Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des koͤnigl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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Der „St. Jugberter Anzeiger“ erscheint wöchenllich fünfmalre Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal woͤchentlich mit Unterhaltungs⸗ 
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Samstag, 8. Januar 188353. 
A ↄ3 Jahrg 
Deutsches Reich. 
Berlin, 5. Januar. Bei Sr. Majestät dem 
Kaiser und Könige find aus Anlaß des Jahres 
wechsels sowie zur Feier des 8ojahrigen Militär⸗ 
dienstjubiläͤums zahlreiche schriftliche Glückwünsche 
and Telegramme von Versammlungen und Vereinen, 
aamentlich Kriegervereinen, von städtischen Behörden 
und einzelnen Personen, sogar von Deutschen jen⸗ 
seits des Oceans, eingegangen. Wie wir erfahren, 
haben Se. Majestät diese Gratulationen, deren 
Beantwortung im Einzelnen bei ihrer großen An⸗ 
zahl unmöglich ist, gnädig aufgenommen und sich 
gerzlich gefreut. J 
Der „Schwäb. Merkur“ registriert aus der 
Zeitung von Bergamo ein italienisches Urtheil über 
ünseren Reichsstag. Wir theilen daraus 
das Folgende mit: „Die FJorfischritiler betheuern 
zwar ihre Liebe zum Reich, aber sie bekämpfen die 
Rtegierungspolitik, die Uttramontanen hätten gegen 
die Regierungspolitik nichts einzuwenden, aber sie 
sfind keine Freunde des Reiches. Daher kommt 
jenes Gefühl der Besorgniß, das den Fürsten Bis⸗ 
marck zuweilen beschleicht, daß das Werk, dem er 
sein Lehen gewidmet hat, ihn nicht überleben möchte. 
Wenn er nach so wunderbaren Erfolgen einen sol⸗ 
hen Kampf bestehen muß, um die Waffen und die 
Bewaffneten zu erlangen, die er für die Sicherheit 
des Reiches braucht, ist da nicht sein ergreifender 
Schmerzensruf gerechtfertigt? Man darf gewiß 
auch den Deutschen nicht Vaterlandsliebe absprechen 
and ohne Zweifel sind sie stolz darauf, eine gewifse 
Vorherrschaft in der Welt auszuüben. Aber in 
den lateinischen Völkern ist die Vaterlandsliebe 
diszipsinierter, sie ist weniger spitzfindig, weniger 
philosophisch und dafür geneigter zu größeren Opfern, 
wie in Frankreich und Italien zu sehen ist, wo 
aiemand sich beschwert über viel drückendere Steuern, 
als Deutschland leistet, um die hochgespannten 
und immer steigenden Militärausgaben zu bestreiten. 
Zwischen den Formen und der Höhe der Besteuer⸗ 
ing in Frankreich und Italien einecseits und 
Deutschland andererseits ist gar kein Vergleich; 
gleichwohl überwiegt in Deutschland der Sinn für 
Sparsamkeit, für wohlfeile Regierung und wohl⸗ 
jeiles Leben, unterftützt von den Parteistreitereien 
und dem noch immer lebenden Partikularismus, 
dergestalt, daß Zug um Zug das Gefühl für die 
nationale Einheit und für die Sicherheit des Reiches 
zu ersticken droht. Künftige Geschichtschreiber wer⸗ 
den Mühe haben, die Schwierigkeiten zu begreifen, 
die dem Kaiser und seinem Bismarck und Moltke 
bereitet werden, um ein Militär-Budget durchzu⸗ 
jetzen, das eine leichte Erhöhung erfahren hat und 
wveit unter demjenigen Frankreichs steht; wie sie 
anuch Mühe haben werden, den unversöhnlichen und 
dis dahin siegreichen Krieg zu verstehen, der allen 
Finanzentwürfen gemacht wird, vom Kanzler vor⸗ 
zelegt, um die Finanzen des Deutschen Reichs auf 
dauernde und unabhängige Grundlagen zu stellen. 
urz, der Furst Bismard hat keine sichere Mehr⸗ 
heit im Parlament; die ultramontane Partei weiß 
das zu verhindern. So stünde es auch in Jialien, 
wenn die Regierung von einer klerikalen Minder— 
heit abhinge; diesen Instinkt hat unser Land immer 
ganz wunderbar gehabt.“ 
Berlin, 5. Jan. Der, Rechsanzeiger“ ver⸗ 
offentlicht soeben ein Schreiben des Kaisers an den 
Kronprinzen, worin er für die Glüdwünsche der 
Armee zu seinem Dienstjubiläum dankt. Die Ar⸗ 
mee wisse, wie nahe sie dem Herzen des Kailfers 
mmer gestanden; sie werde verstehen, welche Em⸗ gerade den reichsunmittelbaren Familien neuerdings 
findungen den Kaiser in dem Gedanken bewegen große politische Vorrechte gewährt worden sind. 
erselben volle Achtzig Jahre angehört zu haben So sind bekanntlich im preußischen Herrenhause seit 
Der Sinn für Ehre und Pflicht über Alles hoch 1854 erbliche Sitze verliehen worden. 
uhalten und jederzeis bereit zu sein, dafür sein Leben „Bei Einführung einer Reichseinkommensteuer 
uu lassen, sei das Band, gelches alle deutsche Stän kann es garnicht fraglich sein, daß sämmtliche 
ne eng umschließe und welche des Kaisers Regier⸗1 ichsunmitlelbaren Familien ebenso wie alle übrigen 
ing mit Siegen geschmückt habe. Das Schreiben Bürger zu den Reichslasten heranzuziehen sind. Die 
chueßt: Es ist eine hohe Freude für mich, in Reichseinkommensteuer würde allein von diesen 
olcher Weise zur Armee sprechen zu dürfen über Familien ein hübsches Stuck Geld einbringen. 
die vergangenen 80 Jahre und sagen zu können, Handelt es sich doch dabei nicht bloß um die im 
daß wir wohl, ganz und fest zu einander gehört Zefsitz der Majorate und Fideikommisse befindlichen 
haben, ich danke mit ganzem Herzen der Armee Fürfien und Grafen, sondern auch um alle Seiten— 
mit der vollsten Trene, Hingebung und Pflichter· linien und Sprossen die ser Familien. 
füllung, wofür mein Dank, meine Anerkennung „Wenn die betreffenden Familien auch nur mit 
die lebendigste Emfindung meines Herzens bis zum einem mäßigen Satz zur Reichseinkommenstener her⸗ 
letzten Athemzug bleiben wird. angezogen werden, so dürfte sich daraus schon der 
Berlin, 6. Jan. Für eine Reichseinkommen⸗ Unterhalt für manches neue Bataillon und manche 
dteuer mocht die Freisinnige Ztg.“ heute geltend, neue Batterie mit Leichtigkeit beftreiten lassn. Der 
daß sie die Möglichteit gewähren würde, endlich auch Keichskanzler bezeichnete im Reichstag als Ziel seiner 
die vormals deihenamitelbacen Futsten und Grafen Kegierungspolitit. Zufriedenheit des Volkes, gute 
zu den öffentlichen Lasten einigermaßen heran⸗ Finanzen uͤnd ein starkes Heer. Eine Reichsein- 
zuziehen. lommensteuer in der Ausdehnung insbesondere auf 
In Preußen und, so diel wir wissen, auch im die Reichsunmittelbaren vermag in allen drei Rich⸗ 
aibrigen Veinschland sind sammiliche dormals reichz⸗ lungen forderlich zu sein. Durch die Unterwerfung 
unminelbaren Familien von der Einkommensteuer obiger Familien unter die Reichssteuerpflicht werden 
un fur ihre Demanialgüler seldst den der Grund. die Finanzen verbessert und wird das Reich in den 
fteuer defreit. Das Kriegsdiensigesez von 1867 Stand gesetzt, mit größter Leichtigkeit ein starkes 
lal diese Faminen soget von' der ollgemeinen Heer zu unterhalten. Zugleich aber, und darauf 
Wehrpflicht ausgenommen. Nicht einmal zum legen wir das meiste Gewicht, wird die Zusrieden⸗ 
Zasahichceiwimngendienst ionnen die Soͤhne dieser it des Volles erhöht durch die Beseiniaung einer 
Familien herangezogen werden. Im Kriege wie im Rechtsungleichbeit und Steuerfreiheit, welche ein um 
rieden ist diese Klaffe deusscher Siaatsbürger von so goberes Hffenttiches Aergernis darstellt, je mehr 
edem Dienst mit der Waffe, von jeder Uebung und die Staatslasten für die minderwohlhabenden Klafsen 
der Konrollversammlung befteil. Wunschen Glies in den letzten Jahren fortgesetzt gesteigert wor 
der vieser Famine freiillig in den Armeedientt den find. 
einzutreten, so erhalten sie sofort ein Offizierspatent 
und avanciren alsdann, auch ohne wirklichen Dienst 
zu thun, mit den Lebensjahren in die höheren 
Rangklassen bis zum General à la suite aufwärts. 
Die betreffenden paradiren bei Hoffesten im Glanz 
ihrer Generalsuniform, ohne von den Lasten und 
Bflichten des Militärdienstes weiter etwas zu ver⸗ 
spüren. 
„Die Ausnahmeftellung dieser Reichsunmittel⸗ 
daren wird in dem Maße unerträglicher, je höhere 
Anforderungen die Wehrkraft des Vaterlandes an 
persönliche Dienstleistungen und an die Steuerkraft 
aller anderen Bürger siellt. Allerdings haben die 
deutschen Bundesalle von 1815 den reichsunmittel⸗ 
baren Familien gewisse Vorrechte zugeslanden. 
Unter diese Vorrechte aber war eine Befreiung von 
direkten Steuern durchaus nicht einbegriffen. Gleich- 
wohl haben diese Familien die oben erwähnte 
Befreiung in Preußen nachher thatsächlich sich zu 
verschaffen gewußt. Die preußische Verfassung hatte 
reilich diese Vorrechte 1848 beseitigt. Zur Reab. 
ionszeit aber wurde die Verfassung dahin deklarirt, 
vaß dieselbe die Wiederherstellung der früher bestan⸗ 
denen Vorrechte der Reichsunmittelbaren nicht ent⸗ 
Jegenstehe. So ist der Art. 4 der Verfassungs 
ürkunde: „Alle Preußen sind vor dem Geset 
gleich, Standesvorrechte finden nicht statt“ thatsäch⸗ 
lich zu einer Ironie geworden. 
Die reichssunmittelbaren Familien sind von der 
tlassifizitrten Einkommensteuer in Preußen völlig be— 
—A 
eine Äbänderung des Einkommen; und Klassensteuer⸗ 
gesetzes in Frage stand, nahm die Kommission einen 
ernsthaften Anlauf, dieses Privilegium zu beseitigen. 
Dasselbe ist auch um so unhallbarer, als andererseits