Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Der Et⸗ Atnberren pieiger erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertüge. Amial wochentlich mit Unterhaltungs⸗Blatt und Mittwochs und —XRX 
mit 18nstrtn ten Beilagsu. LKas Blait kostet dierteljährlich 1 60 einschlleßüch Trägerohn; durch die ost vezogen 175 4, einschließlich 40 4 Zuslellungsgebuhr. 
Die Sinruicknugegroner sir die Agespaltene Garmondzeile oder deren Kaum betragt hei Inseralen aus der Pfalz 10 —, bei außerpfalzischen und solchen auf welche die 
Trvpedltior Anstunft ertbeilt, 18 4, NReklamen 30 . Vel 4maliger Ruruckung wird nur dreimalige berechnet. 
2090. 
Samstag, 13. Dezember 1899. 25. Jahrz. 
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Politische Uebersicht. 
*Den Mittelpankt des parlamentarischen In⸗ 
teresses der abgelaufenen Woche bildete unstreitig die 
dreitägige Generaldebatte des Reichstages 
über den Etat, welche die Sitzungen vom 9., 
10. und 11. Dezember nahezu vollständig ausfüllte. 
Auch diesmal gestaltete sich die erstmalige Etats⸗ 
derathung zu einec Erörterung der wichtigsten 
schwebenden Fragen der gesammten Reichspolitik, 
velche zugleich bereits einen gewissen Schluß auf 
yen weiteren Verlauf der Reichstagssession erlaubte 
und dieser geht dahin, daß die Session im Ganzen 
recht günstig verlaufen dürfte. Allerdings ließen die 
Ausführungen der Hauptredner der linken Seite 
ses Hauses, der Herren Richter, Rickert und Bebel, 
erkennen, daß die Parteien derselben wahrscheinlich 
nuch diesmal auf dem oppofitionellen Standpunkte 
verharren werden, dagegen bekundeten die Dar—⸗ 
egungen der Redner von der Rechten, vom Zentrum 
und don den Nationalliberalen, daß diese letzterrn 
Parteien eine entgegenksmmendere Stellung gegen⸗ 
iber der Regierung einnehmen und dies verheißt 
eine ersprießliche Gestaltung der ferneren Reichsstags⸗ 
urbeiten. 
*Dem Bundesrathe ist eine Novelle zum 
Branntweinstenuergesetz zugegangen. Die⸗ 
elbe ist eine Folge des Antrags der badischen Re⸗ 
zierung, der die Steuerbefreiung des sogenannten 
Haustrunks, d. h. des zum Genuß in der Familie 
zereiteten Branntweins verlangt und diese For⸗ 
derung damit motivirte, daß bei der gegenwärtigen 
Besteuerung die Bereitung dieses Haustrunkes un⸗ 
möglich sei. Die der Novelle beigegehene Begründ—⸗ 
ing erkennt diese Bedenken nur tbeilweise an, giebt 
Wer zu, daß im Jateresse der kleineren ländlichen 
Betriebe etwas geschehen müsse. Es handelt fich um 
1500 Betriebe mit einer Gesammiproduktion von 
83 000 Hektol. Fur dieselben soll eine Neube⸗ 
messung des Kontingents eintreten, so daß fie ein 
Fünftel mehr als bisher zu dem niedrigeren Steuer⸗ 
atz produziren dürfen. Mehr zu gewähren sei un⸗ 
möglich. Die mehr zufallende Kontingentsmenge 
vird 10- 12 000 Hektoliter reinen Alkohols be⸗ 
ragen. Für ddie landwirthschaftlichen Brennereien 
zat sich die Bemessung der Brennkampagne vom 1. 
Ottoder ab als falsch herausgestellt. Infolge dessen 
chlägt die Novelle vor, den Anfangstermin auf 
den 1. September zu verlegen, die Gesammtdauer 
der Brennkampagne aber nach wie vor auf 81 
Monate zu begrenzen. 
*Die Angelegenheit des dem ehemaligen preu⸗ 
zischen Landwirthschaftsminister Dr. v. Lucius 
tlassenen Fideicommißstempels zieht noch 
mmer ihre Kreise. Neuerdings hat das Sprach⸗ 
oxgan des Fürsten Bismarck, die „Hamb. Nachr.“, 
nit einem abtermaligen Artikel in die Polemil 
ierüber eingegrifzen, in dem die Ansicht verfochten 
vird, daß der Sclaß von Steuern und Abgaben in 
Breußen durch den Konig rechtlich zuläffig sei, 
wvelcher Anfichten auf vielen Seiten freilich ent⸗ 
chieden entgegengetreten wird. Bei der prinzipiellen 
Wichtigkeit der ganzen Frage ist es wohl zweifellos, 
daß der Lucius'sche Fall im preußischen Abgeord⸗ 
aetenhause noch zur Sprache lommen wird. 
* Die Wiener Zollkouferenzen zwischen 
den Vertretern Deutschlands und Oesterteich- Ungarns 
dehmen fortgesetzt einen recht befriedigenden Ent⸗ 
vickelungsgang. Kaiser Franz Josef sprach bei dem 
nn der Hofburg zu Ehren der Konferenzdelegirten 
langefundenen Diner die Erwartung aus, daß der 
Iusgang der Vertragsberhandlungen ein gedeihlicher 
ein werde. — Dr. Herbst, der greise Führer 
er liberalen Pariei Osterreichs, feierte am Dienstag 
einen 70. Geburistag unter allseitigen Beglück 
vuünschungen. 
* Der mit der erfolgten Eidesleistung des 
Broßherzogs Adolf befiegelte Thronwechsel 
n Luxemburg macht, da nun das Großherzog⸗ 
hum eine vollkommen unabhängige Stellung ein⸗ 
nmmt, auch eine Vertretung desselben nach außen 
iothwendig. Es sollen zunächst solche Vertretungen 
Ldurxemburgs in Berlin, Paris und Wien errichtet 
verden, wahrscheinlich dürften aber die luxemburgi⸗ 
chen Gesandtschaftsposten bald noch eine Vermehrung 
rfahren. — Der Großherzog lehnte die angebotene 
ẽntlassung des bisherigen luxemburgischen Kabinets 
zankend ab. 
* Das „souveraine“ Volk von Irland 
jat nun in der Parnell⸗Crifis auch das Wort er⸗ 
zriffen und sich für Parnell entschieden. Wie 
ein Triumphator, nicht wie ein moralisch Verur⸗ 
theilter, ist Parnell auf dem Boden seiner Heimats— 
insel von der Bevölkerung aufgenommen worden, 
in Dublin wurden ihm sogar die Pferde vom 
Wagen gespannt und letzterer von jubelnden Men⸗ 
schenmassen nach dem Rotundasaale gezogen, wo 
Parnell eine Ansprache hielt. Offenbar ist Parnell 
der wirkliche Sieger über die ihm opponirende 
Mehrheit der irischen Varlamenisfraktion. 
Deutsches dieich. 
Berlin, 11. Dez. In der Nachmittagsfi— 
zung der Vertreter der freien Hilfskassen wurde 
die Forderung, betr. die Uebernahme der Unfallent⸗ 
schadigung durch die Berufsgenossenschaften vom 
Tage des Unfalls an, und zwar für alle Personen 
mit einem Arbeitsvecdienst unter 2000 Mk., ange⸗ 
nommen. Ferner wurde ein Antrag, betr. etwaige 
Schaffung von Verbänden beim Fortbestehen der 
freien Hilfskassen, guigeheißen; sei letzteres nicht 
der Fall, so solle eine allgemeine Krankenunterstütz⸗ 
ingskasse ins Leben gerufen werden. Ferner spricht 
äch eine genehmigte Entschließung für Selbstver⸗ 
waltung der Kassen aus. 
Berlin, 12. Dez. Reichstag. In erster 
und zweiter Lesung wurde der deutsch⸗tür- 
kfische Handel sSdertrag angenommen. 
Das Haus trat sodann in die Beratung der 
zuckersteuervorlage. Staatssekretär Frhr. b. 
Mal tz ahen hebt hervor, die Vorlage wolle Material⸗ 
teuer und die Steuervergütung beseitigen. Nur schwer⸗ 
viegende Gründe hätten die Regierung dazu bestimmt, 
den alten Zustand zu beseitigen, daß für jedes Pfund 
Zucker aus allgemeinen Abgaben eine Bonifikation 
zewährt werde. Die Aufhebung der Bonifikation 
omme dem Steuerzahler zugute. Der Zeitpunkt 
ur Aenderung des bisherigen Steuersystems sei 
Jünstig. Die deutsche Rübe habe den größten 
Zuckergehalt, die deutsche Technik sei die vollkom- 
nenste. Die Zuckerindustrie beherrsche den inländ⸗ 
ischen Markt. Die Befürchtung, daß die Aufheb⸗ 
ung der Bonifikatior den Export schädige, hegten 
die Regierungen nicht. Die Zuckerindustrie sei aus 
einem landwirthschaftlichen Gewerbe zur eigenen 
zroßen Industrie geworden. Die Landwirthschaft 
Jabe kein Interesse daran, daß die Ausnützung des 
Zuckergehalts der Rüben sich noch weiter steigere. 
Die Beibehaltung des jetzigen Systems führe nur 
leberprodultion herbei; maen duürfe den Zuckerex 
vort nicht mehr aus allgemeinen Mitteln stärken, 
umal auch die Reichsauszaben in foriwährender 
Steigerung begriffen seien. Für die Uebergangszeit 
jei noch eine Prämie vorgesehen. 
Witte stimmt zu. Die Berechnung der seit 
1871172 gezahlten Exportprämien ergebe 481305 526 
Mk. Infolge der Vorlage werde eine Steigerung 
der Preise auf dem Weltmarkte eintreten und die 
Zuckerindustrie auch ohne Exportprämien konkurrenz⸗ 
ähig bleiben. Wenn Deutschland die Prämien ab⸗ 
chaffe, werde sich diesem Vorgehen kein Volk ent⸗ 
ziehen können. — Graf Stolberg⸗Wer— 
naigerode: Unter dem jetzigen Steuersystem sei 
die deutsche Zuckerindustrie die größte der Welt ge⸗ 
vorden. Es sei gar nicht angezeigt, dak Deutsch⸗ 
sand mit Abschaffung der Materialsteuer voran⸗ 
zehe. — Oechelhäuser (al.) erklärt, daß er 
zur namens eines Teiles seiner Freunde spreche. 
Der Hauptipunkt der Vorlage liege in der Beton⸗ 
ung der Nowendigkeit höherer Einnahmen für das 
Reich. Die Abschaffung des histocisch berechtigten 
Prämiensystems sei nicht zu billigen. Redner be— 
pricht dann die durch die Vorlage der Landwirthschaft 
ugefügte Schädigung und bittet, die Vorlage in 
nem günstigerem Zeitpunkt einzuführen. 
Siaatssekretär Frhr. v. Maltz ahm erwidert⸗ 
nan habe 1889 noch die Hoffnung gehabt, durch 
eine Zuckerkonvention die Abschaffung der Prämien 
serbeizuführen. Er hätte damals unmöglich andeuten 
önnen, daß die Regierung hierin selbstständig vor⸗ 
zugehen beabsichtige. — Kardorff tritt für Auf— 
cechterhaltung der Materialsteuer ein; er müsse warnen, 
zie deutsche Zuckerindustrie als jeder Konkurrenz über⸗ 
egen darzustellen. Das Experiment werde dieselbe Ka— 
astrophe für die Zuckerindustrie herbeiführen, wie 
die Aufhebung der Eisenzolle in der Eisenindustrie. — 
deine (Soz): In die Tasche der 100 000 Ar⸗ 
deiter der Zuckerfabriken fließe ebenso wenig, wie 
in die der Verbraucher. Seine Partei könne sich an 
dem Ausbau der bestehenden Gesellschaftsordnung 
nicht beteiligen. — Dr. Buhl erklärt namens 
eines Teiles der Nationalliberalen, er stehe auf 
dem Boden der Vorlage und fasse die Folgen der 
Vorlage nicht so schwarz auf, wie die Gegner. Er 
Jlaube, daß durch unser Vorgehen die auswärtigen 
Begner der Prämien eine bedeutende Stärkung er— 
fahren würden. 
Die Vorlage wird einer Kommisfion von 28 
Mitgliedern überwiesen. 
Naͤchste Sitzung heute Nachmittag 4 Uhr. Der 
Reichstag stimmte in derselben dem Antrag der 
Sozialisten, betreffend Einstellung des Strafver— 
ahrens gegen den Reichstagsabgeordneten Kunert, 
zu und nahm in dritter Lesung einstimmig den 
zeutsch · türlijchen Handelsvertrag an. Ferner nahm 
der Reichstag den Antrag der Geschäftsordnungs⸗ 
lommission, betreffend Nichtgenehmigung der straf⸗ 
rechtlichen Verfolgung wegen Beleidigung des Reichs⸗ 
lages an. Die nachste Sitzung findet am 18. 
Januar statt. Auf der Tageßordnung stehen die 
Anträge der Sozialdemokraten und der Freisinnigen, 
hetreffend die Lehensmittelzölle. 
Ausland. 
Paris, 12. Dez. Die Lage im Kohlenbezirk 
Cransac ist bedrohlich⸗ 18 Abieilungen 
Gendarmerie find nicht imstande, die Gruben zu 
chützen, welche die entlassenen Bergleute in die 
duft zu sprengen drothen. Der Präfekt, der Brigade⸗ 
zeneral und der Chefkommandant der Gendarmerie 
sind anwesend und ließer heute früh von Rodez 
ein Linienbataillon zur Verstärlung lommen. 
Paris, 12. Dez. Dem „Echo de Paris“ zu⸗