Full text: St. Ingberter Anzeiger

eine Rede über Selbsthilfe und Staatshilfe gehalten, der wir 
solgende Stellen entnehmen: „In Bezug auf die Grundsätze der 
Selbsthilfe und der Staatshilfe sind die Meinungen in Arbeiter 
reisen noch nicht übereinstimmend. Ein Fortfchritt der Anschau— 
ungen ist jedoch nicht zu erkennen. In Oesterreich, wo sich bei 
zem neuen Aufschwunge des öffentlichen Lebens Arbeitervereine 
heider Richtungen gebildet haben, sind sich die Parteien nicht 
nehr so schroff gegenüber getreten. Die Vereine, welche die Er— 
reichung der Staatshilfe zur Verbesserung des Looses der Arbei— 
er auf ihre Fahne schreiben, haben doch auch das Gute an den 
Bestrebungen der anderen Partei anerkannt und haben die Sorge 
ür Ersparungsanstalten und die Fördernug von Bildung und 
Aufklärkng gleichfalls in ihre Bestrehungen aufgenommen. Außer 
»en blos politischen Bestrebungen nach Erlangung politischer Macht 
nittels des allgemeinen Wahlrechts haben sie sich auch die prak— 
ischen Bestrebungen nach Selbsthilfe zu eigen gemacht. In neuerer 
Zeit hat die Betheiligung det Arbeitet am Eigenthum und dem 
ertrage der Gewerbsunternehmungen, die industrielle Theilhaber— 
chaft, viel von sich reden gemacht und es ist diese Einrichtung als 
ein vielversprechender Versuch zur Lösung der „socialen Frage“ 
hbegrüßt worden. Ein neues Beispiel von Theilhaberschaft der 
Arbeiter an ihter Fabrikunternehmung hat kürzlich Hert Borchert 
in Berlin zur Ausführung gebtacht, indem er seinen Fabrikarbei— 
tern die Erwerbung eines Antheils an seiner Fabrik durch An— 
kauf von Aktien möglich gemacht hat. Wenn auch solche Ver— 
sjuche als Ausslüsse von Bestrebungen, die Arbeiter zufrieden zu 
tellen, lodenswerth sein mögen, so könnnen dieselben doch nicht 
als anbedenklich für die Arbeiter bezeichnet werden. Die Gefahr 
liegt darin, daß die Arbeiter übervartheilt werden können, da sie 
richt im Stande sind: die Nichtigkeit der Werthschätzungen solcher 
Anternehmungen zu beurtheilen. Die Betheiligung der Arbeiter 
amm Reingewinn der Unternehmun en scheint deshalb mehr ein— 
afeblenswerth, weil die Arbeiter dadurch nicht so sehr der Gefahr 
von Verlusten ausgesetzt werden. Die verschiedenen Arten der 
Organisation der Arbeit auf dem Wege der Productiv-Association, 
der industriellen Theilhaberschaft oder hermittels der Privatin— 
dustrie haben jede ihre besondere Bedeutung und, eigenen Werth. 
Es ist aber unmoͤglich, einem dieser Systeme die gauze Zukunft 
zuzusprechen. Privatunternehmen werden jedenfalls auch in Zu— 
unft die Mehrzahl ausmachen. Jene anderen Arten zur Verei— 
nigung der Arbeiter sind jedoch geignet, denselben Gelegenheit 
zu geben, um selbstständig zu werden. Die Privatindustrie kann 
dadürch gezwungen werden, tüchtigen Arbeitern bessere Löhne zu 
ahlen und jene neueren Formen der Industrie haben soͤmit für 
die gesammte Arbeiterklasse ihren hohen Werth. Alle diese For— 
nen der Arbeitsorganisation beruhen der Hauptsache nach auf dem 
Hrundsatze der Selbsthilfe. Die Selbsthilfe ist es, deren klug be— 
rechnete und beharrliche Verfolgung im wirklichen Leben die schönsten 
Früchte zu liefern verspricht, und weit entfernt, die Menschen gegenseitig 
zu isoliren, weist sie vielmehr auf die Solidarität der Juteressen 
der Menschheit und hält ab vom Haß und der Schärfung und der 
Unterschiede zwischen yerschiedenen Gesellschaftsklassen“ 
— Der Prager Wetterprophet, Herr Seyeek, eröffnet für den 
April reichliche Aussichten auf Schnee, Regen, Feuchtigkeit und 
Nebel, und erlaubt nur hie und da dem blauen Himmel ein 
tlein wenig durchzublicken; erst vom 24. - 30. April werde die 
Sonnenwärme zuuehmen. 
F Posen, 21. März. Die Pos.Ztg. enthält unter der 
leberschrift „Enthüsllung“ nachstehende Mittheilung: „In einem 
Städtchen unserer Proyinz erkrankte vor meyreren Tagen eine 
irme Frau und ließ sichh, da sie sich dem Tode nahe fühlte, den 
Heistlichen mit den Sterbesacramenten kommen. Diesem gestand 
ie sodaun in der Beichte, daß sie vor etwa 830 Jahren von einem 
naben entbunden, einen Dienst als Amme bei der Gräfin X 
erhielt, die ebenfalls mit einem Knaben niedergekommen- war. 
Als sie uun eines Tages mit dem gräflichen Kinde ihr eigenes 
nesuchte, zog sie dem ersteren die Kleiderchen ihres Kindes und 
diesem wieder die des gräflichen Kindes an, nahm ihr Kind in 
ie gräfliche Familie und ließ das gräfliche Kind als ihr eigenes 
urück. Da weder die Pflegefrau ihres Kindes nmoch die gräfliche 
Familie „(melche nach einer anderen Correspondenz, die uns hie⸗ 
über zuging, damals auf Reisen war,“ bemerkt hierzu die Redac— 
ion der Pos. Zig.) diesen Tausch hemerlt hat, so hat quch Nie— 
nand bis auf den heutigen Tag davon etwas erfahren. Jener 
nabe ist als junger Graf erzogen und hat sich als solcher auch 
»ereits mit einer Dame aus alter gräflicher Familie verheirathet; 
der wirklich gräfliche Sohn ist als armer Junge erzogen, hat ge— 
zient und sich endlich verheirathet und ist gegenwärtig unweit sei— 
ier gräflichen Besitzungen Komornik mit einigen Kindern. Die 
Frau sagte, daß sie nicht sterben könne, ohne dieses Geheimniß 
ffenbart zu haben. Den Geistlichen traf diese unglaublich klin— 
sende Eröffnung ganz unvorbereitet. Er wandte sich sofort an 
eine vorgesetzte Behörde und erhielt von dieser die Weisung 
— 
hrem Gestaͤndnisse bleibe, und, falls dies der Fall sein sollte, so— 
fott davon Anzeige zu machen. Dies soll denn auch, da die Frau 
bei ihrer Aussage verharrte, geschehen sein. Da diese Angelegen- 
heit zwei altadelige Familien unseres Großherzogthums betrifft, 
ss gebe ich die Geschichte nur mit Vorbehalt, wie ich fie von 
zlaubwürdigen Personen dieser Tage gehört. Wie ich vernom⸗ 
nen, soll bereits die gerichtliche Untersuchung der Sache eingelei⸗ 
et sein, die jedenfalls ergehen wird, ob die mysteriöse Geschichte 
daht oder ob die Frau nur schwindelt, um ihrem wielleicht 
in großet Armuth lebenden Sohne noch vor ihrem Tode 
zu helfen.“ 
* Toulon, 28. März. Die Wartfäle und die Bureaur 
des Bahnhofes von Toulon sind durch eine Feuersbrunst gerstört 
vorden. Es sind nur die vier Wände stehen geblieben. 
—Neapel, 20. März. Die„Italie“ erzählt foigenden 
Fall, welcher bet Ponte Landolfo vorgekommen sein soll: Ein 
fFuwelier, welcher viela kostbave Gegenstände bei sich führte, hatte 
Jufnahme im Haus eines Priesters verlangt. Bei Nacht: hörte 
nan klopfen; die Magd fragt: „Wer ist's ?? — und die Ant⸗ 
vort lautet: „Der Richter.“ „Zwei Personen treten ein und 
techen sie nieder, ohne daß sie einen Laut von sich geben konnte. 
Sie trelen in das Zimmer des Priesters und ermorden auch 
ihn. Der Juwelier, durch das Geräusch erwacht, bewaffnet sich 
mit einem Revolver, stürzt sich auf die Mörder und tödtet sie. 
Als man sie näher ansah, waren es — der Richter und der 
Kanzlist des Orts. 
7 In Ueckheim bei Zofingen (K. Aargau) ist eine 24jährige 
Somnambule, Meili Nöthinger, erstanden; unter Assistenz zweier 
Pfarrer und im Beifein einer großen Menschenmenge, selbstver— 
ffändlich überwiegend weiblichen Geschlechts, wußte sie in wieder— 
holten Audienzen eine Menge Zeugs zu reden; von den durch das 
Bezirksamt geschickten Aerzten sich untersuchen zu lassen, weigerte 
sie sich eutschieden; sie dazu zu nöthigen, war bei der Erregtheit 
der gläubigen Menge nicht geheuer. 
F In Moseciska (Galizien) macht ein Cassadiebstahl großes 
Aufsehen. Aus dem Local der Gemeindecasse, neben dem mehrere 
dolizeileute schliefen, wurden in der Nacht zum 28. d. M. theil— 
veise durch Eröffnung, theilweise durch Einbruch guter Vexirschlös⸗ 
er, zwei große Cassatruhen mit 15,640 fl. baarem Geld und 
27,000 fl. Obligationen gestohlen und vor der Stadt erbrochen. 
rinem kurz zuvor vom Landesausschuß erlassenen Befehle, den 
raciren Cassabestand an die Lemberger Sparkassen abzuführen, 
var Seitens des Magistrats nicht nachgekommen worden. Die 
Bürgerschaft hat eigenthümliche Vermuthungen. 
— Die Häringsfischerei in Norwegen, ist jetzt bald beendet, 
Es sind im ganzen nur circa 400,000 Tonnen gefangen worden, 
ein Resultat, wie es so schlecht in den letzten zehn Jahren wenig— 
tens nicht vorgekommen ist. 
f Verlorene Schiffe. Die Anzahl der Segelschiffe, 
welche im Jahre 1867 mit Gewißheit gänzlich verloren gingen, 
zeläuft sich nach dem Bericht des Bureau Veritas auf 2711, die 
der Dampfschiffe auf 131. Hierzu kommen nöoch 208 Segel- und 
Dampfschiffe, die wegen Mangel näherer Nachricht als verloren 
inzusehen sind, welches dann die Totalsumme von 3045 Schiffs⸗ 
derlusten giebt, gegen 2932 des Jahres 1866, mithin für das 
Jahr 1867 ein Mehr von 113 Verlusten. Von jdiesen 3045 
in Jahre 1867 verloren gegangenen Schiffen wurden 379 ange⸗ 
egelt, 1433 scheiterten, 452 sanken, 5 gingen durch Explosion 
verloren, 79 verbrannnten, 8 gingen im Eise verloren, 319, wo ; 
yvon die Ursache des Verlustes nicht constatirt werden konnte, 177 
vurden condemnirt und 203 sind verschollen. Der Flagge nach 
gehörten sie folgenden Nationen an: Engländer 1438, Amerikaner 
364, Franzosen 273, Holländer 112, Preußen 156, Norweger 
116, Italiener 62, Dänen 69, Oesterreicher, 31, Spanier 45, 
Schweden 46, Hamburger 12, Bremer 11, Lübecker 1, Russen 
39, Griechen 36. Oldenburger 8, Portugiesen 11, Belgier 7, 
Mecklenburger 18, Türken 7, Brasilianer 5, Haitier 8, Hawaiische 
2, sonstige Nationen 10, von unbekannter Flagge 163. In den 
Monoten October, November und December des Jahres 1867 
zingen allein 1025 Schiffe verloren, zu diesen kommen noch 35, 
zie als aerloren oder verschollen anzusehen sind, gibt innerhalb 3 
Monaten die große Zahl von 1060 Schiffen. 
Lundwirthschaftliches. 
Vortheile bein Flachsbau. Man hat über allen 
Zweifel festgestellt, daß durch das Dörren des Leinsamens die 
Flachssernte bedeutend vermehrt wird. Nach derartigen angestell⸗ 
en Versuchen ergab sich, daß man auf einen Morgen (circa 180 
ZQuadratruthen) der mit ungedörrtem Leinsamen bestellt war 63Bs2 
Zfund Flachs, während man auf derselben Fläche, die aber mit 
edörrtem Leinsamen bestellt war, 180 Pfund Flachs erntete. Die