tarifs angekündigt. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 19. Sept. Am 4. Oktober 
indet eine totale Mondfinsterniß in der Zeit vor 
ind um Mitternacht statt. Bei unbewölktem Him— 
mel wird dieselbe in hiesiger Gegend gut sicht 
zar sein. 
* Wie aus dem Inseratentheile ersichtlich ver⸗ 
instaltet der Verein „Gemüthlichkeit“ am nächsten 
Zonntag für seine Mitglieder eine musikalische und 
heatralische Abendunterhaltung. 
Eine allerhöchste Entschließung vom 4. ds. 
Mts. trifft folgende zum Theil einem in der Pfalz 
ängst gehegten Wunsche entsprechende Bestimmungen: 
1) Das 11. Infanterie⸗Regiment tritt zur 1., das 
k. Jäger⸗Bataillon zur 2. Infanterie-Brigade über. 
2) Das Infanterie⸗Leibregiment hat sich in Zukunft 
aus dem ganzen Königreiche zu rekrutiren. Von 
den hiezu auszuwählenden Mannschaften muß wenig 
tens die Hälfte 1m 75 em und darüber, der 
Rest mindestens Im 70 em groß sein, wobei nur 
rusnahmsweise bis zur Gröhe von 1Im 67 cm 
serabgegangen werden darf. Bei der Aushebung 
ieser Leute kann von der regelmäßigen Reihenfolge 
er Loosnummern im Sinne der 88 65,14 und 72,5 
er Ersatz Ordnung abgewichen werden. Dagegen 
— 
leiche Befugniß durch deren Umwandlung in schwere 
teiter als erloschen zu erachten. 3) Die Land— 
vehr⸗Bataillons⸗Bezirke Traunstein und Wasserburg 
ehen — erstere unter gleichzeitiger Verlegung des 
andwehrbezirks-Kommando's Traunstein nach Rosen⸗ 
eim — an das 11. Infanterie-Regiment, die 
andwehrbataillons-Bezirke Regensburg und Strau⸗ 
iing an das 13. Infanterie -Regiment über. 4, 
Ddas 8. Infanterie-Regiment erhält den Bezirk des 
. Armeekorps als Ergänzungs-Bezirk zugewiesen; 
ie Landwehrbataillons-Bezirke Speyer und Kaisers⸗ 
autern gehen an das 17. Infanterie-Regiment, die 
randwehrbataillons-Bezirke Landau und Zweibrücken 
in das 18. Infanterie-Regiment über. 5) Von 
den vorstehenden Bestimmungen treten die im Ab— 
atz 2 und 3 der Ziffer 2 enthaltenen sofort, die 
ibrigen am 1. April 1885 in Kraft. 6) Das 
driegsministerium hat die hiezu erforderlichen Voll⸗ 
zugsbestimmungen zu erlassen. 
Eine wichtige Enscheidung für Brauer hat 
das Reichsgericht getroffen. Die Klärung von Bier, 
velches nach seiner Herstellung eine ungehörige 
Trübung zeigt, mit Gelatine, Hausenblase oder 
nittelst eines anderen Klärungsmittels, welches 
einerlei Einfluß auf die Substanz und die Zusam⸗ 
nensetzung des Bieres äußert, ist nach einem Ur— 
heile des Reichsgerichtes erlaubt. Weder sind der— 
irtige Klärungsmittel als Malzsurrogate im Sinne 
zes bayerischen Malzaufschlaggesetzes, noch als Ver—⸗ 
alschungsmittel im Sinne des deutschen Nahrungs⸗ 
nittelgesetzes zu betrachten. 
„*„— Aus Niederwürzbach erhalten wir 
zie Nachricht, daß daselbst der dortige Herr Lehrer Peter 
Wolf heute früh nach längerem Leiden verstorben 
st. Der Verstorbene war bei Lebzeiten wegen seiner 
ortrefflichen Eigenschaften als Lehrer und Bürger 
eine allgemeine geachtete und beliebte Persönlichkeit. 
Er wird nicht blos in der Gemeinde Niederwürzbach, 
der er lange Jahre ein treuer Führer und Lehrer 
var, sondern bei Allen, die ihn kannten, in ge— 
egnetem Andenken bleiben. 
— Zweibrücken, 18. Sept. Das hier gar⸗ 
nisonirende 2. Bataillon k. b. 18. Inf.Regts. trifft 
don den in Mittelfranken stattgehabten Manövern 
am Samstag früh wieder hier ein. 
— Kübelberg, 15. Sept. Am 9. d. M. 
konnte man dahier beim sog. Begraben der Kirch⸗ 
weihe (was ein alter Brauch ist) eine seltene Tän— 
zerin sehen. Es tanzte nämlich eine Frau, die das 
38. Lebensjahr bereits zurückgelegt hat, mit ihrem 
Schwiegersohn einen Schottisch. Das Gesicht des 
teinalten Mütterchens glänzte dabei in freundlichem 
Lächeln. Am Schlusse, beim Weggehen nach ihrer 
Wohnung, meinte sie: „Ach, wenn die Musikanten 
doch nur einen schönen Walzer aufgespielt hätten!“ 
Beneidenswerthes Alter!“ 
— Kandel. GGrenzenlose Zerstreutheit!) Kürz 
ich Morgens 11 Uhr ging eine Frau zum Brun⸗ 
nen, um Wasser zu holen. Als sie dachte genug 
u haben, wollte sie es wie gewöhnlich auf den 
dopf nehmen. Aber wie groß war ihr Erstaunen, 
ils sie statt ihres Kübels — einen leeren nassen 
dorb in den Händen hatte! Während des Pum; 
ens riefen ihr sogar Kinder zu: „'laft jo dorch!“ 
SZie pumpte aber immer zu, bis sie dachte, der 
Kübel könne jetzt voll sein. Schamroth zog sie nich 
zurück, da sie viele Zuschauer hatte. (Tf. 8 
— Mutterstadt, 17. Sept. Ein große, 
Unglück traf gestern Vormittag die Familie desz 
hiesigen Landwirthes Philipp Kunz II. Der sehr 
brave und fleißige Vater, ein Mann von Anfonge 
40 Jahren, holte in der Scheuer Heu und fiel 
dabei so unglücklich von oben in die Tenne, daß 
er bewußtlos zu Bette gebracht wurde und trotz 
sofortiger Hilfe zweier Aerzte heute früh seinen 
Verletzungen erlag. Sowohl der Verunglückte 
vie auch seine schwerbetroffene Familie fiunden all. 
gemeine Theilnahme. 
Pfälzisches Schwurgericht. 
III. Quartal 1884. 
Zweibrücken, 16. Sept. Nachm. 3 Uhr: Verhand— 
ung gegen Ktatharina Feir, 22 J. a., Dienstmand von 
Stambach, jetzt in Zweibrlcken. Anklagesache: Versuͤch des 
dindsmords. Vertreter der k. Staatsbehörde: Hr. III 
Staatsanwalt Wagner; Vertheider: Hr. Rechtsanwalt Gink. 
Der Angeklagten liegt auf Grund der Anklage zur Laft, 
am 16. Juni Ifd. Is., Abends gegen 10 Uhr, in Blies— 
rastel, wo sie in Diensten stand, auf dem Aborte der Woh— 
aung ein Kind männlichen Geschlechtes geboren und dasselbe 
gleich nach der Geburt in die Abortsgrube geworfen zu 
haben, um dasselbe zu tödten. Durch dritte Personen wurde 
das Kind entdeckt, aus der Abortsgrube herausgeholt und 
oe die Bemühungen des k. Bezirksarztes am Leben er— 
alten. 
Die Angeklagte gibt die ihr zur Last gelegte That reu⸗ 
müthig zu, behauptet aber, nicht die Absicht gehabt zu 
jaben, dem Kinde das Leben zu nehmen; sie habe damals 
ohne alle Ueberlegung gehandelt. 
Die k. Staatsbehörde führte aus, durch die gemachten 
Beweiserhebungen und das Geständniß der Angeklagten sei 
dieselbe des ihr zur Last gelegten Verbrechens vollständig 
übecführt und müsse hiewegen unter allen Umständen ver— 
urtheilt werden. Auch könne angesichts des ganzen Ver— 
haltens der Angeklagten vor und nach der Geburt keine 
Rede von mildernden Umständen sein. 
Dem gegenüber stellte die Vertheidigung auf, die An⸗ 
geklagte habe den Vorsatz der Tödtung des Kindes n emals 
gehabt. Sie habe sich nur vor der momentanen Entdeckung 
ichern wollen. Sie habe die Absicht gehabt, das Kind 
später wieder zu holen und zu erhalten. Es fehle demge— 
mäß das Hauptrequisit der Kindestödtung — nämlich der 
Vorsatz, und sei deßhalb die Angeklagte freizusprechen, even⸗ 
tuell seien doch, falls die Angeklagte für schuldig erkannt 
werden würde, jedenfalls mildernde Umstände vollauf gegeben. 
Die Geschworenen sprachen die Angeklagte für schuldig 
unter Annahme mildernder Umstände, worauf der Gerichts⸗ 
hof dieselbe in eine zweijährige Gefängnißstrafe verurtheilte 
Zweibrücken, 17. Sept., Vormittags 8 Uhr. Ver— 
handlung gegen Bernhard König, 20 J. a. ledig, Ackerer 
don Harthausen. Anklagesache: Meineid. Vertreter der 
t. Staatsbehörde: Hr. IU. Staatsanwalt Schneider; Ver— 
heidiger: Hr. Rechtsanwalt Gedbhart. 
In der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 1884 wurdt 
in Harthausen in der Nähe der Wohnung des Angeschul⸗ 
»igten der ledige Franz Becker von Hanhofen von rücd— 
värts, ohne daß er Etwas ahnte, mit einem Prügel derart 
nuf den Kopf geschlagen, daß er dewußtlos zusammenstürzte. 
Weder von ihm selbst, noch von seinen Begleitern wurde 
der Thäter erkannt. Die Gendarme rierecherchen waren 
ohne Erfolg, weßhalb das k. Amtsgericht Speyer im Juni 
l. Is. um eidliche Vernehmung der Zeugen und Verhör 
er Verdächtigen ersucht wurde, was auch durch den kgl. 
Oberamtsrichter Schäfer von Speyer geschah. Dabei er⸗ 
jaben sich starke Verdachtsgründe gegen den ledigen Heinrich 
Frank von Harthausen, einen Kameraden des Angeschaldigten. 
Zuletzt wurde auch der Anzellagte als Zeuge vernommen. 
Als solcher gab er an, daß er den Frank nicht habe schlagen 
jehen, odwohl feststand, daß er ganz in der Nahe war. Er 
wollte vielmehr den Frank nur bis an die Wohnung 
einer eigenen Eltern begleitet und ihn da verlassen haben. 
Ebenfalls verschwieg er, daß er von Frank der That nach— 
zängig erfahren hatte, daß letzterer wirklich der Thäter war. 
Durch das Geßändniß des Frank wurde die Schuld des 
Ungeklagten offenbar, und dieser selbst erklärte bei einer 
päteren Vernehmung vor dem k. Oberamisrichter, daß er 
die Wahrheit nicht vollftändig gesagt hade. 
Die Anklage erblickt hierin ein Verbrechen des Meineids, 
weßhalb der Angeklagte vor das Schwurgericht verwiesen 
wuroe. 
In der heutigen Hauptverhandlung wiederholte derselbt 
die Angaben, die er zulezt in Speyer vor dem k. Ober⸗ 
amtsrichter gemucht hatte, und fügte hinzu, er habe sich und 
seinen Freund Frank nicht belasten wollen. 
Der k. Staatsanwalt stellt auf, der Angeklagte habe bei 
seiner ersften Vernehmung vor dem k. Oberamäisrichter von 
Speyer am 20. Juni 1884 zu Harthausen, also vor einer 
zur Abnahme von Eiden zuständigen Behbrde, wissentlich 
den vor seiner Vernehmung geleisteten Eid durch faljches 
Zeugniß verletzt, und koͤnne von einer Fahrlassigkeit nich! 
die Rtede sein. Er beantrage daher Bejahung der ersten, 
auf Meineid gerichteten Frage. Ob der Üngeklagte durch 
seine Aussage sich selbst belaftet halte, stelle er dem Ermessen 
der Geschworenen anheim. Auch ein sosortiger Widerruf 
sei unter den obwaltenden Umständen ausgeschlossen. 
Die Rertheidiguug plaidirte in erster Linie auf Ver— 
neinung der Schuldfrage wegen Meineids. Sie führte aus 
daß höchstens Fahrlässigkeit angenommen werden könnte. 
Wuͤrde jedoch die Schuidsrage nach Meineid bejaht, so musst 
der mildere Gesichtspunkt angenommen werden, daß der 
Angellagte sich seldst beschuldigt hätte, wenn er richtige An · 
zaben gemaͤcht hätie. Jedenfalls aber müßte Das dem 
Angeklagten zu Gute gehalten werden, daß er sofort jeine 
mrichtige Angabe an zuständiger Stelle widerrufen habe.