Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M 5. —A 
Deutsches Reich. 
In den Beziehungen zwischen Deutschland 
und Rußland läßt sich zum mindesten eine 
Brsserung konstatiren; das Verhäliniß Oesterreichs 
zu Rußland dagegen ist trotz allen friedlichen Kund⸗ 
jebungen auf beiden Seiten nach wie vor ein ge⸗ 
panntes. Wenn der Krakauer „Czas“ meldet, 
Deutschland und Oesterreich seien darüber einig, 
Rußland die zeitweilige Occupution Bulgariens zu 
zestatten, so schießt diese Nachricht zur Zeit wenig⸗ 
ens wohl weit über das Ziel hinaus. Den russi⸗ 
schen Blättern wäre weise Mäßigung betreffs ihrer 
Frwartungen anzurathen, damit sie Enttäuschungen 
eintgehen. Die höchst vorlaute Ausdrucksweise der 
„Now. Wremja“, welche von einer Solidarität 
wischen Deutschland und Rußland bezüglich der 
hulgarischen Frage redet, und mittelst einer sehr be⸗ 
zeichnenden doppelten Negation die Hoffnung kund⸗ 
Jiebt, Deutschiand werde auf Oesterreich- Ungarn 
junmehr einen derben Druck im Sinne der russischen 
Forderungen ausüben, wird in Wien ebenso wenig 
Findruck machen, wie die früheren Drohungen der 
russischen Presse. Es liegt eine große Perfidie in 
dem Bestreben der panflavistischen Blätter, die loyalen 
Zwece der Veröffentlichung der gefälschten diploma⸗ 
üschen Aktenftüde derart zu verrenken, daß fich 
daraus eine Waffe gegen Oesterreich ergiebt. Nur 
auuf diese Weise bringt es die oben schon ge— 
rannte „Now. Wremja“ fertig, jene Veröffent⸗ 
lichung mit der Bemerkung zu begleiten, in Wien 
vürde man gut thun, bald zu begreifen, daß die 
Zeit, auf russischedeutsche Mißverständnisse zu spe— 
uliren, nunmehr vorüber sei. Der Groll der 
Panslavistenblätter scheint sich augenblicklich über- 
Jaupt wieder voll und ganz gegen Oesterreich zu 
ehren. Die „Nowosti“ bezeichnen Oesterreich Un⸗ 
zarn als den einzigen Gegner Rußlands. Durch 
den Groll bricht aber die, wohl in der letzten Zeit 
techt klar gewonnene, Uebderzeugung durch, daß 
Rußland mit allem Säübelrasseln nichts zu gewinnen 
hai. Auch ein Einzelkampf mit Oesterreich, meinen 
die „Nowosti“, wäre höchst unvortheilhaft, weil ein 
Rußland feindlicher europäischer Areopag die Frie- 
densbedingungen stipuliren würde; daher sei der 
gegenwärtige faule Friede noch besser, als ein vor- 
aussichtlich resultatloser Krieg. Man kann nur 
wünschen, daß diese letztere Anschauung weitere 
reise zieht, weil dann einige Aussicht vorhanden 
ifi, daß mit der Zeit auch die schwere Rüstung den 
Feinden des Friedens zu drückend wird. 
Berlin, 4. Januar. Soweit wir unterrichtet 
sind, haben Uunser Kaiser und Fürst Bis— 
marck der Friedenszuversicht fortwährend die feste 
Stütze ihrer Meinung verliehen. Ein Ausspruch 
des Fürsten Bismarck, der uns uber Hamburg zu⸗ 
kommt, ist dabei besonders charatteristisch. Als ein 
Unternehmer der Friedenszuversicht des Reichskanz 
lers gegenüber fich auf die Alarmnachrichten bezog, 
sagte FJurst Bismarck eiwas ungeduidig zu ihm: 
„Lassen Sie sich doch nicht verblüffen!“ 
Der Rath, sich nicht verblüffen zu lassen, wen⸗ 
det fich wohl an das gesammte deutsche Publikum 
und mag bei noch mancher anderen Gelegenheit 
ich nützlich erweisen. — Wir verzeichnen folgende 
fffzibse Zeitungsmeldungen, welche gleichfalls im 
Sinne der Beruhigung gehalten sind.“ — 
Daß, wenn der Horizont sich wirklich geklärt 
jat, die Schwierigkeiten noch keineswegs beseitigt 
varen, liegt auf der Hand. Die bulgarische Frage 
zleibt die offene Wunde des Erdtheils. Man be— 
zegnet neuerdings wiederum vielfach dem Gerücht, 
Samstag, 7. Januar 1888. 23. — 
s würde zur Regelung der bulgarischen Frage eine 
uropäische Konferenz zusammentreten. Von Lon · 
on aus wird der Kreuzzeitung“ sogar gemeldet, 
stußland sondire die Kabinette über eine Revision 
es Berliner Vertrages, wozu natürlich nur ein 
uropäischer Kongreß kompetent wäre. Aehnlich 
xeißt es in einer Pariser Zuschrift der „Pol. Corr.“, 
s habe sich in einem Theile der diplomatischen 
Welt seit dem Auflauchen der ernsten Kriegs⸗ 
esorgnisse und in Folge der letzteren die Ueber⸗ 
eugung nur befestigt, daß eine europäische Kon⸗ 
erenz das einzige Mittel zur Beilegung der bul⸗ 
—VDD— auch ein wirksames 
ofern die allseitigen friedlichen Betheuerungen 
zufrichtig gemeint seien. An kompetenter franzöfi— 
cher Sielle versichere man, daß Frankreich weder 
sußland noch Bulgarien gegenüber eine besondere 
igene Politik verfolge, sondern nur als allgemeint 
Herhaltungslinie die Achtung der Verträge festhalte 
As das geeignetste Unterpfand für die Erhaltung 
des Friedens. 
Am pessimistischen scheint man noch in London 
jesinnt zu sein. Von dort wird nämlich der 
Vossischen Zeitung“ telegraphirt: „Ungeachtet 
iniger friedlicher Abzeichen wird die politische Lage 
von den heutigen Morgenblättern durchaus nicht 
ptimistisch beurtheilt. Die Ansprache Tiszas, so⸗ 
vie die Einberufung der österreichischen Reserven 
cur Uebungszwecke werden nicht als friedliche 
Symptome abgefaßt. Der „Standard“ sagt, Fürst 
Bismarck sei nicht der Mann, der sich durch die 
sohlen Friedensversicherungen Rußlangs einlullen 
assen werde. Nach Allem beurtheilt, was er bis⸗ 
ang gethan, werde er auf bessere und befriedigen⸗ 
ere Verficherungen der friedlichen Absichten Ruß⸗ 
ands bestehen, oder er werde es itgendwie zu 
Stande bringen, daß die Mächte, welche auf Un⸗ 
)eil sinnen, wenn alle ihre Vorkehrungen vervoll · 
tändigt sind, gezwungen werden, zu versuchen, 
hren Zweck zu erreichen, ehe sie vollständig vor- 
Jereitet find· — 
In der Untersuchung, wer als Urheber der 
Jefälschten Aktenstücke anzusehen sei, 
suder russfische Gesandte in Brüssel, Baron 
ürrussow, viel genannt worden. Wie jetzt aus 
Brüssel gemeldet wird, hat das Petersburger Kabi⸗ 
aet den belgischen Vertreter von seinem Posten 
uübberufen. 
Berlin, 4. Jan. Nach den heute aus San 
stemo vorliegenden Meldungen haben sich die katar⸗ 
halischen Erscheinungen beim Kronprinzen ver- 
nindert. Auch hat derselbe heute mit der Kron⸗ 
xrinzessin eine Spazierfahrt gemacht. Die „Magd. 
Ztg.“ bringt noch folgende Meldung aus San 
stemo: Die mit Schleimbildung verbundenen ka— 
arrhalichen Erscheinungen, die, wie ich wiederhole, 
u keinen Besorgnissen Anlaß bieten, haben erheb⸗ 
ich nachgelassen. Wenn nur das Wetter den 
deilungsptozeß unterstützt, ist ihr baldiges gänz⸗ 
iches Verschwinden mit Sicherheit zu erwarten. 
Zeute ist es endlich wieder sonnig und windstill, 
d daß der Kronprinz ausgehen kann, wonach er 
elbst lebhaftes Verlangen trägt. 
Der Kronprinz hat den ihn behandelnden 
lerzten zu Neujahr prachtvolle Geschenke gemacht. 
So erhielt, wie die „N. R.“ mittheilen, Sit Morell 
Mackenzie ein vollständiges chirurgisches Besteck, Dr. 
krause eine Brillantnadel, Dr. Schroeder zwei 
rachtvolle japanische Vasen, Dr. b. Bergmann ein 
Zilberbestece für 24 Personen, Dr. Schmidt ein 
oldenes Tintenfaß. 
. Bezüglich des Fürsten Bismarck, über 
dessen Befinden die Nachrichten durchaus erfreulich 
lauten, hoͤrt man erneut versichern, daß dessen Ueber⸗ 
fiedelung zu bleibendem Aufenthalt in Berlin für 
die Miute dieses Monats bestimmt zu erwarten sei; 
damit würde auch zweifellos dessen Betheiligung 
an den Reichstagsarbeiten in Aussicht stehen. 
Wie jetzt ersi bekannt wird, ist der Geh. Com⸗ 
merzienraih v. Bleichrder vom Czaren bei 
dessen Besuche am Hofe des deutschen Kaisers in 
Berlin in längerer Audienz empfangen worden. 
Berlin, 4. Jan. Das Kroͤnungs- und 
Ordensfesst soll nach allerhöchster Bestimmung 
diesmal am 22. Januar begangen werden. Das⸗ 
selbe pflegt die Hoffestlichteiten stets einzuleiten, 
welche jedoch am 14. k. M. (Fastnacht) ihr Ende 
erreichen. 
Der „Reichsanzeiger“ warnt vor dem neuerdingẽ 
von niederländischen Firmen betriebenen Pro— 
messenhandel und Verkauf, don Loos-An⸗ 
theilscheinen, weil die niederländischen Behör⸗ 
den bei Nichtzusendung des versprochenen Werth⸗ 
dapieres jedes strafrechtliche Einschreiten gegen die 
doosverkäufer ablehnen und den Geschädigten auf 
den kostspieligen und meist aussichtslosen Civilweg 
verweisen. 
Dem Bundesrath ist der Gesetzentwurf, be⸗ 
reffend die Feststellung des Landeshaushaltsetats 
„on Elsaß⸗Loihringen für das Etatsjahr 188889 
ugegangen. Ferner liegt dem Bundesrath ein Ge— 
hentwurf fur Elsaß Lothringen, betreffend das 
Theilungsberfahren beim gerichtlichen Verkauf von 
Regenschaften mit Begründung vor. Der Entwuri 
amsaßt in vier Abschnitten 57 Paragraphen. 
Die Thaͤtigkeit der Kommission zur Ausarbei⸗ 
ung des bürgerlichen Gesetzbuches ist noch 
nichi beendet; es bleiben noch auszuarbeiten das 
Finführungsgesetz, die Grundbuchordnung, das Ge⸗ 
etz beir. Zwangsvoll streckung in unbewegliches Eigen⸗ 
hum und das Gesetz betr. die Behandlung der 
Extraiudicialsachen. 
Ausland. 
Der französischen Hetzprefse wird ueuer⸗ 
dings von der „Koln. Ztg.“ wie folgt der Tex⸗ 
gelesen: „Die Niederträchtigkeiten gegen den deutschen 
steichskanzler werden als Niederträchtigleiten gegen 
„as deutsche Volk empfunden, und alles hat seine 
Brenze, auch die Geduld deutscher Herzen. Mag 
s zum besonderen Vorrecht der Republikaner ge⸗ 
pdren, ihr Staatsoberhaupt wie den niedrigften 
dump und ihre Staatseinrichtungen wie die Aus⸗ 
seburt von Eseln und Affen zu behandeln: das 
Iusland hat, sollte man nicht vergessen, andere 
Befühle und Ueberlieferungen, die nicht täglich un— 
sesiraft verletzt werden dürfen. Wenn Carnoi 
Friedfertigkeit nicht blos im Mund führt, so wird 
r dem Grevy'schen Ideal der ungebundenen Miß⸗ 
jandlung der ausländischen Regierungen und her⸗ 
vorragenden Persönlichkeiten ein Ende machen und 
die Kammer veranlassen, ihr unheilschweres Preß⸗ 
gesetz zu verbessern. Auch die —AXX 
Siaalsoberhauptes in Frankreich ist seit dem Feld⸗ 
sug der Rothen gegen Grevy gänzlich nicht nur 
uinpassend und rüuchsichtslos, sondern chnisch und 
zrutal geworden; auch das kann unmoglich zum 
Frieden der Republik dienen. Man laßt seit fafl 
sehn Jahren in Frankreich Krieg mit Deuischland 
ind Bürgerkrieg predigen: wird man denn nie ein⸗ 
sehen, daß es Frevel ist, das eine wie das andere 
durch Demagogenstreiche herbeizuführen, und daß 
8 doppelter Frebel ist, auf beides zugleich hinzu⸗