St. Ingberler Anzeiger.
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Nro. 60 Dieustag, den d Mai
11s.
Deutschland.
Muünchen, 14. Mai. In Berüchsichtigung der Obliegen
heilen, welche für die zum Staatsdienste sich heranbildenden Rechts—
candidaten aus der allgemeinen Wehrpflicht während ihrer Amts—
praxis sich ergeben, sind von den betr. Ministerien folgende Ver⸗
fügungen getroffen: 1) Untlerbrechungen der Amtspraxis in Folge
des Eintrilts in das Heer sind von den Behörden, bei welchen
die Rechtscandidaten in Praxis stehen, vorzumerken, und es ist
das Zeugniß über die Dauer der Praxis genau nur über jeune
Zeit zu ertheilen, welche sie wirkllich in Praxis zugebracht haben.
Die durch den Militärdienst herbeigeführten Unterbrechungen sind
jedoch im Zeugniß gleichfalls zu erwähnen. 2) Die Störung
durch den Militärdienst darf auch bei den Freiwilligen als ein
inverschuldete anerkannt, sohin desfalls. von der Disnensations
hefugniß Gebrauch gemacht werden. 3) Rechtscandidaten, welche
ausschließlich durch den Militärdienst von der Vollendung der
2/3 jährigen Amtspraxis abgehelten, erst im vierten Jahre nach
Frstehung der theoretischen Prüfung zur pralktischen Concursprü—
'ung zugelassen werden, sind in den Staatsconcurs des vorher—
gehenden Jahres nach der erlangten Note einzureihen.
München, 16. Mai. Die neue Formation der activen
Armee ist die folgende: 16 Infankterieregimenter jedes zu 9
Bataillonen und 12 Compagnicen à 138 Mann; 10 Jäger bat
zallone jedes zu 4 Kompagnieen à 138 Mann; 10 Cavalerie
regimenter jedes zu 5 Escadrons à 137 Mann; 4 Artillerie—
regimenter jedes zu 8 Feldbatterieen à 6 Geschütze und 5 Fuß—
hatterieen; 1 Fuhrwesens-Escadron; ein Genieregiment. — Das
J.. Jägerbataillon kommt nach Passau, das 10. nach Aschaffenburg;
4Fußbatterieen des 2. Artillerieregiments kommen nach Lan—
dan, 4 Fußbatterien des 4. Artilleregimeuts nach Gesr⸗
nersheim.
München, 16. Mai. Nach einer Depesche anus Berlin hat
das Zollparlament heute den Steuersatz der Tabakssteuervorlage
12 Thlr. per Morgen) abgelehnt, dagegen den von Twesten vor—
zefchlagen Satz von 6 Thlr. per Morgen angenommen.
Aus dem Westrich, 16. Mai. In Betreff des Vermö—⸗
zens der Widerspenstigen und Deserteure hat die Regierung der
Pfalz Kammer des Inunern und der Finanzen, eine höchst wichtige
Fntschließung ertassen, welche im Auszuge also lautet:
Nach dem Heerergänzungsgesetze von 1828 Art. 81 und ff.
stand die Verwaltung und Nutznießung, nach Umstän—
den auch das Eigenthum des mit Beschlag belegten resp.
onficirten Vermögens der Widerspenstigen und Deserteure den
Vemeinden zu und hatten diese Verpflichtung aus dem beschlag⸗
iahmten Vermögen die darauf haftenden Lasten und Kosten zu
zesireiten. Anders gestaltet sich aber die Sache nach Art. 90 und
92 des Wehrverfassungsgesetzes vom 1. Februar 1868, welches den
Nutznießungsrechte der Gemeinden keinen Raum mehr giebt und
dieses Recht, selbst wo es zur Zeit besteht, abufhebt, indem dort
zerfügt wird, daß das mit Beschlag belegte Vermögen nach Tilg—
ung der darauf ruhenden reducirten Lasten an die Berechtigten
herauszugeben ist. An die kgl. Bezirtsämter beziehungsweise
m die Gemeindeverwaltungen ergehen daher folgende normirende
Leifungen:
1) Sind aus dem Vermögen eines Widerspenstigen oder
Deserleurs alle nach 83. 81 und 83 des alten Gesetzes darauf
iastenden Verpflichtungen erfüllt, so bleibt die Gemeinde in der
Rutznießung des Rechtes bis zum 1. Februar 1868 und hat den
Rest mit den von da an gezogenen Zinsen oder Früchten heraus—
zugeben, und die Beschlagnahme für aufgehoben zu erkkaäͤrer. —
Besteht bei Deserteuren der in den Händen der Gemeinden be—
indliche Rest in cofisscirtem Vermögen (4J 83 Abs. 1 des alten
HBesetzes,) so bleibt dieser Rest Eigenthum der Gemeinde.
2) Sind aus dem Vermögen eines Widerspenstigen vder De
jerteurs nur die im Art. 90 des neuen Gesetzes anfgeführten
dasten gedeckt, so ist ebenfalls unter Aufhebung der Beschlag—
nahme der Rest des Vermögens herauszugehen
3) Ueberall, wo die im Art. 90 des Gesetzes aufgeführten
Lasten noch nicht aus dem beschlagnahmten oder confiscixien Ver⸗
mögen gededt sind, sind sie zu decken und ist sodann der Beschlag
aufzuheben und der Rest herauszugeben.
4) Die durch die Gemeinden zu bewerkstesligenden Heraus—
jaben sind an die Widerspenstigen oder Deserteurxe, gleichviel ob
»egnadigt oder nicht, oder an deren gehörig legitimirte Erben,
Bevollmächtigen und Rechtsinhaber zu leisten.
Dienstes⸗Nachrichten.
Seine Majestät der König haben Sich allergnädigst bewogen
zgefunden: unterm 13. Mai l. J. Lauf die zur Zeñ erledigte
Directorstelle bei der Kammer des Innern der Regierung von
duterfranken und Aschaffenburg den bisherigen zweilen Director
derselben Kreisstelle, Wilhelm Heinrich Christian v. Buchuer, vor⸗
rücken zu lassen, und zu verfügen, daß von der Wiederbesetzung
der sich hiedurch eröffnenden zweiten Directorstelle Umgang genom—
men werde; 2. den Bezirksarzt II. Klasse Dr. Georg Ste—
phan zu Lauterecken auf die Bezirksarztens-Stelle J. Klasse zu
Marktheidenfeld, seiner allerunterthänigsten Bitte entsprechend,
zu versetzen.
Berlhin, 15. Mai. Zollparlament. Tagesordnung: Vor⸗
erathung über die Tabaksteuervorlage. Es werden Abänderungs-
inträge von Runge, Hagen, Krieger, Fabricius Twesten und
Schleiden eingebracht. Zur Generaldebatie haben sich 35 Redner
zegen die Vorlage gemeldet. Gumbrecht erklärt sich sür die Vor—
lage und sagt die Erhöhung einer Productionssteuer vermindere
den colossalen Tabakschutzjoll. Der Entwurf sei ein Compromiß
der Regierungen, dem man nicht schroff entgegentreten solle. Er
Übt den directen Steuen den Vorzug. Der Tabak sei das beste
Object zu directer Besteuerung, weil er bis jetzt in Deutschland
geringer als in England und Frankreich besteuert sei. Weber
'pricht gegen die Vorlage und bemerkt, der Gesetzentwurf erhöhe
»en Schutzzoll, statt ihn zu vermindern. Metz spricht gegen die
Vorlage. Die Steuer ohne Rücksicht der Qualität des Tabaks
hedrücke nur den ärmeren Mann. Sie sei unklug, weil sie einen
ohnehin schon bedrängten Theil Deutschlands belaste. Die An—
iahme wäre ein moralischer Nachtheil, welcher nicht durch Mil⸗
ionen gut zu machen wäre. Wedemeher spricht für die Vorlage,
indem dieselbe einen Artikel besteuern wolle, welcher nur ein Luxus
und eine schädliche Gewohnheit sei. Der Bundescommisssär NMi—
haelis führt aus, die Steuerverträge und die Zoller träge müßten
Schritt halten mit der Entwickelung der Bevölkerung. Die Ta—
cifssermäßigungen betrügen schon 5 Mill. Von allen besteuerungs-
fähigen Gegenständen sei der Tabak am wenigsten besteuert.
Schlöer spricht füt die Vorlage. Bebel dagegen. Bei Errichtung
des Nordbundes habe man eine Verminderung der Lasten in Aus—
sicht gestellt und nun bringe man den Süddeutschen als Morgen—
gabe eine Mehrbelastung. Schleiden spricht für, Cramer gegen
die Vorlage, worauf der Schluß der Generaldebatte statifindet.
— Gestern Abend hat hier eine zahlreich besuchte demokra—
tische Volksversammlung stattgefunden. Die Debatten waren theil⸗
velse sehr stürmisch. Als Hauptredner betheiligten sich in der—
elben die Zollparlaments-Deputirten Kolb, Oesterle, Freiesleben,
Liebknecht und Bebel. Die Versammlung beauftragte schließlich
das durch süddeutsche Abgeordnete verstärkte Comite, das die Ver—
ammlung berufen hatte, mit der Ausarbeitung eines demokratischen
Zrogramms. — Heute fand die Unterzeichnung des Vertrags mit
Lübeck über dessen Eintritt in den Zollverein statt. Lübeck erhält
ein zoslvereinsländisches Hauptzollamt, Weintransitlager und Frei—
lager für das nordische Geschäft, endlich laufende Conti.
Berhin, 16. Mai. Gegenüber englischen und deutschen
Zeitungsmittheilungen, daß große Truppenzusammenziehungen resp.
debungen in der Nähe des Main, demnächst stattsinden sollen,
st zu constatiren, daß nur gewöhnliche Divisionsübungen statt—
finden werden, wonach auch eine Königsreyne über zwei Armee—
orbps nicht zu erwarten ist