Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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20. Jahrg. 
Politische Ueberficht. 
* Der Reichstag erledigte im Verlaufe seiner 
Freitags Sitzung in erster Lesung den Antrag 
Horsch, nach welchem die Verhandlung über die Be— 
rufung gegen ein schöffengerichtliches Urtheil auch 
dann stattzufinden hat, wenn ein Angeklagter vor 
dem Berufungsgericht zur Hauptverhandlung ohne 
genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, sowie 
den Antrag Payer auf eine durchgreifendere 
Ermäßigung der Gerichtsgebühren. 
Letzterer fand auf allen Seiten des 
Hauses sympathische Aufnahme. Die 
Regierung schwieg. Man darf daraus wohl 
schließen, daß die Vertreter derselben nichts gegen 
den Antrag einzuwenden hatten. 
Der Reichstag verwies am Samstag den Ge—⸗ 
setzentwurf betreffend Ergänzung des Gerichts- 
berfassungsgesetzes an eine vierzehngliedrige Kom— 
mission. 
Fürst Bismarck hält jetzt fast täglich dem 
saiser Vortrag. Diese Thatsache ist auffällig 
lefunden worden und man hat bereits große Dinge 
ginter derselben vermuthet; auch die neuen deutschen 
Erwerbungen in Westafrika sind mit den häufigen 
Konferenzen des Kaisers und seines Kanzlers in 
Verbindung gebracht worden. Ohne Zweifel nehmen 
die kolonialpolitischen Fragen den Fürsten Bismarck 
gegenwärtig stark in Anspruch. Indessen hat sein 
regelmäßiges Erscheinen im Kabinet des Kaisers 
einen andern Grund. Fürst Bismarck vertritt 
nämlich den erkrankten Staatssekretär Grafen 
hatzfeldi. Er hat den größten Theil der lau— 
fenden Geschäfte auf seine Schultern genommen, 
und es erwächst ihm daraus naturgemäß eine 
Steigerung der Arbeitslast, die es wohl auch hin⸗ 
teichend erklärt, daß er dem Reichstage fernbleibt. 
Mit der Führung der Präsidialgeschäfte der afri— 
sanischen Konferenz ist der Unterstaatssekretär Dr. 
Busch betraut. Der Reichskanzler hat seit Wochen 
keiner Sitzung der Konferenz präsidirt. 
Ein offiziöser Berichterstatter meldet der „Schles. 
Ztg.“, daß Fürst Bismarkksich zur Zeit recht 
angegriffen fühle und daß man glaube, er werde 
sich von den Geschäften für einige Zeit zurückziehen. 
Trotz der eminenten Arbeitskraft des Unterstaats⸗ 
jekretärs Dr. Busch ist der Fürst⸗-Reichskanzler in 
Folge der Beurlaubung des Grafen Hatzfeld in 
letzter Zeit mehr als gewöhnlich zur Erledigung der 
laufenden Geschäfte des Auswärtigen Amtes heran⸗ 
gezogen worden. 
Käpitän Josef Fredicks, der Beherrscher von 
Bethanien in Südafrika, hat wie die „Weserztg.“ 
mittheilt, durch Vertrag vom 28. Oklober 1884 
auch Bethanien unter den Schutz des deutschen 
Reichs gestellt. 
Einem Privatbriefe aus Bagida vom 28. Dez. 
entnimmt die „Wes.⸗Ztg.“, daß auch in diesem deui⸗ 
schen Schutz gebiede die Verhältnisse eiwas besorg⸗ 
nitzerregend geworden sind. Der deutsche Konsul 
wurde thätlich angegriffen und die deutsche Flagge 
»on Negern insultirt. Es ist zweifelhaft, ob diefen 
Ausschreitungen Einzelner ein großes Gewicht beizu—⸗ 
gen ist, aber es ist Thatsache, daß die dortigen 
Deutschen sich beunruhigt fuͤhlen und lebhaft nuch 
der Ankunft eines deutschen Kriegsschiffes sehnen, 
das den Negern Respekt einflößen sann! Diese er— 
auben fich Uebergriffe in Bezug auf das Grund⸗ 
eigenthum der Deutschen und bleiben zur Zeit un— 
gestraft. In der hinter der englischen Stadt Quittah 
zenden Negerbevölkerung zeigen sich auch Spuren 
der Unruhe und man glaubt, daß ein Angriff auf 
die Stadt nicht ausgeschlossen ist. 
Die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten 
Staaten nimmt sehr überhand. Nach den amt⸗ 
ichen Fabrikberichten von 21 Staaten ist die Zahl 
zer unbeschäftigten Arbeiter auf 316000 festgesetzt, 
»och dürfte dieselbe auf 350,000 taxirt werden 
önnen. Es wären danach von 9 Indufrrie— 
Arbeitern je 1 brodlos. Die Berichte stellen fest, 
»aß auf allen Produktionszweigen ein Druck lastet. 
Ddie Eisen-Industrie weist die größte Ziffer der 
Urbeitslosen auf, circa 80,000 von 420,000 Eisen- 
Arbeitern. Die Abnahme der Beschäftigungen unter 
den Spinnern und Webern ist noch größer und stellt 
ich auf 27 pCt. (35,000 Personen); weitere 44,000 
Arbeiter sind in der Bekleidungs⸗Industrie brodlos. 
Durch die neuesten Streiks sind 18,000 Personen 
rwerbslos geworden. Etwa 9000 davon sind Kohlen⸗ 
zräber in Ohio, Jowa, Tennessee und Pennsylvanien; 
in Ohio ist im Hockingthale ein wirklicher Nothstand 
usgebrochen. — Der auf der Industrie lastende 
Druck hat die Bildung von Gewerbe⸗ resp. Gewerk⸗ 
»ereinen sehr gefördert und im Allgemeinen haben 
diese Vereine auch gute Erfolge erziehlt, wenigstens 
sind in den Ortschaften, wo solche Vereine bestehen, 
die Arbeiter⸗Entlassungen und Lohnherabsetzungen 
nicht so bedeutend gewesen. — Wie lange diese 
Nothstände noch andauern werden, ob überhaupif 
emals eine durchgreifende Besserung eintreten wird, 
ind Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind; 
aber obige Zahlen dürfen an die deutschen Arbeiter 
die Mahnung richten, die Auswanderung zu unter⸗ 
lassen, wenn sie nicht eine feste Aussicht auf Stel⸗ 
lung hinüberführt. 
Deutsches Reich. 
Müunchen, 9. Februar. Der Generalsekretär 
des Landwirthschaftlichen Vereins, Prof. May, hat 
auf Grund von Zusendungen aus verschiedenen Gegen⸗ 
den des Königreichs die durchschnittlichen Produktions- 
osten für Getreide wie folgt ermittelt: 1Ctr. Weizen 
MN. 7,82, 1 CEtr. Roggen M. 7,80, 1 CEtr. Hafer 
M. 6,09, 1 CEtr. Gerste M. 5,46. Damit werde 
die Thatsache konstatirt, bemerkt Prof. May, daß 
die gegenwärtigen niedrigen Preise für Weizen und 
Roggen zum Mindesten auf das Niveau der Pro« 
»uklionskosten gesunken sind und daß in Ermange— 
ung erhöhter Getreidezölle namentlich die Weizen⸗ 
ind Roggenproduktion statt entsprechenden Gewinn 
erheblichen Verlust zur Folge haben muß. 
Berlin, 9. Febr. Die heutige Versammlung 
»on Vertretern der Seestädte nahm Resolutionen 
an, welche sich gegen die Erhöhung der Getreidezölle, 
owie gegen eine vrocentuale Börsensteuer aussprechen. 
Ausland. 
Paris, 9. Februar. Es ist keine Befürchtung 
vegen ernstlicher Ruhestörungen vorhanden. Eine 
jenügende Anzahl von Polizisten verhindern auf 
em Opernplatz und dem Boulevard jede Menschen- 
insammlung. In mehreren Kasernen sind die 
Truppen konsignirt. — Die Regierung hat heute 
Morgen Nachrichten übher einen neuen Sieg des 
Henerals Brière erhalten. 
Rom, 9. Februar. Der Ministerrath hat 
beschlossen, 20 000 Mann nach dem Sudan zu 
senden und einen Credit von zwanzig Millionen 
dire von den Kammern zu verlangen. 
Rom, 9. Februar. Gestern Abend fand ein 
Ministerrath statt. Der Marineminister erhielt 
iachfolgende Depesche des Admirals des italieni⸗ 
chen Geschwaders aus Suakin vom 8. d. M.: 
Ich habe mit den Schiffen „Amerigo Vespucci“, 
„Gottardo“ und „Garibaldi“ am 5. d. Mts. vor 
Massauah Anker geworfen, Truppen und Mateosen 
ausgeschifft und die italienische Flagge an der egyp⸗ 
ischen Küste aufgehißt. 
Nom, 9. Februar. Nachrichten aus Su akim 
besagen, Admiral Cuimi landete einen Theil seiner 
ital.) Streitkräfte widerstandlos und wurde von 
den Eingeborenen freundlich aufgenommen. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 10. Februar. Morgen 
findet dahier unter Leitung des Herrn Hauptlehrers 
dagenbucher für die Schuͤldiensiexspektanten 
der beiden Kantone St. Ingbert und Blieskastel 
die erste besondere Fortbildungskon— 
ferenz pro 1885 statt. 
* St. Ingbert, 10. Februar. Von dem 
zestrigen Jahrmarkte dahier läßt sich nicht viel 
agen. Einige Küferei- und Schuhwaaren nebst 
etlichen anderen Kleinigkeiten, das war so ziemlich 
UAlles, was zu haben war. 
— Laut Regierungsbeschluß an die Distrikts⸗ 
schulinspektoren der Pfal z wurde denselben eröff⸗ 
net, daß die öffentlichen Jahresschlußprüfungen an 
den Volksschulen mit dem 23. April d. Irs. be—⸗ 
endigt sein müssen, wobei die neue und jedenfalls 
praktische Bestimmung ist, daß der Anfang hiezu 
edem Einzelnen der Inspektoren überlassen bleibt, 
'ndem die Zahl der ihnen unterstellten Schulen den 
Ausschlag gebe, ob der Beginn dieser Prüfungen 
rüher oder später festzusetzen sei, um dieselben dor 
Schluß des Schuljahres erledigt zu haben. Ebenso 
ȟrfte es in Lehrerkreisen nicht uninteressant sein 
zu hören, daß man von höherer Stelle ausdrüclich 
den Wunsch aussprach, nur bei außerordentlichen 
deistungen in der Schule die Note J zu ertheilen. 
Bezüglich der Erstkommunikanten wird erwähnt, bei 
denselben in der letzten Woche ihrer Vorbereitung 
je nach Bedürfniß für den besonderen sogenannten 
Pfarrunterricht und im Einvernehmen mit ihrem 
betreff. Herrn Pfarrer in Bezug auf Schulbesuch 
ine angemessene Berücksichtigung obwalten zu lassen. 
— Zweibrücken, 9. Februar. Auf bden 
hütern der prot. Kirchenschaffnei Zwei— 
rüsccken wird seit einigen Jahren eine sehr schöne 
Berstensorte gebaut, Pedigres genannt. Diefelbe 
ieferte sehr hohe Erträge, hat ein prachtvolles 
Aussehen und eine vorzügliche Keimfahigkeit. Wegen 
ieser hervorragenden Eigenschaften ist sie für 
Brauerei- und Brennereizwecke sehr geeignet und 
s kann der Anbau derselben in unserer Gegend 
iur empfohlen werden. Schon auf dem landwirth⸗ 
chaftlichen Feste in Oberauerbach erregte sie die 
Aufmerksamkeit aller Festgäste und wir halten es 
m Juteresse aller Landwirthe unseres Bezitkes, auf 
die Gerstensorte wiederholt aufmerksam zu machen. 
Behört doch gerade die Brauergerste zu denjenigen 
Betreidearten, für die sich ein günstiges Absatzfeld 
zietet. Auch sind Boden und Klima des Bezirks 
Zweibrücken dem Gerstenbau günstig. Wie wir 
vernommen. hat die Kirchenschaffnei ungefähr 20