Full text: St. Ingberter Anzeiger

der mit einem Militär eine Nachenfahrt von der 
Stadt aus nach Longeville unternommen hatte, 
wobei der Nachen bei ziemlich hohem Wasierstand 
und fiarker Windströmung dem Absturze des Weh⸗ 
res zu nahe kam und mil seinen Insassen in die 
brausende Tiefe geschleudert wurde. Dem Soldaten 
ein Einjahrig⸗Freiwilliger im 8. bayrischen Infan⸗ 
terieregiment, gelang es, sich an eine seichte Fluß⸗ 
stelle und ans Ufer zu retten. 
fAus dem Rheingau, 15. Mai. Ueber 
den gegenwärtigen Stand der Weinberge unseres 
Gaues läßt fich im Allgemeinen Gutes berichten; 
der Frost hat nur hie und da in den tieferen 
Lagen den jungen Trieben geschadet. — Im Ge⸗ 
schäfte ist weniger Verkehr. Der Verlauf der dies 
jährigen Weinversteigerungssaison namentlich ist 
ein sehr lauer im Großen Ganzen; überhaupt find 
eben feinere Sachen weniger begehrt. Die relativ 
höchsten Preise erzielte bis jetzt der Fürst von 
Lowenstein für seine 1884er hallgarter und rauen⸗ 
thaler Weine. Eine hochinteressante Kollektion 
mittlerer, feiner und gar allerfeinster Gewächse von 
allgemein bewunderter Qualität brachte die A. 
Wilhelmische Güterverwaltung zu Hattenheim zur 
Auktion. Diese Verwaltung besitzt belkanntlich 
nächst der königlich preußischen Domäne das um—⸗ 
fangreichste Weingut im Rheingau, in den besseren 
und besten Lagen von Rauenthal, Rüdesheim 
Oestrich, Hallgarten, Aßmannshausen, Markobrun— 
nen ꝛ⁊c., aus ihrem reichen Bestande brachte fie u. 
A. zwei Viertelstück 1889er Hochgewächse, wie 
Aehnliches gegenwärtig wohl nur die Kabineiskellen 
von Johannisberg und Eberbach in ihren Edel⸗ 
weinen noch bergen. Indessen nur die 1859e⸗ 
Hochheimer Auslese ging ab und zwar 4500 Mt. 
per 800 Liter; die beste Rauenthaler Auslest 
brachte es per 300 Liner auf 4950 Mark, wofür 
jedoch nicht zugeschlagen wurde. Alle übrigen 
Nummern fanden lebhaften Zuspruch und wurden 
mit äußerster Coulanz seitens der Verwaltung zu⸗ 
geschlagen. 
FFrankfurt, 18. Mai. Am letzten Sams⸗ 
tag fand auf der Rennbahn des hiesigen Bichcle⸗ 
Klub ein Wettfahren zwischen zwei Professions⸗Ve⸗ 
lozipedisten statt; es ist dies das erste Fahren 
dieser Art, welches in Deutschland vor sich ge⸗ 
gangen, denn nach den Rennbestimmungen des 
deutschen Radfahrerbundes dürfen solche, welche aus 
dem Radfahren einen Erwerb machen, an den von 
von den letzteren veranstalteten Rennen nicht theil⸗ 
nehmen. Der Bicycle Klub dürfte daher den 
Herren Fred. de Civry, Champion von Frankreich 
„Exchanpion der Welt“, und H.O. Duncan, „50 
Meilen Champion der Welt“, seine Bahn auch nur 
zu einem Privatmatch zur Verfügung stell en. Das 
Rennen ging über eine Distanz von 30 Kilometer 
(75 Runden); als Preis hatte jeder Bewerber 
1000 Mt. eingesezt. Hert O. Duncan blieb 
Sieger. 
F(Ddas Münster in Ulm.) Die Arbeiten 
werden mit Eifer fortgesetzt. Mit einem Aufwande 
von 1,700,000 Mk., weiche theils aus öffentlichen, 
theils aus privaten Mitteln flossen, ist das Münster 
bon außen und innen seiner ursprünglichen Anlage 
gemäß würdig und solid hergestellt. Nachdem die 
Fundamente der Wandmauern verstärkt, sammtliche 
Strebepfeiler und Bögen, die beiden Seitenthürme, 
der Chorumgang stattlich errichtet, die Nebenschiffe 
mit Eisen und Kupfer bedacht worden find und im 
inneren Raum die Verschönerung stetigen opfer⸗ 
willigen Fortgang genommen, auch die Freilegung 
des Domes in weitem Umfang stattgefunden hat, 
ist nun an den Rumpf des Hauptthurmes die 
Hand gelegt, um mit seiner Erhebung das ganze 
Werk zu vollenden und somit das bedeutendste 
Denkmal der späteren Gothik auszuführen. Die 
Rosten biestr hat der Münsterbaumeister Professor 
Beyer auf 1,473,600 Mt. berechnet. Seit einem 
Jatre ist die Bauhütte mit dem Oktogon beschäftigt. 
Dasselbe bekommt eine Höhe von 36 Meter und 
heute sind schon weithin fichibar etwa 10 Meter 
daran aufgesetzt; nach drei Jahren soll die Pyra⸗ 
mide vollendet sein und der höchste protestantische 
Dom Deuitschlands, das Münster in Ulm, ragt mit 
seinen 160 Metern Höhe in die Lüfte. — Zur 
Erlangung der Mittel werden 1886 und 1887 
die letzten zwei Lotterien ausgegeben werden, die 
zur Thurmvollendung je eiwa 450,000 Mark 
übrig lassen. Die erste Ziehung findet schon am 
AID 
— Aus Bayern. Die I18jährige Tochter 
a Mussers bon Schwobeck in mit dem QLnecht 
ihres Vaters durchgegangen. Der feurige Liebhaber 
ist verheirathet und hat sechs Kinder, für die zu 
sorgen ihm nie am Herzen lag. Am Freitag er— 
hielt der Müller von seiner Tochter einen Brief 
aus Ulm, worin sie ihrem Vater anzeigt, daß die 
Beiden schon zwei Jahre sparten, sich aus purer 
Liebe einigten und ihr Glück in Amerika versuchen 
wollten. 
F Ein singender Pudel produzirt sich 
in der gegenwärtigen Meßzeit im Krystallpalast zu 
Leipzig. In einem Referate der „L.N.“ heißt 
es über die wunderbaren Leistungen dieses Pudels: 
„Was Herr Tholen (ein Ofenrohr⸗Euphonium⸗ 
Birtuos) seinem vierbeinigen mufsikalischen Schüler 
auf der Klarinette vorträgt, singt dieser mit Ge⸗ 
schick nach; es sind wehmuthsvolle, sentimentale 
Triller einer Hundeseele, langgezogene musilalische 
Seufzer einer harmonisch austönenden Hundestimme; 
namentlich die Fisteltöne gelingen dem genialen 
Pudel ausgezeichnet. Seine Textaussprache ist eine 
durchaus klare und wohlartikulirte.“ 
F Fine liebens würdige Schilde⸗ 
dung der drei Kameruner giebt in einem in 
einer Dresdener Zeitung veröffentlichten Briefe 
der bekannte Bonvivant Carl Sonntag, der nach 
Beendigung seiner Gastspielsaison in Berlin sich 
auf einer Vergnügungsreise befindet und bei dieser 
Gelegenheit den drei schwarzen Landsleuten begeg 
net ist. Er schreibt: Heute (Sonntag, den 16.) reise 
ich von Hannover ab, um meine alten Freunde 
in Schwerin wieder einmal zu besuchen. Zehn Stun 
den braucht man und sechs fährt men — die 
übrige Zeit wird auf Bahnhöfen und Wartesälen 
vertrödelt; in Buchen allein zwei Stunden. Ick 
habe mich noch nie in meinem Leben gelangweilt 
denn das beste Gegenmittel ist Lektüre, aber nie 
habe ich mich auf einem Bahnhofe besser unterhal 
ten, als heute in Buchen. Drei Matrosen der 
kaiserlichen Marine, Kameruner, warteten mit ihrem 
Vorgesetzten dieselbe Zeit und waren natürlich das 
„Merkziel der Betrachterꝛ. Sie waren umringi 
don Gaffern, zu denen auch ich die Ehre hatte zu 
zehören. und gaben auf jede Frage mit einer himm 
lichen Geduld Antwort, ließen sich auch jeden seit 
einem halben Jahrhundert hergebrachten „Witz“, 
wie den vom „Abfärben“, „echt in der Wolle“ ꝛc 
gefallen, gingen sogar, die anderen ironisirend, da⸗ 
rauf ein. Fünfzig Mann dienen bei uns, drei 
davon sind seit April in Europa. Ihr sehr freund⸗ 
licher Vorgesetzter, den ich nach seiner Marine— 
Charge fragte, sagte: „Der Titel ist zu lang, um 
ihn zu behalten — ich bin, war in der Armee 
„Sergeant“ ist. Dieser Führer reiste mit ihnen 
bon Kiel nach Berlin, wo sie dem Kaiser vorgestellt 
verden sollen. Er konnte nicht genug ihre Intelli⸗ 
zenz und Guthmüthigkeit rühmen. Alle Kameraden 
zaben fie gern, und ihren Vorgesetzten sehen sie 
die Befehle schon vorher an den Augen ab. Der 
Ausdruck ihrer Gesichtszüge ist unendlich gutmüthig 
and ihr Benehmen gegen die Kinder war reizend 
Zwei sprachen wenig Deutsch, der Dritte sehr gut. 
Er laß mir im Wartesaal eine Stelle aus einer 
Zeitung vor, daß ich kaum glauben kannte, daß er 
erst seit einem halben Jahr deutschen Unterrich 
habe. Seine Handschrift soll gleichfalls sehr gut 
sein. Als ihn, wie immer bei solcher Gelegenheit 
die Frauen und Mädchen am tollsten umringten, 
rief er plötzlich: „Ich möchte gern eine 
Weiße heirathen, welche von Ihner 
vill mich?“ worauf großes Gelächter, aber 
instweilen keine Entscheidung folgte: Wir blieben 
eine halbe Stunde im Freien, der Wind pfiff bei 
10 Grad; fie hatten ihre Matrosenhemden an, die 
Brust ganz frei, aber auf die verschiedenen Fragen: 
„Frieren sie denn nicht?“ antworteten sie immer 
ubelnd: „Nein, Nein!“ Kurz, es war interressant 
und angenehm, mit diesen liebenswürdigen Menschen 
zu verkehren, und der Bahnhof von Buchen ist seit 
heute in meiner Achtung jsehr gestiegen. 
— Ein Unbekannter aus Frankfurt a. M. hat 
der Kirche des Dorfes Schoͤn haussen (Bismarcds 
Beburtsort) jetzt eine große Schenkung, bestehend 
in den zum heiligen Abendmahle ꝛc. gehörigen Ge— 
zäßen: Weinkanne, Kelch, Teller und Dose ꝛc. 
iberwiesen. Die aus dem feinsten Gold und Silber 
gearbeiteten Geräthe sind mit der Motivirung über⸗ 
reicht, daß die späteren Geschlechter Kunde davon 
haben, daß einst der Reichskanzler hier geboren 
und daß seine Verdienste überall anerkannt wor⸗ 
den sind. 
F Einen eigenthümlichen Akkord hat 
d⸗n Alft Nachr“ ifnalge ein Gastmirtb in Olen— 
sen mit einem dortigen Einwohner abgesch 
Letzterer, ein täglicher Gast in der beir. Dn 
und ein tuchtiger viertrinler hat in üchetce 
mung mit dem Wirth diesem eine — 
300 Mk. bezahlt, wofür dieser verpflichtet ist vo 
Gast auf die Dauer eines Jahres so viel Bie de 
verabreichen, wie ihm zu trinken beliebt. t) 
7 Gestrafte Neugierde.) Die — 
einer Berliner Zimmervermietherin war so 
gierig, daß sie die Möbel in den Zimmern 
Chambregarnisten offnete, um Briefe u. dergl 
studiten. Alles Verbieten half nichts. din 
Tages machte sich das Mädchen an die Oe 
einer Kiste im Zimmer eines Studenten, aber 
sie das bewerkstelligt, sprang ihr eine — * 
Ratte ins Geficht. Das Madchen fiel in 9 
Ohnmacht, aus der sie erst mit ärztlicher o 
wieder erweckt werden konnte. Die Wirthin 
digte dem Studenten sofort das Zimmer und vet 
langt Bezahlung des Arztes, widrigenfalls sie d 
Staatsanwaltschaft von dem Vorfall Anzeige macht 
will. Der Student dagegen bewahrt seine Ruh 
und verlangt seine entlaufene Ratte wieder, da 
im andern Falle die Miethe nicht bezahlen wil 
GWer hat Lust 30,000 Mk. zu erben?) Ma 
schreibt aus Stettin: „In Europa liegt da 
Geld zwar nicht gerade auf der Straße, aber 
scheint doch noch immer mehr vorhanden zu sei 
als verlangt wird. Beweis: das öffentliche Aue 
bieten von herrenlosen Vermögen. Rechtsanwb 
Engelke, Paradeplatz 21, macht nämlich folgende 
bekannt: „In Sachen betreffend die Pflegschef 
des Nachlasses des am 12. August 1885 hierselb 
im Schwennstift verstorbenen Buchhandlungsgehilfe 
Johann Louis Alexander Haase bringe ich als ge 
richtlich bestellter Nachlaßpfleger hierduich zur öffent 
lichen Kenntniß, daß bis jetzt niemand seine Vet— 
wandischaft mit dem Verstorbenen nachzuweisen 
vermocht hatte. Ich wiederhole daher die Anfor 
derung an die unbekannten gesetzlichen Erben de 
Louis Haase, sich unter Nachweis des Grades ihre 
Verwandtschaft bei mir zu melden. Hagse ist ge— 
boren am 7. August 1821 zu Stettin und kir 
Sohn des damaligen Sergeanten des 9. Linien⸗ 
Infanterie⸗Regiments (Colberg'sches) Johann Jakol 
Haase und seiner Ehefrau Marie Elisabeth Luis⸗ 
geb. Reppin. Der Nachlaß im Werthe von meh 
als 830,000 Mt. ist bei der hiesigen kgl. Regierun 
hinterlegt!“ Also mögen die Haasen und Reppint 
und ihre Sippe sich aufmachen; für 30,000 Mi 
ist's schon der Mühe werth.“ 
F Aus der Schweiz. In mebhrerer 
Kantonen find die Bierpressionen gänzlich verboten 
so in Waadt und Luzern; eine von luzernischer 
Brauern und Bierwirthen beim Bundesrath einge 
reichte Bitt⸗ oder Beschwerdeschrift wurde mit den 
Bescheid abgewiesen, daß durch dieses Verbot de 
Bierausschank nicht beeinträchtigt werde. 
F (GDas Telephon als Wecker.) Seil 
einiger Zeit benutzt man in Lüttich das Telephor 
als Wecker. Die Sache ist so eingerichtet, daß 
man das Telephonamt benachrichtigen kann, wenn 
man um eine bestimmte Nacht⸗ od. Morgenstunde ge 
weckt zu werden wünscht. Das Telephonamt nimm 
von dieser Bestellung Notiz, und zur bestimmter 
Stunde ertönt das Glöcklein des Apparates dem 
Abonnenten so laut und vernehmbar ins Ohr, daf 
er aufwachen muß. Das Leuten hört erst dang 
auf, wenn der Abonnent die Antwort ertheilt. daß 
der Auftrag ausgeführt sei. 
fkDie fünfhundertjährige Gedenk 
feier der Schlacht bei Sempach und der Tol 
Arnolds von Winkelried witt jetzt im ganzer 
Schweizerland in den Vordergrund des öffentlicher 
Interresses. Die Feier soll am 9. Juli beganger 
werden. Es wird tapfer vorgearbeitet in Poesie 
und Prosa, in Aufforderungen zur Beiffeuer fur 
eine Winkelried⸗Stiftung,. die den Zwed haber 
soll, arbeitsunfähige Laudwehrmänner oder die Hin 
jerbliebenen der im Dienste verunglückten Vatet- 
landsvertheidiger zu unterstuten, sowie ein National 
Denkmal auf dem Schlachtselde zu errichten. Be 
dieser Gelegenheit wird nun die Frage lebhaft er 
ortert: Han ein Arnold Winkelried wirklich geleb 
und mit seinem Herzblut bei Sempach der dFreihei 
eine Gasse und den Eidgenossen einen Weg in n 
eisenstarrende Wand feindlichen Ritter gebffnet 
—A— 
Wilhelm Tell schon langer fertig; fie derweift ih 
als sagenhafte Gestalt aus ihren Annalen; aus 
dem Herzen des Volkes aber wird fie ihn un 
hannen und er wird leben, so lange es eine krei