Full text: St. Ingberter Anzeiger

legene Ruine Rodenstein, der Sitz zahlreicher Sagen, 
die theilweise durch Scheffel poetische Einkleidung 
erfahren haben, bedarf, um völligem Verfall ent⸗ 
rissen zu werden, nicht unbedeutender Ausbesserungen. 
Der Odenwaldklub gedenkt, da die Scheffelsche 
Muse durch diese Ruine so vielfache Anregung 
fand, deren Unterhaltung zum Angedenken an den 
dahingeschiedenen Dichter zu übernehmen. 
CEine Nichte Schiller's.) Lezzten 
Freitag wurde in Nürtingen in Württemberg eine 
Richte Schiller's, nämlich die 82 Jahre alte Witiwe 
des Pfarrers Elwert, welche seit 14 Tagen daselbfi 
wohnt, begraben. Ihre Mutter, die zweite Schwester 
Schiller's, war die Gattin des Pfarrers Franth 
in Cleversulzbach (nachmals Stadipfarrer in Möch- 
mühl) in dessen Hause Schiller's Mutter starb. 
FWuürzburg, 25. Juni. (Militarbezirks⸗ 
gericht, Michael Bußer, lediger Tüncher von 
Hütschenhausen, Bez.⸗Amtes Homburg i. Pf. und 
Leopold Rappold, led. Fabrikarbeiter von Ettlinger 
im Großherzogthum Baden, beide Soldaten des k 
8. Inf.Regts. in Landau, zwei im Zivilleben 
bielfach bestrafte Burschen, die fich ein für alle 
Mal in geordnete Verhältnisse nicht fügen wollten 
planten gemeinsam, dem ihnen lästigen Drucke aus 
zukommen, und brachten dieses Vorhaben am 15 
April l. Is. Abends in Ausführung. Beide ent 
fernten sich an diesem Abend verabredungsgemäß 
bon ihrem in Zweibrücken liegenden Detachement 
begaben sich über Homburg, Neuntirchen nach Met 
und beabsichtigten, in Frankreich Arbeit zu suchen. 
Ihr Plan mißlang jedoch, da sie unter verdächtigen 
Umständen von der laiserl. Gendarmerie in Corny 
als Deserteure aufgegriffen wurden. — Bußer, der 
bei seiner Entfernung seinen Waffenrock im Kirkeler 
Walde zurückließ und außerdem auch noch eine 
Gehorsamsverweigerung gegenüber seinem Feldwebel 
und der Trunkenheit im Dienste beschuldigt und 
geständig, wurde wmegen militärischen Verbrechens 
der Fahnenflucht, wegen Preisgabe von ärariali— 
schen Monturstücken und Trunkenheit im Dienste 
zu 1W Jahr 9 Monaten und 10 Tage Gefängniß 
verurtheilt, während Rappold wegen Verbrechens 
der Fahnenflucht 1 Jahr 9 Monate Gefängniß 
erhielt. 
Von angeblich poetischen Werken König Lud⸗ 
wig I.. schreibt man dem „Berl. Tagbl.“: Eines 
Tages hatte der König Ludwig II. Erkundigungen 
eingezogen, welche Buchdruckerei München s ge⸗ 
wissen Anforderungen entspräche, und übersandte 
hierauf geheimnißvoll an den Drucker der „Fliegen⸗ 
den Blätter“, Mühlthaler in der Fürstenfelder 
Gasse zu München ein Packet Manuskript ohne 
Namen des Autors. Die genannte Druckerei wurde 
mündlich durch eine Vertrauensperson beaustragt, 
davon nur einen einzigen Abzug und zwar diesen 
als Prachtdruck herzustellen, doch so, daß Niemand 
außer dem im Uebrigen nicht in das Geheimniß 
zu ziehenden Setzer das Manuskript sähe. Jeder 
Probebogen, jeder Korrekturbogen und natürlich 
auch das Manustkript selbst mußten wieder abge— 
liefert werden. Es waren die gesammelten poeti⸗ 
schen Werke des Königs; unser Gewährsmann 
konnte oder wollte uns daraus nichts mittheilen 
und ließ nur vermuthen, daß sie nach Art der 
Wagnerschen Operntexte in der Form sehr unge⸗ 
wöhnlich waren. Vielleicht gelangt das Buch nach 
Inventarisierung des Nachlasses zur Vervielfältig 
ung und Verbreitung. „Ob Mühlthaler zur Ein— 
reichung einer Rechnung nicht aufgefordert worden 
ist, oder ob er die Liquidation einer Forderung 
abgelehnt hat — was schon wahrscheinlich ist — 
dürfte schwer festzustellen sein. Sicher ist, daß ihm 
der Titel eines Hofbuchdruckers Sr. Majestät des 
Königs verliehen worden ist. Mühlthaler war ein 
reicher Mann, welcher nach dem Tode seines ein⸗ 
zigen Sohnes in Schwermuth verfiel und vor 
einigen Jahren seinem freudlos gewordenen Leben 
freiwillig ein Ende machte. 
Das Schicksal des Dr. von Gudden er— 
weckt die Erinnerung an ein ebenso einzig dastehen⸗ 
des Unglück, welches vor wenigen Jahren eines der 
zahlreichen (elf) Kinder dieses Opfers der Pflicht 
und der eigenen Unachtsamkeit betroffen hat. „Einer 
seiner Soöͤhne“, so schreibt ein Berliner Blatt, schön, 
stattlich und riesenstark wie er, ein reichbegabter 
junger Maler in München, wurde durch das bekannte 
gräßliche Ereigniß auf einem Künstlermaskenfest zu 
München (1881) — das Verbrennen einiger als 
Eskimos verkleideter Künstler infolge der Berührung 
ihrer Kostüme mit Kerzenflammen — zu der kaum 
heareiflichen Tolslkühnbeit angereat. hei nächster Go— 
legenheit auf einem andern Maskenfest den prak⸗ 
tischen Beweis liefern zu wollen, daß jenes Unglüdh 
nur durch die Kopflofigkeit der von den Flammen 
Ergriffenen herbeigeführt worden wäre. Er wähltt 
das gleiche Kostüm, und soll die Nahe der Flam⸗ 
men eher aufgesucht als gescheut haben. Fürchter⸗ 
lich wurde er für dieses Herausfordern des Schick 
sals bestraft. Das Feuer ergriff auch ihn, wi 
jene nicht lange zudvor verbrannten Kollegen. Ei 
rettete zwar das Leben, trug aber so entsetzlicht 
Brandwunden davon, daß er drei Jahre lang fafl 
hoffnungslos in den qualvollsten Leiden darnieder 
lag. Besonders von den Armen scheinen Haut 
und Fleisch völlig fortgebrannt zu sein. Die Aerzt 
jerfielen darauf, das Experiment der Bedeckungç 
dieser günzlich zusammengeschrumpften und nur eint 
zroße Wundfläche darstellenden Extremitäten mit 
iner neuen, künstlich darauf verpflanzten lebendigen 
Menschenhaut zu wagen. Das Material zu der—⸗ 
elben aber mußte stückweise von gesunden, lebenden 
Menschenkörpern dazu hergegeben werden. Da zeigte 
es sich, einer wie großen und allverbreileten Liebe 
hei seinen Genossen, Künstlern, Studenten u. s. w 
sich der junge Gudden ecfreute. Eine Schaar vor 
mehreren hundert Freiwillgen erklärte sich bereit 
die erforderlichen Hautstücke von ihren Armen ab⸗ 
zsen zu lassen, damit aus denselben durch die be⸗ 
jandelnden Chirurgen eine Art lebendiger Flecken⸗ 
decke auf den wunden Gliedern des unglücklichen 
Freundes hergestellt werde. Sie haben sich dieser 
chmerzlichen Operation mit wahrem Spartanermuth 
unterworfen. Das unglaublich klingende Experi⸗ 
nent ist wirklich an den Armen des jungen von 
Budden mit den so gewonnenen mehreren hundert 
Hdautstücken ausgeführt worden. Ob und wie es 
möglich ist, daß auf diesem Wege bleibend eine 
neue eigene Haut durch organischen Prozeß des 
Verwachsens gebildet werde, vermag ich nicht zu 
sagen. Ich weiß aur die Thatsache aus der aller⸗ 
besten Quelle, daß die beiden, ob auch gänzlich 
verkümmerten, verschrumpften und mit Ausnahme 
der Hände fast bewegungsunfähigen Arme doch 
wenigstens erhalten geblieben und nur allmählich 
mit einer eiwas wunden und zerhackten Haut Aehn⸗ 
lichem bedeckt find. Seine künstlerische Thätigkeit 
fortzusetzen, ist dem so weit wieder hergestellten 
jungen Manne freiwillig für immer unmöglich ge⸗ 
macht. Aber er vermag doch, trotz dieses Zustandes 
der Arme, mit der rechten Hand zu schreiben, er 
hatte es, dank der eisernen Energie seines Wollens, 
durch Uebung sogar erreicht, mit diesen Händen das 
studer zu führen. So sah man ihn im vergange⸗ 
ien Sommer auf dem Tegernsee seine Barke selbß 
zewegen und mochte buchstäblich den eigenen Augen 
nicht trauen, welche das sahen. Kaum geringere 
Berwunderung und Bewunderung mußte bei allen 
'hm näher Tretenden der gefaßte heitere Gleichmuth 
erregen, womit der so furchtbar Heimgesuchte sein 
allerdings selbst verschuldetes Unglück trug, und die 
jeitere Lebenswürdigkeit seines Charakters, welchen 
selbst ein solches Erlebniß nicht dauernd zu trüben 
und zu verbittern vermocht hatte.“ 
F Die diesjährigen Herbstübungen des II. 
hayer. Armeekorps finden in der Umqebung von 
Nürnberg und Fürth statt. 
Nürnberg, 28. Juni. Was im 19. 
dahrhundert nicht alles noch moͤglich ist! Kommi 
ein hiesiger Einwohner beim Magistrat um die Er⸗ 
laubniß zur Uebernahme einer Bierwirthschaft ein; 
die Erlaubniß wird ihm auch ertheilt, aber nun 
hat der Mann das Malheur, Adam von Fleckinger 
zu heißen und da ist ihm denn auf Grund irgend 
eines vergilbten Gesetzesparagraphen die Führung 
seines Adelstitels untersagt worden, so lange er 
das Gewerbe eines Bierwirthes ausübt! 
F Der 6. deutsche Lehrertag hielt in 
den letzten Tagen der verflossenen Woche seine 
diesjührigen Verhandlungen in Hannover ab. Es 
varen auf demselben außer den Mitgliedern des 
TFentral⸗Vorstandes 85 Delegirte von deutschen 
Lehrervereinen anwesend, die insgesammt weit über 
40,000 Lehrer vertraten. Der nächste Lehrertao 
indet im Jahre 1888 stait. 
Als der Kaiser bei seiner Ankunft in Ems 
yom Kriegervereine begrüßt wurde, erwiderte er 
„Nun, Ihr Segenswunsch vom vorigen Jahre (daß 
Bott den Kaiser gesund erhalten und im nächsten 
Jahre ein Wiedersehen stattfinden möge) ist irn 
Erfüllung gegangen“; dann fügte er hinzu: „Meint 
aten Krieger von 1870 sehen aber recht wohl aus. 
F Bei Freiwaldau in Schlesien ist sei 
iniger Beit ein Goldberawerk in Betrieh geseß 
worden auf der Goldkoppe. Schon in alten Zei 
war dort ein Goldpochwerk. Das Werk sa n 
zedeihen. Damit wäre wenigstens eine der an 
Stätten wieder in Betrieb, in denen unsere d 
sahren Gold gruben, bis die Schäte der en 
Welt unseren mittelalterlichen, Bergsegen“ — 
—AXV —*8* 
FCGod in Folge einer Obrfennr 
In Breslau gab ein Maschinist in einer * 
Druckerei einem 13*2 Jahre alten Arbeitsbuee 
eine so derbe Ohrfeige, daß der Junge niederstü — 
und sofort eine Leiche war. Der schnell ** 
rufene Arzt stellte fest, daß der Verstorbene * 
den Schlag wahrscheinlich eine tödtliche Gehirnden 
letzung erlitten habe. 
FDie „Str. P.“ verübt folgenden zeitgemaßen 
Scherz: Wir freven uns, allen Lesern unse 
Blattes die angen ehme Nachricht mittheilen 
tönnen, daß die Welt am 24. Ju ninig 
untergegangen ist, wie dies nach der Prophe. 
zeihung von Nostradamus (weil das Frohnleiq. 
namsfest mit dem Johannistag zusammentraf) da 
Fall hatte sein sollen. Man will übrigens wissen 
daß etliche beängstigte Gemüther auch in unsere 
Stadt Straßburg trotz aller Aufklärung, auf welcht 
unser Jahrhundert so stolz ist, sich nach lebhafle 
Angst erst wieder beruhigten, als der verhängniß 
volle Tag glücklich vorüber war. 
Greifprechung.) Der Sh'jaährige 
Foͤrster Schwochow zu Moorbrügge, welcher seinen 
28jahrigen ungerathenen Sohn im Falle der Not 
wehr und in nicht zurechnungsfähigem Zustande 
erschossen hat, wurde von dem Geschworenengerich! 
in Stettin freigesprochen. 
F Ueber das große Unglück bei Kozerad ar 
der Sazawa (Böhmen) wird folgendes Nähere ge 
meldet: In Kozecad war am 20!*ds. Mis. Erz 
bischof Graf Schönborn eingetroffen, um daselbs 
das Sakrament der Firmung zu spenden. De 
Erzbischof wollte ursprünglich auf Schloß Kammer⸗ 
burg des Fürsten Khevenhüller übernachten, verblieb 
jedoch auf Anrathen des Pfarrers in der Pfarre 
zu Kozerad, da über die Sazawa dort keine Brüd 
sührt und der Fluß in Folge der letzten Regen 
züsse bedeutend angeschwollen war. Gleichwoh 
vagten sich am Dienstag gegen 50 Personen 
Firmlinge mit ihren Pathen und Pathinnen, aut 
dammerburg und Umgebung auf die Ueberfuhr 
um nach Kozerad zu gelangen. In der Mitte der 
Flusses kippte der Kahn um und alle Personen 
ftützten in die Fluthen. Ein Theil reettete sich 
zwar an's Ufer, ein großer Theil wurde jedoch von 
der Strömung fortgerissen. Bis Nachmittag det 
Unglücktages waren 25 Leichen, darunter zwei Pa 
thinnen und ein Pathe, die übrigen Kinder, aue 
dem Flusse gezogen. 
Cotitlon's Ende.) Aus Paris wir 
der Wiener „Allg. Zig.“ geschrieben, daß man 
dortselbst beschlossen habe, im kommenden Winter 
bei den größeren Hausbällen keine Cotillons meh 
zu tanzen, da dieselben wahre Unsummen verschlangen 
Langsam hatte man damit begonnen, die anfange 
einfachen Cotillon-Bouquets nach und nach in der 
theuersten frischen, manchmal auch kostbaren imi— 
irten Blumen herzustellen. Viele Damen haber 
nuf einem Balle all' ihre Hut⸗Bouquets, den 
Schmuck ihrer Ball. Toilelien gesammelt. Dand 
riß die Unfitte ein, kleine Geschenke zu vertheilen 
man spendete beim Cotillon kostbare Schmuckgegen⸗ 
tände, theuere Fächer u. s. w., die Herren legten 
ich bei dieser Gelegenheit kleine Stocsammlunger 
an, oder bekamen luxuriöse Brief⸗ und Cigarren 
raschen. Dieses unpraktische Treiben hat den arme 
Totillon in den Abgrund der gesellschaftlichen Ver 
dammung befordert, aus dem ihn so leicht kein 
Tanzmeister wieder hervorholt. 
Aitentate auf einen Regimenis ⸗ Kommandanten 
Wie, Nar Listyh“ berichten wurden in der lehtei 
Zeit auf den Kommandanten des Prager Haus 
cegiments Konig Humbert Nr. 28, den Oberster 
Holzbach, angebuͤch wegen großer Strenge, wieder⸗ 
holl Attentate deruͤbt.So sei ihm bei der dehd 
übung am 31. Mai ein aus einem Soldatengeweh 
abgeschossener Stein am Kopfe vorübergesaust, an 
2.Jumseien bei der Feldubung 8 scharfe Schüss 
in der Richtung gegen den Obersten gefallen und 
die Kugeln hätien sich, ohne den Obersten zu ber! 
letzen, vor diesem in die Erde eingebohrt. Da all⸗ 
in diesen Fällen eingeleiteten Untersuchungen resulb 
atlos geblieben seien, habe mittelst Regimentsbefeh 
das ganze erste Bataillon Kasernenarrest auf die 
e iee oten welche Strafe