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AIlIll 4894
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
der „St. Ingberter Anzeiger⸗ erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs-
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21. Jahrg.
Politische Uebersicht.
* Die politische Tagesdiscussion wurde
n der abgelaufenen Woche zum Theil durch die
Jolemik beherrscht, die sich zwischen der „Nordd.
ilg. Ztg.“ und der gemäßigt-liberalen Presse über
ie Haltung der nationalliberalen Partei entsponnen
at. Wie bekannt, ist der Kölner Parteitag der
dationalliberalen von dem offiziösen Blattte zum
usgangspunkte einer Reihe von Angriffen und
Jerdächtigungen gegen die nationalliberale Partei
emacht worden, die in der Presse der letzteren die
chirfste Entgegnung gefunden haben. Man wird
un zwar zugeben müssen, daß die genannte Partei
hwere Fehler begangen hat, aber denselben stehen
much nicht minder große Verdienste entgegen, und
der die Geschichte unserer inneren Entwickelung
—DV
vissen, daß die nationalliberale Partei in hin—
ebendster Weise bei den Vorbereitungen zum neuen
deiche und dann bei dem inneren Ausbau desselben
niigewirkt. Es muß daher seltsam berühren, wenn
as Kanzleramt die geschichtliche Wahrheit mit einem
Male ignorirtt und der nationalliberalen Partei
lötzlich hämische Tritte versetzt und Alles deshalb.
veil die auf dem Kölner Parteitag Versammelten
icht nur als national gesinnt, sondern auch als
iberal gesinnt gelten wollen! Inzwischen lenkt
uun die „Nordd. Allg. Zig.“ allerdings wieder ein,
ie will es gar nicht so bös gemeint haben —
ber dieser verschleierte Rückzug kann nicht hindern,
aß durch die unqualificirbaren Angriffe der Ber⸗
iner Offiziöͤsen auf eine Partei, der man doch
zahrhaftig keine extremen Opposionsgelüste vor⸗
oerfen kann, in weiten Volkskreisen Verwirrung
ind Mißtrauen erzeugt werden. Gerade die „Nordd.
Isllg. Ztg.“ war es, die seinerzeit das Schlagwort
jon der Mittelpartei in das politische Parteigetriebe
varf, aber die charakterisirte Haltung des Berliner
beroffiziösen Blattes ist doch ein recht seltsames
MRittel, zu einer solchen, zwischen den extremen
kichtungen stehenden Parteibildung zu gelangen!
Unter den sonstigen Tagesbegebenheiten erregt
e Verhaftung des welfischen Rechtsanwaltes Dr.
Hedekind in Wolfenbüttel bedeutendes Aufsehen,
im so mehr, als über die Ursachen der Verhaftung
es genannten welfischen Agitators noch durchaus
uichts Positives bekannt ist. Es verlautet nur,
aß seine Verhaftung auf Grund der Requisition
iner auswärtigen Behörde erfolgt sein soll.
Unter den Tagesfragen der auswärtigen
zountik beanspruchten die Nachrichten aus und über
zulgarien auch in dieser Woche den Löwen⸗
intheil. Dieselben lafsen erkennen, daß sich in den
ulgarischen Dingen eine merkliche Wendung zu
zunsten Rußlands vollzieht, was schon daraus her⸗
orgeht, daß fich im Cabinet von Sofia wie in
,et radicalen Partei der Sobranje Stimmen er⸗
jeben, welche eine entgegenkommende Politik gegen⸗
iber Rußland fordern. Letzteres hat sich nun auch
ereit erklärt, sich mit Bulgarien zu verständigen,
ordert aber einen vollständigen Regierungswechsel
m russischen Sinne und die Einberufung einer
euen Sobranje durch das neue Kabinet. Diese
forderungen Rußlands werden in schwerwiegender
Veise dadurch untersiützt, daß sich jetzt auch
ie Pforte als Souzerain Bulgariens in die weitere
ntwickelung der Dinge mischt und durch ihren
dommissar Gadban Effendi in Sofia verlangt hat,
r auf kommenden Mittwoch vorgesehene Zusam⸗—
mentritt der Sobranje habe bis auf Weiteres zu
interbleiben. Die türkische Regierung weist hierbei
arauf hin, daß Rußland mit den Wahlen und
»er Einberufung der Sobranje nicht einverstanden
sei, daß auch die Mächte noch keinen Entschluß
iber den Thronkandidaten gefaßt hätten und da
erner mehrere Bulgarien betreffende Fragen schweb⸗
en und letzteres überdies an den Berliner Vertrag
sebunden sei, so verweise sich der Zusammentritt
er Sobranje als zwecklos. — In Anbetracht der
rußerordentlichen Reserde, welche die Pforte gegen⸗
iber den bulgarischen Dingen seit dem Staats⸗
treiche von Sofia beobachtet hat, erscheint ihr jetz⸗
ges energisches Auftreten doppelt bemerkenswerth
ind die bulgarischen Staatsmänner sind mehr als
e zueiner Entscheidung gedrängt, die aber angesichts
der Thatsache, daß sich für Bulgarien keine Hand
cegt, kaum zweifelhaft sein kann.
*Aus Oesterreich liegt aus dieser Woche
XL
zenn die stehenden Cholerabulletins. Die Ver⸗
chleppung der Seuche von Pest nach Wien war
illerdings geeignet, auch außerhalb der österreich⸗
schen Grenzen Beunruhigung hervorzurufen, glück-
icherweise scheint es aber bei dem vereinzeiten Falle
des Dr. Schmidt geblieben zu sein und darf man
omit annehmen, daß die Seuche in der österreich⸗
schen Haupistadt gleich im Keime erstickt worden
st. Dagegen behauptet sie in Pest, von wo vom
Rienstag immer wieder 27 Erkrankungen und
9 Todesfälle an Cholera gemeldet wurden, noch
hren verhältnißmäßig hohen Stand, auch aus
-„czegedin und Triest will sie noch nicht weichen
ind außerdem ist sie jetzt von Ungarn aus auch
iuf serbisches Gebiet übergetreten, wo die Cholera
n Semlin aufgetreten ist.
* Für die Engläunder machen sich die Nach⸗
vehen des birmanischen Feldzuges noch immer in
inangenehmster Weise bemerkbur. Unter der eng⸗
ischen Okkupationsarmee in Birma grassiren bös⸗
irtige Fieber, denen der Oberkommandirende, Gee⸗
reral Machherson, selbst am Mittwoch er⸗
egen ist. Das Ableben des Höchstkommandirenden
jestattet einen sicheren Schluß darauf, wie schlecht
s um die sanitairen Zustaände in den Reihen der
uglischen Okkupationsarmee bestellt sein muß; in
dondon soll man auch den Gedanken, den Haupt⸗
heil der Truppen wieder aus Birma zurückzuziehen,
enstlich erwägen.
— — —
V
⸗⸗
Deutsches Reich.
Baden ⸗Baden, 21. Okt. Der Kaiser
prach, wie man der „Fr. Ztg.“ berichtet, bei seiner
jestrigen Abreise zu dem Oberbürgermeister ungefähr
olgende Worte: „Ob ich nun noch einmal kom⸗
nen werde, das steht in Gottes Hand. Bei meinem
sohen Alter treten die Mahnungen von allen Seiten
mmer öfter an mich heran. Ich bin stets erfreut
iber die Freundlichkeiten, welche mir und der Kaiserin
eweils und auch jetzt wieder von der Stadt durch
zie Veranstaltungen von Festlichkeiten und in an⸗
erer Weise erzeigt wurden. Sagen Sie der Bür⸗
jerschaft nochmals meinen Dank dafür. Ich würde
nich freuen, wieder kommen zu können und sage
»eshalb auf Wiedersehen — vielleicht.“
Berlin, 22. Oktober. Der Kaiser empfing
eute um halb 11 Uhr den Prinzen Friedrich
Bilhelm Hohenlohe-Ingelfingen und nahm später
den Vortrag des Grafen Otto zu Stolberg ent⸗
egen.
res Der Reichskanzler beschäftigt sich augen—
cheinlich eifrig mit der bulgarischen Angelegeanheit.
Nachdem er Ende der vorigen Woche erst in Varzin
nit dem auf der Reise nach Petersburg begriffenen
eutschen Boischafter General v. Schweinitz konfe⸗
irt hatte, hat er jetzt den Besuch des russischen
Botschafters in Berlin, des Grafen Schuwalow,
mpfangen. Widmet sich Fürst Bismarck ernstlich
der Sache, so wird er auch bald Feuer dahinter
nachen. Der jetzige zweifelhafte Zustand wird um
o unerträglicher, je länger er andauert.
Berlin, 22. Olt. (NR. B. Lztig.) Die Ver⸗
sandlungen beim dieswöchentliche: Vesuche des
russischen Botschafters Schwalow beim Reichskanzler
in Varzin betrafen die deutsch-russisscchen
ZollHandelsverhältnisse. — Der Papst
soll, einem Telegramm des heutigen Berliner Tage⸗
zlatt zufolge, beabsichtigen, das ökumenische Concil
inzuberufen, zum Zwecke der Erklärung der welt⸗
lichen Herrschaft des Papstes zum
Dogma.
Ausland.
Aus Holland. Das Amsterdamer „Alge⸗
neen Handelsblad'‘ macht zu der Aeußerung De⸗—
rouledes, daß die Holländer kein Blutt zu
sjaben scheinen und die Belgier es nun einnal in
hre Dickköpfe aufgenommen haben, daß Frankreich
ie gern verschlingen möchte, folgende Bemerkungen:
Zu den blutlosen Hollandern gehören unzweifelhaft
rnch wir, denn wir haben manches Gespräch mit
Dderoulede gehabt, als er unser Land besuchte; wir
jaben ihm deutlich gesagt, daß wir um Frankreichs
villen kein Blut wegzugeben hätten und ebenso⸗
venig ihm zulieb in eine feindliche Stellung zu
Deutschland kommen möchten; wir seien zwar offen⸗
zdar viel weniger dickköpfig als die Belgiet, welche
iürchten, verschlungen zu werden, denn wir er⸗
lärten ihm, daß wir von dieser Furcht durchaus
nicht befangen seien, vielmehr hielten wir ein herz⸗
iches Einvernehmen mit unserm deutschen Nachbar
ur die natürlichste und beste Politik; wir priesen
es an Deutschland, daß es nach beispiellosen Siegen
den europäischen Frieden gehandhabt habe, daß es
nicht beleidigend, nicht anmaßend aufgetreten sei
ind von seinen Legionen keinen Mißbrauch gemacht
jabe; der deutsche Reichskanzler habe nicht Ludwig
XIV. oder Napoleon J. zum Vorbilde genommen,
ind wir hätten deshalb duraus keine Furcht vor
Froberungsgedanken desselben, weil wir seine große
taatsmännische Weisheit zu würdigen wußten.“
London, 22. Oktober. Der Salisbury'sche
„Standard“ jagt, England denke nicht daran, sich
ius Egypten zürückzuziehen. Wenn es dies thäte,
und eine Intervention nothwendig werde, so würde
die Frege sein, wer die Kosten tragen würde!
Wegen dieser Frage hat Fraukreich 1882 sich von
einem gemeinsamen Vorgehen zurückgezogen. Frank⸗
reich sei nun nicht berechtigt, ssch einzumischen und
den Rückzug Englands zu verlangen, nachdem letz⸗
seres die schwere Arbeit gethan hätte. Die fran—
zösische Regierung geht nur deßhalb vor, weil sie
auf die Unterstützung der russischen und türkischen
Regierung rechnen zu können glaubt.
Vetersburg, 21. Okt. In einem Privat⸗
zrief Kaulbars' bezeichuet derselbe die Lage in
Bulgarien als sehr schwierig, die der Regenten so—
jar als gefährlich. Kaulbars versichert, er bleibe
iest und behaupte, wer zuletzt lacht, lacht am besten.