Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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„St. Ingberter Anzeiger erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag. Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs⸗ 
utt und Sonntags mit vfeitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljahrlich 1 A 60 einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1.8 75 B, einschließlich 
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Rußland und Bulgarien. 
Mit Widerwillen wird Europa immer und 
imer wieder dazu gedrängt, der leidigen bulgar. 
—* Affaire seine Aufmerksamkeit zuzulenken, als 
F die europäische Culturmenschheit nichts anderes 
thun hätte, als sich um Bulgarien zu sorgen. 
srotz der notorischen Bedeutungslosigkeit Bulgariens 
Kathe der Rölker ist man von der Befürchtung 
icht ganz frei, daß aus der bulgarischen Frage 
ih ein Weltbrand entstehen könne, da der Conflict 
sußlands mit Bulgarien sich täglich deutlicher zeigt 
ind bei einem militärischen Vorgehen Rußlands in 
dalgarien leicht ꝛeine Gegenaktion derjenigen Mächte, 
hulche ihre Interessen bedroht fühlen, eintreten 
uin. — Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß 
h Rußland Bulgarien gegenüber in der fatalsten 
che befindet. Rußland glaubt auf Grund der 
storischen Thatsache, daß es den bulgarischen Bru⸗ 
erstamm durch einen blutigen Krieg vom Türken⸗ 
xhe befreit hat, auf Dankbarkeit seitens der Bul⸗ 
men und auf einen gewissen Anschluß derselben 
wdie russische Orientpolitik rechnen zu müssen. 
chatsächlich ist aber die Mehrheit der Bulgaren 
llen russischen Annäherungsbersuchen abgeneigt und 
deder von Rußland betriebene Abdankung des 
irsten Alexander, noch die Mission des russischen 
xnerals Kaulbars hat daran etwas ändern können, 
ind da zu diesem Mißerfolge der russischen Politik 
ich auf noch eine moralische Niederlage gesellt, so 
ann man sich die Aufregung in Rußland über 
jese Sachlage denken. Das einfachste Mittel vom 
issischen Standpunkte Wandel in der bulgarischen 
Afaire zu schaffen, wäre nun offenbar dasjenige, 
zaß Rußland ein Heer in Bulgarien einrücken 
ieße und seinem Einflusse gewaltsam Geltung ver— 
chaffte. Diese Maßregel ist aber sehr heikler Na— 
ur, denn erstens wird eine Occupation den Russen 
n Bulgarien erst recht keine Freunde schaffen, 
weitens würde damit aber auch den übrigen Bal—⸗ 
anstaaten durch ein solches Vorgehen Rußlands 
ewoltig vor den Kopf gestoßen, indem sie dann 
le Ursache hätten, für ihre Selbstständigkeit zu 
urchten, drittens dürften aber 'auch einige Groß⸗ 
nächte, zumal Oesterreich⸗ Ungarn und England 
inen energischen Protest gegen ein kriegerisches 
zorgehen Rußlands auf der Balkanhalbinsel erheben. 
Da ohyne Zweifel das Einvernehmen der Kaiser⸗ 
nuͤchte noch besteht und offenbar zu dem Zwecke 
uftecht erhalten wird, die Collisionen der Interessen 
icht in eine kriegerische Aktion ausarten zu lassen, 
indern friedlichen Verständigungen die Bahn zu 
jenen, so ist allerdings auch möglich, daß Deutsch⸗ 
md und Oesterreich Rußland eine beschränkte mi— 
kärische Altion in Bulgarien gestatten werden. 
aß eine solche immer mit großen Gefahren für 
n Weltfrieden verbunden ist, darf aber nicht außer 
cht gelassen werden, denn ein Kriegsbrand ist 
l leichter entfacht, als gelöscht und die Balkan⸗ 
nnder bieten genug Zündstoff dar, um das Auf⸗ 
bern eines großen Kriegsbrandes befürchten zu 
ussen, wenn eine russische Armee festen Fuß auf 
⁊ Balkanhalbinsel gefaßt hätte. Es ist deßhalb 
mgend zu wünschen, daß es den Bemühungen 
t europäischen Diplomatie, zumal auch der ver⸗ 
ftelten Thätigkeit des deutschen Reichskanzlers ge— 
gen möge, die bulgarische Streitfrage in Güte 
chlichten. Sehr wichtig wäre dabei, wenn 
ihland zur Einsicht käme, daß es seine Haltung 
genüber den Bulgaren ändern und den unge⸗ 
dichen General Kaulbars durch einen schmieg—⸗ 
Montag, 11. Oktober 1886. 
21. 3— 
1. Jahrg. 
ameren entgegenkommenderen Agenten ersetzen muß, JNiederbahern, Oberpfalz und Oberfranken im Früh⸗ 
im sich mit den Bulgaren über die Reorganisation ling nächsten Jahres zu unternehmen. (Ein Besuch 
er Regierung und die Wahl eines neuen Fürsten er Pfalz scheint demnach zunächst nicht in Aussicht 
zu verständigen. Jjenommen zu sein.) 
Politische Uebersicht. 
Ausland. 
* Der Staatssekretair v. Bötticher, der jetzt 
Ostpreußen bereist, wird vor seiner Rückkehrg nach 
Berlin sich zum Reichskanzler nach Varzin begeben, 
im mit demselben die Vorlagen für den Reichstag 
estzustellen, der bekanntlich in der zweiten Hälfte 
»es Novembers zusanmentreien soll. 
London, 8. Okt. Der Pariser Korrespon⸗ 
ent der „Times“ meldet, man hege in diplomat—⸗ 
schen Kreisen Frankreichs Besorgnisse über den 
Bemüthszustand des Czaren; man befürchte grillen⸗ 
jafte Verirrung desselben. Der Czar denke und 
ede über Bulgarien nur sehr unruhevoll; meist 
chreite er sprachlos des Nachts auf und ab. 
Sofia, 10. Ott. Die diplomatischen Bezieh⸗ 
ingen zwischen Rußland und Bulgarien find abge⸗ 
rochen worden. Natchewitsch hat heute nachstehen⸗ 
»es Rundschreiben an die diplomatischen Agenturen 
»ersandt: „Ich habe die Ehre, Sie zu ersuchen, 
ille Ihre Landesangehörigen darauf aufmerksam zu 
nachen, daß sie sich jeder Betheiligung und Ein— 
nischung bei den Wahlen am 10. Oktober zu ent⸗ 
sjalten haben. Mein Kollege des Innern theilt 
nir mit, daß er gegen Zuwiderhandelnde mit Aus⸗ 
veisungen vorgehen müsse. Empfangen Sie“ u. 
.w. Hierauf erfolgte sofort folgende Antwort 
ꝛes russischen Agenten Neklindow, die sämmtlichen 
Ugenturen abschriftlich mitgetheilt wurde: „Ich 
jabe die Ehre, den Empfang des Cirkulars zu be⸗ 
tatigen. das Sie an mich richten zu müssen 
laubten, muß Ihnen aber hierauf erwidern, daß 
ie daiserlich russische Agentur ihre Landsleute 
egen alle ungesetzlichen Handlungen der bulgarischen 
tegierung nachdrücklichst in Schutz nehmen wird, 
benso wie fie es bisher verstanden hat, ihre An— 
jehörigen in den Schranken strengster Gesetzlichkeit 
uü halten. Ich theile gleichzeitig mit, daß, bis ich 
ie Instruktionen des Generals b. Kaulbars be— 
üglich des von Bulgarien erhobenen Zwischenfalles 
rhalte, ich die Auswechslung schriftlicher Mittheil⸗ 
ingen zwischen der kaiserlichen Agentur und der 
zulgarischen Regierung für abgebrochen erkläre. 
ẽEmpfangen Sie“ u. s. w— Hier wurde der 
Abbruch der diplomatischen Beziehungen seit vier 
Tagen vorausgesehen, da die Russen entschlossen 
waren, spätestens am Wahltage zu brechen. Das 
Tirkular Natchewitsch's war ein reiner Vorwand 
dazu. Die Bulgaren fassen die Lage ziemlich 
ruhig auf. 
* In der Presse des Auslandes, zumal in der⸗ 
enigen Oesterreichs und Englands machen 
ich immer mehr Stimmen geltend, daß Deutschland, 
esp. der deutsche Reichskanzler die Rolle eines 
Schiedsrichters in der bulgarischen Frage überneh— 
nen soll. Bei der bekannten Abneigung des Fürsten 
Bismarck, den Schiedsrichter zu spielen, dürfte sich 
derselbe dieser undankbaren Aufgabe aber wohl erst 
dann unterziehen, wenn alle betheiligten Mächte 
zie vermittelnde Thätigkeit der Deutschen Diplo— 
natie wünschen. Ob der englische Minister Lord 
Fhurchill der Träger einer solchen Mission gewesen 
st, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, da Lord 
rFhurchill nur einen Tag in Berlin weilte und dann 
richt nach Varzin, dem jetzigen Aufenthaltsorte des 
zürsten Bismarck, sondern nach Wien weiter gereist 
st. Etwas abgeschmackt klingt aber jedenfalls eine 
Neldung aus London, wonach Lord Churchill die 
steise nach dem Festlande nur aus Gesundhcitsrück- 
ichten unternommen habe, als ob es nicht mit 
händen zu greifen wäre, daß England nach Ver—⸗ 
ündeten in seiner vollständig isolirten Stellung 
ucht, zumal auch Frankreich nicht übel Lust hat, 
vegen der egyptischen Frage England die Freund⸗ 
chaft zu kündigen. 
*Die Schwierigkeiten, welche im frauzsö⸗ 
ischen Budget entstanden sind, beschäftigen seit 
inigen Tagen unausgesetzt die Regierung Frank⸗ 
eichs, zumal die Budgetkommission es ihrerseits 
zeradezu abgelehnt hat, passende Vorschläge zur 
Beseitigung der Kalamitäten zu machen. Im Ka— 
zinetsrathe hat der Finanzminister Sadi Carnot 
seinen Kollegen die überraschende Mittheilung ge⸗— 
nacht, daß der Budgetausschuß bis jetzt vollständig 
»ersäumt habe, ihm von seinen verschiedenen Be— 
chlüssen hinsichtlich der Beseitigung des Defizits 
rgend welche Kenntniß zu geben, so daß er sich 
jar nicht in der Lage erachte, seinen Kollegen über 
diese Beschlüsse Bericht zu erstatten. 
Lokale und pfalzische Nachrichten. 
— Unser Landsmann Herr Heinrich Hilgard 
jenannt Henry Villard, der Wohlthäter der Pfalz, 
vird, wie aus Newyorker Blättern ersichtlich, dem⸗ 
aächst wieder in der Geschäftswelt Newyorks einen 
jervorragenden Faktor bilden. Herr Hilgard wird 
nämlich Agent der deutschen Reichsbank. 
Vermißchtes. 
Es ist Thatsache, daß Italien zum Schutz des 
Nittelmeeres gegen russische Einflüsse Fühlung mit 
eẽ ngland und Oesterreich, als mitbetheiligten Mäch— 
en, sucht. Alle italienische Blätter drängen auf 
en Abschluß eines solchen Einvernehmens, das von 
er Regierungspresse indirekt auch anerkannt wird; 
er „Popolo Romano“ bestreitet bloß, daß Eng⸗ 
and sich bereits definitiv gebunden habe. 
SDeutsches Reich. 
F Forbach. Die Forbacher Glashütten, das 
ilteste industrielle Etablissement unserer Stadt, läßt 
zer Besitzer, Herr Vallet, am 3. November d. J. 
ur definitiven Versteigerung bringen. Wie begreif⸗ 
ich, beschäftigt die Frage nach der Zukunft des 
ẽtablissements, das einer großen Anzahl von Fa-— 
nilien Brot gab, weite Kreise. Im Interesse der 
ꝛetheiligten Arbeiter wie unserer Stadi überhaudt 
Muünchen, 8. Okt. Se. K. H. Prinzregent 
;uitpold beabsichtigt eine zweite Rundreise durch 
as Königreich und zwar diesmal durch die Kreise