Full text: St. Ingberter Anzeiger

Das Erbe bestand zum größten Theil aus Möbeln, 
Wäsche und Geräthschaften. Obgleich die Verstor⸗ 
benc gesagt hatte, das Mädchen solle mit dem 
Gelde recht sparsam sein, fand man nach ihrem 
Tode doch nur 16 Mark in baarem Gelde. Ver—⸗ 
geblich forschte man nach mehr. Vorgestern trennte 
nun die Erbin ein altes Kleid und einen Mantel 
der Verstorbenen auseinander, um sich daraus ein 
Kleidungsstück für den Winter herzustellen, dabei 
fand das Mädchen, in den alten Kleidern einge— 
näht, mehrere Hundertmarkscheine, 8 Fünfhundert⸗ 
markscheine und 6 Tausendmarkscheine. Das Mäd⸗ 
chen trennte nun alle Kleidungsstücke, Kissen, Bett⸗ 
decken ꝛc. auseinander und fand dabei außer laarem 
Gelde noch den Tauf⸗ und Trausch.in der Verstor— 
benen eingenäht. 
(Raubmord.) Der 17jährige Sohn des 
Gießers Wittig in Ulm ist am Samstag, 20., früh 
in der Nähe der elterlichen Wohnung erschossen, mit 
einem Knebel imn Munde, aufgefunden worden. Es 
liegt ein Raubmord vor. 
Ueber das Befinden des Konigs Ottto von 
Bayern schreibt man der Wiener „Allg. Ztg.“ 
aus München: „Die einzige Zerstreuung, die er 
hat, ist das Cigarettenrauchen und das Durchblät⸗ 
tern illustriter Zeitungen. Die meiste Zeit ver— 
bringt er am Fenster. Wer ihn da zu beobachten 
Gelegenheit bat, glaubt, der König unterhalte sich 
mit jemanden, weil er fortwährend mit den Händen 
in denen er ein weißes Sacktuch hält, agirt. Er 
ist jedoch nur in ein Gespräch mit sich selbst ver 
tiefi. Allen im Schlosse befindlichen Personen ist 
es strenge verboten, jenen Platz, auf welchem König 
Otto zum Fenster hinaussehen kann, zu betreten. 
Ist aber das Betreten des Platzes — wie z. B. 
jetzt beim Kapellenbau — nicht zu vermeiden, so 
müssen die Arbeiter thun, als ob sie den König 
nicht sähen ... Daß sein Bruder, König Ludwig 
todt ist, weiß er; ebenso ist ihm bekannt, daß er 
sein Nachfolger geworden; doch spricht er hievon 
in letzter Zeit fast gar nicht.“ 
F (Der Mörder des Gendarmen 
Peringer in München. Der Wiener Po— 
lizeidirektion ist eß gelungen, die Identität jenes 
Individuums festzustellen, welches kürzlich unter dem 
dringenden Verdacht, den Mord an dem bayerischen 
Geudarmen Mathias Peringer in München und den 
Einbruchdiebstahl bei Banquier Lenze in Passau 
vollführt zu haben, verhaftet wurde. Der Verhaftete 
hatte bekanntlich angegeben, Franz. auch Frank Her⸗ 
mann zu heißen und Drechsler zu sein. Der vor⸗ 
gebliche Franz Hermann wurde nun auf Grund 
der eingesendeten Photographie als der berüchtigte 
und höchst gefährliche Einbrecher Joseph Ploczak 
erkannt. Ploczak, zu Glossau in Böhmen gebürtig, 
31 Jahre alt, wurde Mitte der siebziger Jahre 
wegen eines verübten kühnen Einbruchdiebstahls zu 
einer sechsjährigen schweren Kerkerstrafe verurtheilt, 
welche er in der Festung Theresienstadt abbüßen 
sollte. Im Jahre 1876 war es ihm aber gelungen, 
aus der Kerkerzelle auszubrechen und nach dem 
Auslande zu entkommen. Drei Jahre trieb er sich 
auf dem Kontinent herum und verübte in den grö— 
ßeren Städten eine beträchtliche Anzahl von Ein— 
bruchsdiebstählen, bis ihm endlich im Jahre 1879 
in Zürich das Handwerk gelegt wurde. Damals 
wurde er den österreichischen Behörden ausgeliefert 
und wieder nach Theresienstadt zur Abbüßung seiner 
Kerkerstrafe eskortirt. Im Jahre 1884 gelang es 
ihm ein zweites Mal, aus der Festung zu ent— 
springen, und diesmal flüchtete er sich nach New— 
York, woselbst er ungefähr zwei Jahre lebte. Nach 
Europa zurückgetehrt, beging er wieder eine ganze 
Reihe verwegener Einbruchsdiebstähle und ermordete 
dann in München den Gendarmen Peringer. Ju 
Passau wurde er, wie erinnerlich, von einer Kell⸗ 
nerin erkannt und hierauf verhaftet. 
Elberfeld, 19. Nob. In einem Walde 
bei Gräfrath sind vorgestern zwei Kinder im Alter 
von acht und zehn Jahren in hilflosem Zustande 
aufgefunden worden. Angestellte Nachforschungen 
ergaben, daß die obdachlosen Geschwister aus der 
Gemeinde Gräfrath sind. Ihr Vater irrt arbeits⸗ 
los umher, die Mutter starb vor ungefähr 14 
Tagen in einem Holzstalle. Die Kinder haben im 
Kraukenhause zu Gräfrath Aufnahme gefunden. 
Bisher hatten sie sich durch Betteln ernährt.. 
F Köln, 20. Nob. In einem Walzwerk zu 
Kalk waren gestern an der Feinwalze durch den 
Obeermeister und den Walzmeister die Walzen aus- 
„»wechselt worden; nachdem die Verkuppelung an⸗ 
„legt war, ließ der Walzmeister die Maschine lang⸗ 
am in Gang setzen. In demselben Augenblick geriet 
nach der „K. Ztg.“ ein Arbeiter, der an der Ma⸗ 
schine nichts zu schaffen hatte, auf unerklärliche 
Weise zwischen die Walzen und wurde, obgleich ein 
Meister die Walzen sofort stille stellte, getödet. Der 
Vater des Unglücklichen ist in demselben Werke be⸗ 
chäftigt. Man kaun sich die herzzerreißende Scene 
vorstellen, welche sich abspielte, als der Mann zu 
der Leiche seines Kindes kam. 
Ist „Kaulbarsch“ ein Schimpf— 
rahme? Ueber diese Frage wird demnächst das 
Schöffengericht in Meerane in Sachsen zu entschei⸗ 
»en haben. In einem dortigen Verein gingen am 
b. ds. Mis die Wogen der Unterredung überaus 
hoch; der Vorsteher war in einer Angelegenheit, 
welche die Vereinskasse in Anspruch nahm, eigen— 
mächtig vorgegangen und nun stürmte man von 
allen Seiten auf ihn ein; ein besonders aufgereg— 
tes Mitglied rief aber dem hartbedrängten Vorsteher 
die geflügelten Worte zu: „Sie sind der reine 
Kaulbarsch?“ — Das zündete. Den russischen 
Heneral Kaulbars, der in Bulgarien gleich einem 
Geßler hauste, kennt Jedermann als die personifi— 
zirte Unver — frorenheit, und kaum war der Name 
dieses berüchtigten Großmunds ausgesprochen, als 
in der ganzen Generalversammlung ein so homer⸗ 
ssches Gelächter sich erhob, daß der Vorsteher heftig 
die Glocke hinwarf und drohend das Vereinslokal 
herließ. Schon am darauffolgenden Dienstag erhielt 
das betreffende Mitglied, welches die Kaulbarsch⸗ 
Injurie ausgestoßen, eine Vorladung zum Sühne— 
rinin; der angeblich Beleidigte verlangte indeß 
ine Bestrafuug — und somit ktommt der „Kaul— 
varsch vor die Schöffen. 
F Was einem Alles passirt, wenn man ein 
rusgemachter Pechvogel ist; nuun spiele ich seit 15 
Jahren in der preußischen Lotterie auf ein und 
dasselbe Loos, ohne einen Pfennig zu gewinnen, 
za nehme ich mir ein anderes, neues Loos, — bei 
der letzten Ziehung kam das alte heraus — und 
weil ich's bin, der ausgemachte Pechvogel — in 
der sächsischen Lotterie.“ 
(écine Ehejubiläumsmedaille) ha— 
—D 
würdige, einer Unterstützung nicht bedürftige Ehepaare 
in Preußen und in den Reichslanden zur Erinnerung 
an ihre goldene oder diamantene Hochzeit verlichen 
wird. 
Am Sonnabend, den 20. November Nach⸗ 
mittags, wurde, wie dem „Bl. Tgbl.“ aus Crone 
a. Br. geschrieben wird, der Apotheker Speichert. 
nachdem er zehn Jahre unschuldig im Zuchthause 
zugebracht, auf Grund des Gutachtens der Sach— 
berständigen-Kommission, welche die Exhumirung 
der Leiche der Frau Speichert vorsenommen, aus 
dem Zuchthauft zu Cronthal entlassen, wo ihn sein 
Bruder, der Amtsrichter in Cronthal ist, abholte. 
— f Ein verwegener Zluchtversuch 
aus dem Graudenzer Zuchthaus glückte dem Com- 
mis Otremba, welcher bis zum 11. Februar 1894 
eine 9ss-jährige Zuchthausstrafe wegen mehrerer 
Diebstähle, Uterschlogung und Hehlerei zu verbüßen 
hat. In einem Nebenraum des zu ebener Erde 
liegenden Arbeitssaales der Korbwaaren-Arbeiter ist 
ein großer Korb aufgestellt, in welchem der bei der 
Arbrit erstehende Abfall an Holz ec. gesammelt 
wird. Der Kord wird alltäglich Vormittags durch 
das Fuhrwerk des Fabrikanten abgeholt und in 
dessen außerhalb der Anstalt befindlichen Niederlage 
ausgeschüttet. Otremba hatte kurz vor der Ab⸗ 
holung des Korbes sich in den vorbezeichneten Neben⸗ 
raum mit Genehmigung des Stationsufsehers zur 
Verrichtung einer Arbeit begeben, sich in den Korb 
hineingelegt und mit dem Abfall bedeckt. Der 
dorb wurde alsdann unter Aufsicht des Beamten 
don zwei Gefangenen aus dem Arbeitssaal getragen, 
auf den inzwischen eingetroffenen Wagen des Fabri⸗ 
kanten gehoben und zur Anstalt hinausgefahren. 
In der Salzstraße ist Otremba, welcher in der 
Stadt genau bekannt ist, aus dem Korbe gespruugen 
ind hat das Weite gesucht. Die sofort von mehr⸗ 
eren Beamten und einer Militärpatrouille vorge— 
nommene Verfolgung ist ebenso erfolglos geblieben 
vie die settens des Regiments-Commandos be—⸗ 
reitwilligst angeordnetezsofortige Absuchung des 
Festungsglacis durch die Mannschaften zweier 
Fompagnien. 
Wien, 18. Nov. Heute wurde das Testa⸗ 
ment des Barons Gustav Heine publiziert. Es 
enthält hauptsächlich Bestimmungen über das Ver—⸗ 
mögen, welches seinen fünf Kindern unter einigen 
sübstituarischen Anordnungen zufällt. Die Herr⸗ 
chaften Schönkirchen, Raggendorf, Straßhof un—d 
Shdichfur sind ats ealegat fur den ducheehund 
Bustav und die Tochter Maria, Gräfin Sizzos on 
yestimmt. Das Testament enthält een 
deutende Legate, darunter für den Schriftstellern t 
»in „Concordia“ und dessen Witwen⸗und —8 
onds 10,000 fl, für Wohlthätigteiisasun 
0,000 fl, ferner Legate und Pensionen für 
annte und langjährige Diener. Frau — 
st eine Reute gewidmet. Ueber Heinrich 303 
und etwaitze Memoieren desselben enthält das — 
ment nichts. nud⸗ 
F Eine Claviersteuer soll in Wien einge 
ührt werden. Für dieselbe macht ein Freum 
„N. W. Tobl.“ folgende Vorschläge: „Ich fürch 
nur, daß die Steuer nicht ganz gerecht, — 
nach der größeren oder geringeren Ueppigkeit de— 
Tlaviere, bemessen wird. Es ist doch nicht gleich 
zültig, vnn wem ein Clavier geschlagen und 'oh 8 
zu Schandthaten oder zu halbwegs vernünftiger 
Musikmacherei benutzt wird. Ich möchte daher die 
Aufmerksamkeit der löblichen Steuerbehörde auf 
nachfolgende Clavier⸗ und Steuer-Scala lenken 
velche ich mir vorzuschlagen erlaube: 1) Fit 
Tlaviere, welche im Allgemeinen nur zu klassischer 
Musik benutzt und daher sehr wenig gespielt wer. 
den, ist eine jährliche Stuer von Z3fl. hinreichend 
2) Für Instrumente in Gasthäusern, welche auch 
olchen Personen zugänglich sind, die das Fiakerlie 
and dergleichen von Werkeln ohnehin abgehezzte 
Dinge zu spielen pflegen, beträgt die Steuer 2 
1. jährlich. 8) Für Claviere, auf welchem die 
„Klosterglocken“ oder das „Gebet einer Jungfrau' 
»der einschlägiges Zeug getrommelt wird — 24f. 
Steuer. 4) Für Marterkasten, auf welchen von 
ugendtichen Bösewichtern des Tages 4 —5 Stunden 
Scalen geübt werden — 48 fl. Steuer. 5) 
Wenn die besagten Scalen gar nicht gelingen 
vollen, sondern durch Zeugen erhärtet wird, daß 
die Kinder meistentheils falsch spielen — 783 s. 
Steuer. 6) Clavier Eigenthümer, welche auch nur 
inige Male des Jahres zulassen, daß ein musika 
ischer Kannibale mit dem Zeigefinger auf der Cla— 
»iatur herumfährt — 100 fl. Steuer. Ich bitte 
ringend nach dieser Scala vorzugehen bei der 
S„teuer Bemessung. Unter den 30,000 Wiener 
Tlavieren befinden sich mindestens 29,000, weiche 
in die höheren Kategorien fallen Das Gewinjel 
trägt dann wegigstens Geld!“ — Ein etwas hef— 
iger Herr, dieser Clavierfeind — aber er mein 
8 gut. 
Die Cholera ist neuerdings in Esseg in 
Slavonien ausgebrochen. — Furchtbar wütthe 
die Cholera auf Korea und Japan. In Jahan 
tarben 37000 unter 59000 erkrankten Persenen. 
In Korea war die Gesamtzahl viel größer und 
ntzieht sich jeder Berechuung. In der Huuptstadt 
Södul allein starben 36000 Personen aus emer 
Bevölkerung von 250,000 Seelen und der Ver 
ust in der Provinz ist verhältnismaßig eben so 
groß gewesen. Man befürchtet, daß die Epidemie 
in Korea noch nicht ihr Ende erreicht hat, wel 
die dortige Bebölkerung alle Gesetze der Hygiene 
mißachtet. 
(28 Freier und nur 2 Mädchen, 
Der „Bote aus der Urschweiz“ berichtet Folgendes: 
Vor dem Strafgericht in Schwyz erschienen 14 Alb— 
haler, angeklagt, in einer Fehde mit 14 jungen 
ꝛeuten aus Trachslau einen derselben erheblich dver 
etzt zu haben. Nicht weniger als 14 Söhdne der 
Valdstadt unternahmen einen „Kiltgang“ zu zwe 
zungfern auf dem Boden des „“alten Landes,“ Si— 
ogen aus mit Hörnern, Schellen und Handharm- 
nonika's. Diese Gebietsverletzung glaubten abe 
zie Junggesellen des Albthales nicht dulden zu sollen. 
Unter den kriegerischen Klängen einer Kuhschell 
zahten sie dem Lagerplatz der Trachslauer. Un 
eilperkündend etscholl von beiden Seiten der 
Zchlachtruf und bald tobte die Schlacht vor der Wohn 
ing der beiden Schönen, bis endlich die Trachslaue, 
achdem zwei der Ihrigen verwundet am Boden 
agen, sich in das Haus der Schönen zurüchzogen 
stun begannen aber die Albthaler die Belagerung 
)es Hauses, die Hausthüre und die Fenster stützten 
zusammen unter dem Steinhagel. Der Hauseigen⸗ 
hümer erhielt schließlich eine Frist bis 12 Unr 
ais zu welcher Zeit er die Belagerten herauszugeben 
Jabe. Er benützte die Zeit, um letztere zum fried 
hichen Abzug zu bewegen. Mit klingendem Spie 
zogen fie ab; die Trachslauer ebenfalls mit Mufl 
sintendrein. In Folge der Kiage eines verletzten 
Trachslguers wurden dann 10 Albthäler zu erbeb