aurze zu beweisen versuchen, wie ich zu obigem Schlusse gekom⸗
nien bin. Die Krankheit, an welcher der Angelklagte leidet, ist eine
nerböse, die sowohl in England, ais auch in Frankreich und Deutsch⸗
land wohl bekannt ist. Man heißt sie:, Moralischer Wahn“ oder
auch „Handlungsverrücktheit“. Soiche Menschen glauben jedoch
nie, vaß sie verrückt seien. Sie haben es selbst an dem Angeklag⸗
ten sehen koönnen. Man heißt diese Krankheit auch die „Raisonnir⸗
kraniheit,“ in Frankreich den „heiteren Wahnsinn.“ Solche Men—⸗
schen sind manchmal geistreich, großmüthig, wie auch dieser Un⸗
Juudliche hier, freundschaftlich, und wollen Alles küssen und embras⸗
siren. Bei alledem ist jedoch ihr Urtheil ein beschraͤnktes, doch be⸗
itzen sie natürliche Fähigleiten. Wenn ich Herrn Solbrig richtig
berstanden habe, so hat er gesagt, daß Narren gewöhnlich nicht
piele Sprachen lernen. Dagegen muß ich ihm bemerken daß ich in
meiner Anstalt Kranke habe, welche die verschiedensten Sprachen
sprechen. Als ich in Deutschland reiste, um die Cretinen zu stu⸗
diren, habe ich sogar welche gefunden, die die Orgel in der Kirche
spiellen und zeichneten. Allerdings bringen es derartige Leute nur
bis zu einem gewissen Grade von Ferugleit in ihrer Kunst. Leute,
wie der Angeklagte, schwanken immer von einem Extrem zum an⸗
dern; sie können nicht anders; rasch gehen sie von der Liebe zum
Haß über Auf meine Frage, woher auf einmal diefer gewaltige
Haß kam gegen Die, die er vorher so sehr geliebt, gab er mir
loß zur Aniwort: „Diese hasse ich, diese ist eine Jüdin, sie stinkt
wie eine Jüdin.“ Dieser rasche Uebergans ist gerade das Charak⸗
teriistische an diesen Unglüdlichen. Als Kinder schon bringen sie
jhre Eltern in Verzweiflung, als Familienvater plagen sie Weib
und Kinder, und werden sie Beamte, so bringen sie Alles in Un ˖
ordnung und Verwirrung, und am Ende kommt es noch so weit
daß man sie in eine Irrenanstalt thun muß. Diese Art von Irren
lennt man schon seit langem. Herr Collega Solbrig hat darau
hingewiesen, daß Narren nicht so leicht zu beruhigen seien. Dem
muß ich aber gleichfalls widersprechen. Bei richtiger Behandlung
beruhigen sie sich sehr leicht, so daß eine Zwangsjacke etwas ganz
Ueberflüssiges ist. In meiner Anstalt wenigstens, werden Sie
keinen finden. Kindisch bleiben diese Leute immer, sie sind eben
grands enfants!“ KRedner glaubt auch, daß der Angeklagte,
jin Falle er freigesprochen würde und seinen früheren Lebens⸗
wandel fortsetze, ganz gewiß einst paralytisch werden würde. Daß
er auf dem Wege dazu sei, gehe schon aus seinen erweiterten Pu⸗
pillen hervor.
Sigalssanwalt: Sie haben als Symptome der Krankheit
hervorgehoben, daß solche Menschen als Beamte Alles in Verwir⸗
rung bringen, Sie haben aber gehört, daß der Angeklagte wegen
seiner Ordnung gelobt wird.
Morel; Es war nicht Alles immer in gutem Zustand; er
wurde nicht als guter Offizier betrachtet. .
Slaalsanwalt: Was sagen Sie dazu, daß feine Conduite
als Militär in spätern Zeiten immer besser wird? —J—
Morel: Es treten eben auch Besserungen bei solchen Kran⸗
len ein.
Staatsanwalt: Warum glauben Sie an eine Besserung im
Berlaufe von 2 bis 8 Jahren, wührend er den Zeugen seit 22
Jahren immer gleich erschienen ist?
Morel Solche Kranke machen große Perioden durch, in denen
die Krankheit sich bessert, später jedoch kehren erfahrungsgemäß
ploͤtzlich die alten Zustände wieder. So ist der Angeklagte eben
jetzt in einem Zustande, daß er allgemein für vernünftig gehalten
wird. Diese Kranken wechseln mit ihren Absichten oft und machen
nichts fertig.
Vertheidiger: Ein Beweis hiefür ist wohl, daß der Ange⸗
tlagte von seinem Wohnorte erst nach Nanch und dann nach
Wien ging. J
Siacisanwalt (unterbrechend!: Nach Nanch ging er nur,
weil ihm das Geld ausging, und von da nach Wien, um wiedern
welches von seinem Vater zu holen.
Dr. Maher, Univerfitätsprofessor zu Gottingen und Irren⸗
haus· Director dortselbst: Ich bedaure, daß der Angeklagte während
jeines ganzen Lebens nur einmal einer gründlichen ärztlichen Unter⸗
juchung unterworfen war. Ich gestehe, daß ich mit einem gewissen
Mißtrauen an die Besbachtung der sich mir im Gefängnisse bie—⸗
sende Erscheinungen gegangen bin. Der Angeklagte begegnete mir
aber so unbefangen, daß jeder moͤgliche Verdacht einer Simulation
mir vollig entschwand. Der Widerwille des Angeklagten gegen
jede Zumuthung, daß sein Geist gestört sein köͤnnte, beweist, daß
er nicht durch Simulation von Wahnsinn seine Strafe zu mildern
gedachie. Wie die von mir beobachieten Erscheinungen in stetigem
Zusammenhange stehen, so kann man mit Wahrscheinlichkeit erwar⸗
en, daß eine längere, in einer Irrenanstalt angestellte Beobachtung
ine Reihe von auderen Erscheinungen hätte hervortreten lassen. —
die Beobachtungen des Ritters v. Glanz, der den Angeklagten in
inem 13. Lebensjahre beobachtete, scheinen mir nach der Qualität
2 von besonderer Wichtiakeit zu iein. Hirnach war dem
Hrafen ein gewisses nervöses Wesen eigen, was nach den Berichten
der Familie schon lange vorher bestanden haben soll. Bei sehr ge⸗
ringsuͤgigen Anlässen gerieth er in unbezwingliche Aufregung, so
haß mit Recht Hr. v. Glanz bemerkte, was nun daraus werden
jolie, wenn das so fortgehe. Mit 16 Jahren, da die sexuelle Ent⸗
wichlung begann, verließ er das väterliche Haus und trat in die
Armee. Er wurde wegen seines Leichtsinnes vom Obersten ge⸗
adelt und bestraft; noch ernster ist, daß er fich von einer Geliebten
ur andern stürzte. Frau Gräfin v. Stohm hat von einem Ver⸗
altniß in Brünn erzählt, dazwischen spielt das Verhältniß mit der
ʒeugin Hotovy, worauf das Verhältniß mit der Ebergenyi begann.
Ich habe natürlich viel mit ihm über dieses Verhältniß gesprochen,
zaes das Centrum seiner Seelenbewegung bildete. Obwohl die
xĩbergenyi eine offenbare Courtisane war, was man nur mit ge⸗
chlossenen Augen nicht bemerken konnte, so blieb ihm doch diese
Thaisache fremd, was auf Mangel der Beobachtungsgabe und des
Artheils hinweist. Es frappirte mich, zu höͤren, mit welcher Be⸗
zeisterung er von ihr sprach; fie war seine Heilige, das Ideal sei⸗
es Lebens, dem er sich anschloß. Alle Zeugen bezeugen seine ner⸗
oͤse Reizbarkeit als charalteristisch; ich glaube nicht, wie Herr Col⸗
lega Soldrig, daß diese eigeuthümliche Reizbarkeit sich in der Sphäre
)es gesunden Lebens bewegt. Ob ihn der Gedanke an ein ent⸗
zegenstehendes Hinderniß, ob ihn die Verweigerung eines Wunsches
rrregt, er fällt in gleich große, excentrische Heftigkeit, ist aber rasch
vieder gut. Ein guies Wort, ein ruhiges Zusprechen besänftigt ihn
„ollstandig. Ich giaube nicht, wie Herr Collega Solbrig — wenn
ch ihn richtig verstanden habe —, daß sich ein Narr so leicht be⸗
ruhigen lasse.
Solbrig (unterbrechend): Ich habe nicht gesagt, daß Irre
iberhaupt nicht zu beruhigen seien; ich will nur sagen, daß eine
herson, von der man sieht, daß sie eine bei irgend welcher Ge⸗
egenheit entstandene heftige Aufregung sofort wieder dämpfen kann,
ein gewisses Maß der Selbstbeherrschung hat, zumal da er selbst
m Äugenblicke, wo er in Affect gerathen will, sich beherr⸗
chen kann.
Prof. Mayer (fährt fort): Griesinger, eine Autorität, führt
in, wie schwierig es sei, Kranke in der Höhe ihres irren Zustan⸗
zes einer Versammlung so vorzuführen, wie er sich bei den täg⸗
liichen Visiten des Irrenarztes zeigt. Ich selbst weiß nach einer
Thatigkeit von sechs Semestern, daß ich oft vor dem Auditorium
n Goͤttingen bei Vorführung eines Kranken, dessen Symptome ich
eigen wolite, in Verlegenhet gerieth. Kranke, die sich in der hoch⸗
ijen Aufregung befanden, erschienen in der Klinik ganz verständig.
Ich kann mich auf das Zeugniß des Herrn Collega Morel beru⸗
en und weiß auch von den Kranken in meiner Anstalt, daß das
Fintreten des Arztes nicht nur keinen Conflict hervorruft, sondern
haß ein etwa entstandener sich sehr leicht begütigen läßt. Eben so
nuffallend ist mir ein anderer wichtiger Umstand. Die Stimmun⸗
zen in dem normalen Leben pflegen gewöhnlich den Vorstellungen
u folgen. Obwohl mir Collega Morel den Angeklagten als lebhaft
irritirt schilderte, so fand ich ihn doch unmittelbar nach dieser An⸗
abe traurig und sehr still dasitzend. Als ich ihn fragte, ob er
ich vielleicht vor der Verhandlung ängstige, verneinte er es und sagte,
s werde sich schon machen mit seinem Proceß; sein Gemüthszu⸗
tand entstehe von selbst und er sei besonders in den Morgenstun⸗
den davon befallen. Ein solcher Wechsel der Stimmung ohne äußere
Zründe scheint mir sehr auffallend. Ich darf ferner die Erzäh⸗
ung des Angeklagten nicht unerwähnt lassen, daß ihm vie Eber⸗
lenhi erschienen, vor sein Bett getreten sei und ihm zugerufen habe:
Guͤstav, komm', komm'!“ Auch glaubte er das Rauschen ihres
dleides zu vernehmen und wähnte auch zu hören, wie sie hinaus-
zing. Ich lege gerade kein großes Gewicht auf einzelne Erschei⸗
zungen, da ich nach meiner Methode den ganzen Fall in seinen
gesammten Erscheinungen auffasse, ohne das einzelne Symptom zu
ehr zu betonen. Für bedeutender halte ich daher die Beobachtung
der Zeugin Hotoby, daß der Angeklagte halbe Stunden lang ge⸗
ahlt hade, auch. wenn sie ihn zu hindern suchte. Es scheint mir
zas zu den Erscheinungen zu gehören, welche die Aerzte als Zwangs-
edanken bezeichnen. Ich glaube, daß er hauptjächlich unter dem
kinflusse der geschlechtlichen Aufregung in jene epileptischen Anfälle
jerieth, von denen mehrere Zeugen sprachen. Dafür spricht auch
zer Umstand, daß sie im Gefängnisse seltener wurden. Die An⸗
alle sind epileptischer Natur, wenn auch die Convulsionen fehlen, was
a öfter stattfindet. Die dunklen Einflüsse der Erblichleit seien nicht
ju läͤugnen, wie auch, daß sie lange fortwirken; ein Geschlecht konne
avon verschont bleiben, während das nächste davon wieder ergrif⸗
en werde. In Folge eben dieser Verhältnisse würde er vor einem
Decennium noch anders geurtheilt haben, nach den heutigen Er⸗
ahrungen der Wissenschaft aber halte er den Angellagten als gei—
leskrank von Natur aus und halte ihn nicht bloß fuür zeitweise
nehr oder weniger zurechnungsfäh g, sowie Dr. Morel, sondern
echne ihn zu jenen Wesen, denen man ihre Thaten gar nicht zu⸗
ochnen dürfe. In Hannover würden solche Verbrecher zwar freige