Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slt. Ingberler AAnzeiger. 
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Nro.75353. 168. 
Deutschland. 
München, 30. Juni. Der „Augsb. Abdztg.“ wird von 
einem ihrer Correspondenten geschrieben, daß man hier von der 
emnächst stattfindenden Verlobung des Königs mit der Prinzessin 
Maria Alexandrowna von Rußland spreche. An der ganzen Nach⸗ 
richt ist lein wahres Wort. Wahr ist, daß die russische Kaiserin, 
zegleitet von den Ihrigen zum Curgebrauch in Kissingen eintref⸗ 
sen wird, und möglich, ja wahrscheinlich ist es, daß der König 
der kaiserlichen Familie während des Aufenthalts in Kissingen ei⸗ 
nen Besuch machen wird. Wenn jedoch an diesen Act der Cour⸗ 
toisie weitere Folgerungen gelnüpft werden, so gehören sie in den 
Bereich der willlürlichen Combinationen. 
München 1. Juli. Der König kommt morgen von 
Schloß Berg herunter, um einige Tage hier zu verweilen. 
Die besonderen Ausschüsse beider Kammern für die Militär⸗ 
lrtafgesetze find auf den 18. Juli einberufen. 
München, 2. Juli. Der Hr. Justizminister v. Luß hat 
sum Behuf einer Geschäftsrespicirung und der Besichtigung eini⸗ 
zer zu Justizzwecken bestimmten Bauten eine vierzehntaͤgige Ge⸗ 
chäftsreise in die Pfalz angetreten. 
Waährend der Dauer der Abwesenheit des Justizministers in 
der Pfalz versieht Staatsrath d. Fischer die Geschäftsleitung im 
Justizministerium. 
Darmstadt, 1. Juli. Die erste Kammer adopiirte die 
Beschlüsse der Abgeordnetenkammer, die Erhöhung der Officiers⸗ 
zagen nach preußischer Norm für 1868 abzulehnen und gegen 
zie Einführung preußischer Gesetze ohne ständische Vorlage Ver⸗ 
wahrung einzulegen. 
Stuttgart 2. Juli. Der amerikanische Gesandte, Mr. 
Bancroft, ist hier angekommen, um die Verhandlungen über den 
Staatsangehsrigkeitsvertrag zu führen. Derselbe wohnt in Cann⸗ 
sttadt. — Am 1. Februar 1869 werden die neue Gerichtsverfas⸗ 
jung und die neue Civilstrafproceßordnung in Wirksamkeit treten. 
Berlin, 1. Juli. Wie die „Prob.Corr.“ meldet, wird 
der König nächste Woche nach Ems abreisen. Der Tag der Ab⸗ 
reise ist aber noch unbestimmt. Die Königin geht nach Coblenz, 
das kronprinzliche Paar nach Reinhardsbrunn. — Der nordeutsche 
Bundesrath wird im Laufe dieser Woche, der Zollbundesrath nächste 
Woche geschlossen werden. 
Das Kieler Kreisgericht verurtheilte am 27. d. einen jungen 
Mann zu 2 Monaten Gefängniß, weil er einen nicht im Dienst 
befindlichen, mit unbewaffneten Civilisten im Streit gerathenen 
Unterofficier verhindert hatte, von seiner Waffe Gebrauch zu ma⸗ 
hen. Der Vorsitzende Cartheuser, der in seiner früheren Stellung 
als Bürgermeister in Tönning durch mancherlei Differenzen mü 
der Bürgschaft bekannt geworden ist, meinte dabei, der obener⸗ 
wähnte Unterofficier habe wohl das Recht gehabt, seinen Säbel 
zu ziehen und jedem der ihn Bedrängenden „denselben durch den 
deib zu jagen.“ 
Wiüen, 80. Juni. Der Statthalter von Niederösterreich, 
Graf Chorinsky, hat Urlaub auf unbestimmte Zeit erbeten und 
chalten; es heißt, er werde nach Laibach versetzt werden. 
Wien, 1. Juli. Die „Debatte“ meldet, daß die Differenz 
wischen Oesterreich und Rumänien in Betreff der Judenangelegen⸗ 
heit definitiv beseitigt sei. Die Bukarester Regierung entsprach 
den Ansprüchen Oesterreichs in positiver Form, und es bleiben 
nur noch die Entschädigungsansprüche auf administrativem Wege 
zu schlichten, wofür das rumänische Cabinet seine Intervention 
bereitwilligst zusagte. — Admiral Tegethoff geht nach Triest 
und Pola, um die ostasiatische Exrpedition zu 
inspiciren. 
Wien 2. Juli. Der Wiener Gemeinderath hat fast ein 
timmig folgende Dringlichkeitsanträge angenommen: Der Ge— 
neinderath protestirt feierlichst gegen die verletzenden Aeußerungen 
der Allocution; die Regierung besitze das vollste Vertrauen des 
Bemeinderathes und die päpstliche Allocution sei eine unberechtigte 
kinmischung in die Gesetzgehung des Staates; der Gemeinderath 
erwarte zuversichtlich, die Regierung werde diesem Uebergriffe mit 
aller unerläßlich nöthigen Energie begegnen. 
Prag, 30. Juni. Der Projeß gegen die Theilnehmer 
in den tumultuarischen Demonstrationen gegen den Justiz⸗ 
ninister Herbst hat heute begonnen. Erschienen sind dreiundzwan⸗ 
ig Angeklagte. 
Frankreich. 
Paris, 80. Juni. Heute widerlegen sämmtliche halbamt⸗ 
iche Abendblätter die seit dem Besuch des Kaisers in Chalons 
irculirenden kriegerischen Gerüchte und zwar auf speciellen Befehl 
des Kaisers, was jedoch die „France“ nicht verhindert, neuer⸗ 
dings gegen die Rede des Generals Mollike zu polemisiren. An⸗ 
)ererseits geht das freilich sehr unwahrscheinliche Gerücht von der 
in irgend einer deutschen Stadt bevorstehenden Zusammenkunft 
»er Kaiser von Rußland und Frankreich mit dem König von 
Preußen. — 
Paris 1. Juli. Im Gesetzgebenden Körber sprachen ge⸗ 
lern Hr. Garnier⸗Pages zwei volle Stunden lang und nach ihm 
ioch zwei andere Herren gegen die heillose Finanzwirthschaft des 
daiserreiches, ohne jedoch neue Gesichtspunkte zu entwideln. Die 
Inverantwortlichkeit der Minister und der Militarismus bildeten 
die Hauptzielpunkte der Rede des Hrn. Garnier, die mit den Wor⸗ 
en schloß: „Nehmen Sie Sich wohl in Acht. Wenn die Für— 
ten den Voͤlkern keinen Frieden und keine Ruhe geben wollen, 
o werden die Völker endlich sagen: Die Fürften inögen abdan⸗ 
en und uns in Frieden lassen; wir werden uns selber regieren!“ 
atürlich riefen diese Worte große Bewegung und auf der Linken 
Zeifall hervor. 
Paris, 2. Juli. Im Gesetzgebenden Koörper fuhr gestern 
Lhiers in seiner Rede mit der Krilik der Finanzverwaliung fort. 
er sagte: Die schlechten Finanzen sind die Folge einer falschen 
Zolitik. Die einzige Aussicht auf Wiederherstellung des europü⸗ 
chen Gleichgewichtes liegt darin, daß in Veutschland die förde— 
alistische“ Ansicht wieder Boden gewinne; und dies geschieht, seit 
nan jenseits des Rheines anfängt, sich zu überzeugen, daß Frank⸗ 
reich nicht gesonnen ist, sich einzumischen. Wenn Deutschland 
»essen völlig sicher sein wird, so wird es auf die in seiner Ratur 
iegende Tendenz zurückkommen, welche es einer Förderation, nicht 
iber einer einheitlichen Militärmonarchie zutreibt. Mit —XR 
»rohungen würde man nur diese Arbeit der Geister stören und die 
Wiederherstellung der deutschen Foͤrderation verhindern, also einen 
ingeheueren Fehler begehen. Thiers will das Geld für die Rüst⸗ 
ingen bewilligen, weil diese das Ansehen Frankreichs stärken, und 
ügt bei; „Zwei Dinge soll man wissen: erstens, daß wir die 
örderalistische Bewegung in Deutschland nicht stören wollen; und 
weitens, daß wir stark genug sind, um jede weitere Usurpation 
n Frankreich zu verhindern. 
Marseille, 80. Juni. General Rapier, mit feinem 
Ztabe aus Abyssinien kommend, ist heute mit dem Erbreßzug nach 
Paris und London abgereist. 
England. 
London, 1. Juli. Die Ermäßigung des Tarifs der atlan⸗ 
ischen Kabeldepeschen ist von der betresfsenden Gesellschaft beschlos⸗ 
en worden. — Die Staatseinnahmen haben im letzten Quartal 
inen Zuwachs von 512,088 Pfd. St. erhalten; der Ausfuhr⸗ 
verth des Monats Juni hat sich gegen den vorhergehenden Mo— 
at um 8 pCt. verringert. 
London, 2. Juli. General Napier ist heute hier ein⸗ 
jetroffen. — Aus Irland wird gemeldet, daß in Lißburn in Folge 
von orangistischen Kundgbeungen ein Aufruhr ausgebrochen sei. 
Belgien. 
Brüssel, 2. Juli. Aus Anlaß der letzten Erplosion einer 
Pulverfabrik hat die Regierung den Gebrauch von Rifrond y· 
erin untersagt. (Siehe Vermischtes: „Brüssel.“) 
Italien. 
Rom, 80. Juni. Durch Vermittelung des sranzösischen