Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert.
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165.
Montag, 24. August 1888.
20. Jahrg
Die Erwerbung der Karolinen⸗
—
Politische Uebersicht.
zu liefern und die große Masse des russischen
Volkes gleichgiltig zu lassen. Die Liberalen Ruß
lands müßten mit geistigen Waffen kämpfen und
die nihilistischen Ideen aus ihrem Ideenkreise ver⸗
hannen. Ob diese Mahnung an die noch vorhan⸗
denen Nihilisten etwas hilft, muß freilich abge⸗
wartet werden.
Inseln durch Deutschland.
* Das Befinden des Kaisers ist an—
pauernd ein gutes und kann sich derselbe täglich
den laufenden Regierungsgeschäften widmen. Am
etzten Freitag hatte der türkische Botschafter Said
hJascha die Ehre, von dem Kaiser in besonderer
Zrivat Audienz zur Ueberreichung, eines Hand⸗
chreibens des Sultan empfangen und bald darauf
zur kaiserlichen Tafel gezogen zu werden, zu welcher
außerdem auch der türkische General Hobe Pascha
der Staatssekretär des Aeußern Graf von Hazzfeldt,
die Staatsminister Dr. Friedberg und Dr. Lucius,
der deutsche Botschafter in London Graf Münster
u. s. w. mit Einladungen beehrt worden sind.
Man bringt diesen Vorgang vielleicht nicht mit
Unrecht in Verbindung mit der egyptischen Frage,
welche auf den Vorschlag Deutschlands durch ein
gemeinsames Vorgehen der Türkei und Englands
ihre Lösung finden soll.
Als vor einigen Tagen die Nachricht bekannt
purde, daß die deutsche Regierung. von den Karo⸗
linen · Inseln im Stillen Ocean Besizz ergriffen habe,
wurde sofort von Madrid aus die Ansicht geltend
gemacht, daß Spanien ältere Rechte auf die Inseln
jabe. Bei der großen Umsicht, welche indessen der
deutsche Reichskanzler in der Kolonialpolitik ent⸗
jaltet, mußte von vorn herein bezweifelt werden,
daß diese Angabe Spaniens stichhaltig sei. Von
panischen Zeitungen, zumal von solchen, welche
der gegenwärtigen Regierung Spaniens feindlich
zesinnt sind, wurden natürlich die Hetzereien gegen
Deutschland wegen der angeblichen Verletzung
panischer Rechte fortgesetzt, inzwischen hat aber die
panische Regierung zugeben müssen, daß sie bis
etzt eine thatsachliche Besitzergreifung der Karolinen⸗
Inseln nicht vollzogen, sondern nur versucht hat.
)eutschland besitzt also sehr wohl das Recht, diese
serrenlosen Inselchen des Stillen Oceans als sein
kigenthum zu erklären. Den Spaniern kann wohl
nachgerühmt werden, daß sie vor mehr als drei⸗
hundert Jahren, wahrscheinlich im Jahre 1526 die
darolinen⸗Inseln entdeckt, aber sonst sich nicht weiter
um dieselben bekümmert haben. Uebrigens ist auch
nicht einmal die ganze Inselgruppe von den
„paniern entdeckt und befahren worden, sondern
dies geschah erst zu Anfang dieses Jahrhunderts
durch den russischen Kapitän Lütke, aber auch die
Russen haben sich auf den Karolinen-Inseln nicht
estgesetzt. Die Karolinen⸗Inseln sind übrigens gar
ücht besonders werthvoll, sie bestehen zwar aus
ast fünfzig Inselgruppen, die Inselchen sind aber
neistens kleine, geringwerthige Koralleninseln und
zählen insgesammt nur 6 Quadratmeilen Flächen⸗
mhalt mit ungeführ 25,000 dem mikronesischen
Menschenstamme an gehörenden Einwohnern. Einzelne
Inseln sind allerdings werthvoll, zumal die fünf hoch⸗
elegenen Palau, Eap, Ruk, Ponape und Kusaie. Diese
ind gut bewässert und haben eine herrliche Vege⸗
ation. Außerdem wären als größere Karolinen⸗
Inseln noch Mapia im Süden, Ulutsi im Norden
und Tobi im Westen zu nennen.
In Bezug auf Kolonie-Gründungen würden
diese Inseln nun wohl nur nebensächlich in Frage
ommen, wahrscheinlich hat die deuische Regierung
aber die Absicht auf den Karolinen-Inseln bedeu—
tende Schiffsstationen zu errichten, die für unseren
Schifffahrtsverkehr mit den fernen östlichen Welt⸗
heilen von großer Wichtigkeit sind. Uebrigens soll
auch der Fang von Fischen und Schildkroöten auf
nigen Inseln der Karolinengruppe sehr lohnend
in und sind dieselben auch eine beliebie Siation
ür die Waldfischsanger. Die KarounenInseln
wären daher auch nach der wirthschaftlichen Seite
sin eine nicht gerade zu verachtende Erwerbung für
den deutschen Unternehmungegeist. Die Vewohner
ꝛer flachen Inseln sind zumeist zutraulich und
steundlich und dahbei friedliebend, geschikt und be⸗
daht. Sie haben seit fast 100 Jahren einen un⸗
unterbrochenen Verkehr mit den Bewohnern der
Jachbarinseln gefuhrt und sich sogar in neuester
deit auf diesen niederzulassen angefangen. Dagegen
gelten die Bewohner der hohen Inseln für unruhiger
e kriegslutiger. Ihre Verbindungen mit den
kuropäern datiren erst aus der neueren Zeit.
*Die englische in der afghanischen
Grenzfrage hartbedrängte Regierung
kann erleichtert aufathmen, denn nicht nur Londoner
sondern auch Petersburger Zeitungen melden, daß
die russische Regierung nach Empfang einer an Ort
und Stelle aufgenommenen Spezialkarte der afgha⸗
nischen Grenze sich entschlossen habe, auf die Ein—
verleibung des Zulfikarpaßes zu verzichten. Damit
wäre nun auch der letzte Zankapfel in der afgha⸗
nischen Frage beseitigt.
Deutsches Reich.
*In politischen Kreisen kursirt ein
Gerücht, wonach der deutsche Reichskanzler Fürst
Bi⸗marck, der russische Minister v. Giers und der
englische Minister Marquis v. Salisbury eine Zu⸗
'ammenkunft haben würden, um über die Regelung
des afghanischen Grenzstreitcs eine endgiltige Ver⸗
einbarung. zu treffen. Der unerquicklichen Lage
dieses Grenzstreites entsprechend dürfte man sich in
London wie in Petersburg wohl micht ungern der
Bermittelung Deutschlands bedienen, doch muß ersi
noch die Bestätigung obiger Nachricht abgewartet
werden.
Berlin, 22. August. In der heutigen fünf—
stündigen Plenarsitzung der Telegraphen ⸗Konferenz
wurde, nachdem Fribourg (Frankreichj die ganzen
sehr verwickelten Kommissionsverhandlungen mit
großer Klarheit und Präcifion dargelegt, die An⸗
nahme des einheitlichen Tarifsystems beschlossen.
Von 25 Staaten stimmten 21 mit Ja, 4 enthielten
sich wegen noch nicht eingetroffener Instruklion der
Abstimmung. Eine verneinende Stimme wurde
überhaupt nicht abgegeben. Oesterreich ⸗Ungarn,
Rußland, England, Frankreich,! überhaupt alle
europäischen Staaten, ausgenommen obige vier
A Deutschland.
In etwa acht Tagen findet die zweite Lesung statt.
Prinz Wilhelm von Preußen, welcher am
24. Sept. zum Besuche des österreichischen Kron⸗
prinzenpaares in Wien eintrifft, wird auch auf
einige Tage in Begleitung des Kronprinzen Rudolf
und der Kronprinzessin Stefani nach Eudapest
gehen, um die ungarische Landesausstellung zu be—
fichtigen.
* Der Gesundheitszustand in Mar⸗
seille hat sich verschlimmert, es sterben dort
täglich gegen 200 Menschen an der Cholera und
trifft deßhalb die französische Regierung Maßregeln,
um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern.
2* In gewissen Kreisen der spanischen Be⸗
völkerung haben unzufriedene Parteiführer
wegen der angeblichen Wegnahme der Spanien
zehörenden Karolinen-Inseln durch Deutschland eine
Deutschenhetze angefacht, der man durch eine Volks—
demonstration in Madrid die Krone aufsetzen will.
Das Ziel dieser durchsichtigen Agitationen ist in⸗
dessen viel weniger gegen Deutschland als gegen
die gegenwärtige spanische Regierung selbst gerichtet,
die durch jene Affaire discredidirt werden soll.
Hoffentlich bewahrt die spanische Regierung in
dieser Angelegenheit kaltes Blut und zeigt weder
aach oben, noch nach unten eine Schwäche, sonst
koͤnnte ihr auf dem politisch unterminirten Boden
Spaniens die Existenz sauer gemacht werden. Hin⸗
zugefügt darf werden, daß wegen der Karolinen⸗
Inseln zwischen Deutschland und Spanien von
leinem Konflikte, sondern nur von einer Meinungs⸗
verschiedenheit die Rede sein kann. Auch hat
Spanien zugestanden, daß es noch keine festen Be⸗
itztitel auf die Karolinen⸗Inseln bis jetzt besaß,
Aso Deutschland dieselben wohl behalten wird.
Ausland.
Wien, 22. August. Laut offizieller Nachricht
nehmen an der Kaiser-Entrevue in Kremsier das
dsterrreichische Kaiserpaar, der Kronprinz, Erzherzog
Karl Ludwig, Minister Kalnoky, Sektionsche
Szogyenyi, zwei Hofsekretäre, Ministerpräsident
Taaffe mit zwei Funktionären, Minister Orczy und
Botschafter Wolkenstein Theil.
MKairo, 28. August. Der egyptischen Re—
gierung ist die telegraphische Nachricht zugegangen,
daß es in Berber zu blutigen Zusammenfisßen ge⸗
lommen ist und daß die Vevölkerung, welche dem
heftigsten Mangel an Lebensmitteln ausgesetzt ist,
äch der öffentlichen Kassen bemächtigt habe.
Lokale und pfälzische Nachrichten.
*Sti. Ingbert, 24. August. Heute, Mon⸗
tag, Abend feiert der hiesige Kriegerverein
das Allerhöchste Geburts · und Namensfest mil einer
Reunion in dem Lokale des Wirthes Best in der
alten Bahnhofsstraße.
N St. Ingbert, 24. August. Gestern
feierte der neugeweihte Priester Herr Nikolaus
Jung in der hiesigen katholischen Pfarrkirche seine
Primiz. In feierlicher Prozession, voran die ge⸗
jammte Schuljugend sowie die Bergkapelle, wurde
der Primizient an seiner elterlichen Wohnung in
der Nenweiler Straße abgeholt und zur Kirche ge⸗
leitet. Die Straßen, durch welche sich der Zug
* Im russischen Reiche scheint die revo—
jutionäre Propaganda der Nihilisten that—
ächlich im Niedergauge begriffen zu sein. Eine
Ktorrespondenz eines „Eingeweihten“ aus Zurich
hetont dies ausdrücklich und erklärt, daß das anar⸗
histische Vorgehen der Nihilistensweiter keinen Zweck
gehabt hätte, als einen Theil der die Freiheit
sebenden russischen Jugend auf die Schlachtbank
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