Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Inudherter Anzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
7 Et. Jugberter Anzeiger? erscheint wbchentlich fuufmalz Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungt⸗ 
*8 Sonntagß ui Ssfeitiger iluftrirter Seilage. Das Blatt Lostet vierteljährlich 1A 60 A einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 1.4 78 4, einschließliq 
Zallelungtgebuhe. Die Eiuruckungsgebühr sur die 4gespaltene Sarmondzeile oder deren Raum beträgt bel Inseraten aus der Pfalz 10 —, bei außerpfältischen und solche 
auf welche die Erxpedition Audkunft ertheilt, Iß dñ, Neelamen 80 . Bei 4maliger Eiurtickung wird mur dreimalige berechnet. 
A ioöß. 
Montag, 31. Mai 1886. 
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Iahrg. 
Bestellungen 
auf de 
„St. Ingberter Anzeiger“ 
für den Monat F 
Jun i 
vehmen fortwährend an: die Postanstalten, die 
holtboten, die Umträger und 
Die Exynedition. 
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Auslaud. 
In Seeazeville, läßt sich die „Str. P.“ 
aus Paris schreiben, riecht es jetzt stark nach der 
rothen Revolution. Die Anarchisten werden von 
Tag zu Tag gewaltthätiger. Ein großer Theil der 
Arbeiter hat, durch Hunger und Entiäuschungen 
beinflußt, das regelmäßige Tagewerk wieder aufge⸗ 
nommen, und wenn diese besseren Elemente durch 
Truppen und Polizei unterstützt würden, so wäre 
der Streik bald zu Ende. Aber da liegt der Haken! 
Die Anarchiften bieten jetzt ihre letzten Kräfte auf 
um den Bezirk nicht zur Ruhe kommen zu lassen; 
die Attentate und Angriffe auf die „Abtrünnigen“ 
werden so haäufig, daß die Blätter nur noch zu⸗ 
sammenfassend davon Vermerk nehmen. 
Nom, 29. Mai. Der ‚„Diritto“ betrachtet 
n einem bedeutsamen Leitartikel die Wiedereinrich 
zung der russischen Flotte im Schwarzen Meer 
und die Reden in Moskau als Anzeichen großer 
Veranderungen, als Vorboten eines Krieges zwischen 
Desterreich und Rußland, der nur durch Rüchicht 
auf die ehrwürdige Gestalt des deutschen Kaisers 
verhindert werde. Brache dieser Krieg aus, dann 
müsse Italien eine Politik verlassen, die ihm den 
Verlust seines Einflusses und seiner Handelsvor⸗ 
theile im Orient, die Erhaltung der päpfilichen 
Macht und seinem König die Beleidigung eines 
nicht erwiderten Besuches eingetragen hätte. 
Ueber die Arbeiterunruhen in Italien liegen 
folgende weitere Nachrichten vor: 
„Wie die „Perseveranza“ meldet, hat in Faenzo 
die sozialistische Bewegung die ganze Provinz wie 
ein eiserner Ring umfaßt. Ausschreitungen, Stra⸗ 
zenkämpfe mit zahlreichen Verwundungen und Massen⸗ 
Arretirungen seien alltägliche Erscheinungen. Auch 
in der Provinz Forli sei die Gaährung in der Be— 
völkerung eine ungemein tiefgehende. Die Nach 
richten aus Trani lauten dagegen beruhigender 
Aus Turin wird dem „N. W. Tgbl.“ gemeldet 
„Die sozialistische Bewegung nimmt trot stattge 
jabter Ausweisung von weit über 3000 Arbeitern 
hesorgnißerregende Dimensionen an. In Mantuq 
verden große Vorbereitungen zum Empfange der 
am Sonntag anlangenden gewählten sozialistischen 
Deputirten seitens der radikalen Partei getroffen. 
Es ist ein Fackelzug beabsichtigt, den die Polizei, 
falls keine Ausschreitungen vorkommen, nicht stören 
wird.“ 
Die bulgarischen und die oftrumeli— 
schen Wahlen ergaben eine erdrückende Mehr⸗ 
heit für die Regierung. In einigen Städten kam 
es zum Straßenkampfe zwischen Regierungs⸗ und 
Rufsenfreunden. — Bei der in Burgas entdeckten 
Verschwörung gegen den Fürsten und seinen Pre— 
mierminister hatten nachweislich Russen ihre Hände 
im Spiele. 
Konftantinopel, 29. Mai. Bis gesterr 
Abend fanden an der griechisch- türkischen Grenze 
aoch kleinere Zusammenstöße statt. Bisher betrugen 
die amtlich festgestellten Verluste der Türken 180 
Todte, die Vecrluste der Griechen sollen stärker sein. 
300 griechische Gefangene sind in Salonichi einge⸗ 
bracht worden. 
(Anarchistenprozesse in Amerika.) 
In dem Prozesse gegen Johann Most und Genossen 
hat der Gerichtshof in NewVYork gegen Most und 
wei andere Anarchisten das Schuldig ausgesprochen. 
Dost hat dagegen die Appellation eingelegt. Zu—⸗ 
zleich ift auch die Grand Jury in Chicago zusam⸗ 
nengetreten, um über die dortigen Aufrührer zr 
Bericht zu sitzen. Es isf gegen Spieß,. Schwab 
Fielden und 3 andere anarchislische Führer die An⸗ 
klage auf Aufreizung zum Morde und gegen 10 
oder 12 andere die Anklage wegen Anstiftung zu 
Verschwörung und Aufruhr erhoben. Auch in San 
Franzisko wurden kürzlich 3 Anarchisten während 
sie im besten Zuge waren, eine Menschenmenge zu 
Gewaltthaten aufzuhetzen, verhaftet. Der üller⸗ 
wüthendste war der Pole J. P. Rudeizky. Derselbe 
forderte seine Zuhbrer geradezu auf, nach dem Rob— 
Hill zu marschiren, die Paläste von Stanford, 
Crocker und Flood zu plündern und die Schätze 
derselben unter sich zu vertheilen. In einer Roaͤ— 
lasche des Burschen fand man zwei Moss'sche Pamp⸗ 
phlete (.Die Eigenthums-Bestie“ und Ganzliche 
Vernichtung — das einzig unfehlbare Heilmittel“). 
Die Sozialisten widersetzien sich ihrer Verhaftung 
und die Polizisten mußten von ihren Knüppelũa 
Zebrauch machen. Einer der Gefangenen, A. J. 
Warren, wurde von dem Pöbel den Polizisten em⸗ 
rissen, von diesen aber wieder zurückerobert 
Deutsches Reich 
München, 80. Mai. Die „Allgemeine 
„eitung“ weist auf die sensationslüsternen, tagtäglich 
zruen Versionen einer gewissen Tagespresse über 
die königliche sabinetskasse hin, durch 
pelche die schon ohnehin großen Schwierigkeiten der 
dage in wenig patriotischer und taktvoller Weise 
woch vermehrt würden. Das Blatt ist aus bester 
Zuelle ermächtigt, die neuerliche Münchener Meld⸗ 
ing eines Wiener Blattes, daß der Plan einer 
Regentschaft des Prinzen LCuitpol d am 25. dso. 
r reif zur Ausführung erklärt worden sei, für 
mwahr zu erklären. 
zZur Lage in Bahyern wissen die „M. 
L“ zu berichten, daß S. M. der Koͤnig an 
verschiedene Personen die Anfrage hat richten lassen 
b fie gewillt seien, ein neues Ministerium zu 
ilden. Bis jetzt haben die Betreffenden sämmtlich 
blehnend oder ausweichend geantwortet. Auch in 
den ultramontanen Kreisen, welche eine verftändigt 
holitik befürworten, besteht allgemein die Anficht, 
baß das Ministerium Lutz auf seinem Posten blei⸗ 
jen werde und müsse; die Meldung der klerikalen 
donau⸗ Ztg.“, „daß gerade Persönlichkeiten, die 
ich in der angesehensten politischen und sozialen 
Stellung befinden und prinzipiell mit der patrio⸗ 
ischen Partei vollkommen einverstanden sind, in 
der gegenwärtigen Lage dem Ministerium Lutz 
gegenüber zum Mindesten eine wohlwollende Neu⸗ 
wralität beobachtet wissen wollen“, entspricht durch⸗ 
aus den Thatsachen. Wenn gewisse ultramontane 
Intransigenten jetzt das „Ministerstürzen“ wieder 
inmal theoretisch betreiben, so entspricht diese Be— 
chaftigung dem unstillbaren Zuge ihres eigenen 
derzens nach Ministerportefeuilles. 
Darmstadt, 29. Mai. Die zweite Kammer 
gahm das Gesetz betreffend die Unterbringung ver 
wahrloster Kinder, mit allen gegen 7 Stimmen an. 
darauf fand Vertagung der Kammer statt. 
Das Vermögen der Kaiser⸗Wilhelm— 
ztiftung für deutsche Invaliden ist seit 1871 
nfolge der siarken Ansprüche gewaltig zusammen 
eschmolzen, und beträgt jetzt nur noch 104 839 M, 
sufolgedessen müssen die Gaben reduzirt werden. 
Aus bester Quelle theilt die „N. Würzb. 3.“ 
mt, daß Fürst Bismarck auch in dieser Saison 
reabsichtigi. Bad Kissingen zu besuchen. 
Das preußische Abgeordneienhaus geneh ⸗ 
uigte in seiner Donnerstagesitzung in zweiter Lesung 
dn Gesetzentwurf detreffend die Heranziehung der 
Militärpersonen zu den Gemeindeabgaben und nahm 
ner in dritler Lesung die Kanalvorlage, sowie 
Eun Beitrag Preußens zum Nordostseelanal und 
vb Gesetz uͤber die schwebende Schuld an. 
Aufgrund des Sozialistengesetzes sind gestern in 
Arlin drei Arbeiterinnen; Vereine geschlossen 
rden. 
Lokale und pfalzische Nachrichten. 
*St. Ingbert, 81. Mai. Gestern Nach⸗ 
nittag hatte die hiesige Bergkapelle im Becker'schen 
Barten für die Knappschaftsangehörigen ein Kön— 
Jert veranstaltet, das von denfelben recht zahlreich 
besucht war. Die Leistungen der Kapelle fanden 
bei den Zuhorern lebhaften Beifall. 
— Annweiler, 28. Mai. (ßPf. Volks- 
ztg.) Gestern Abend wurde die 5 Jahre alte Evo 
Laur durch Fuhrmann Christian Kleih hier über⸗ 
fahren. Der Tod trat nach kurzer Zeit ein. 
—.Landau, 28. Mai. Dem Herrn Be⸗ 
zirlsrabbiner Dr. Elias Grünebaum dahier, dessen 
z0jahriges Dienstjubiläum am 28. Juni feierlich 
degangen werden wird, wurde von Sr. Maj. dem 
Konig das Ritterkreuz 2. Klasse des k. Verdienst⸗ 
ordens vom h. Michael verliehen. 
— Hettenleidelheim, 28. Mai. Heute 
wurde die Dienstmagd Margaretha Sch o traus 
Wattenheim, welche dei Herrn A. Kayser hier, dem 
früheren Bürgermeister, in Diensten steht, wegen 
Kindsmordes verhaftet. 
— Die „Gegenwart“ erfährt aus sicherer 
Quelle, daß das ia Kirrweiler verbreitele Ge. 
rücht über eine stattigebabte Vergiftung des am 26. 
ds. unter eigenthümlichen Erscheinungen verstorbenen 
diahrigen Knaben jeder Begründung entbehri. 
— Neustadi, 28. Mai. Der gestrige Slurm 
richtete in der Thalsiraße einen ziemlich großen 
Schaden an. Er warf nämlich die Giebelmauer 
der Wirthschaft ‚Zum Deutschen Kaiser“ des Herrn 
Schützle auf des Nachbars Dach, und dieses ist 
durch die ungeheure Wucht des Sturzes theilweise 
zusammengebrochen. Verietzt wurde Niemand. 
(N. 3. 
— Speyer, 28. Mai. Seine Majestät der 
sönig haben den Landrath der Pfalz zu einer 
außerordentlichen Versammlung an den Sitz der 
Kreisregierung einzuberufen geruht. Derselbe der⸗ 
sammelt sich heute, Montag, den 31. dss. Vormit⸗ 
zags 11 Uhr in der Aula der kal. Studienanstals 
dahier. 
— Grünstadt, 28. Mai. Eben wurde der 
Einnehmereigehilfe Huber von Albsheim a. E. ver. 
jaftet und hinter Schloß und Riegel gebracht. 
Demselben liegt zur Last, 700 Mk. zum Nachtheil 
der hiefigen Einnehmereikasse unterschlagen zu haben, 
welches er dadurch bewerkftelligt haben soll, daß er 
an den in den Büchern eingestellten Betragen die 
erste Ziffer ausradiert hat. Die erhe Manißusaker