Full text: St. Ingberter Anzeiger

Paris, 29. Juli. Aus Anlaß der im englischen Unter⸗ 
baus eingebrochten Interpellation in Betreff der Gerüchte über 
inen Zouverein zwischen Frankreich, Belgien und Holland, fragt 
der „Constitutionnel,“ ob England gesonnen sei, auf seine Ent— 
haltsamkeils⸗Politik zu verzichten, und hoffl. daß es den ersten 
jct seines Wiederecscheinens auf der europäischen Bühne reiflich 
überlegen werde. — Der Prinz Napoleon ist in Paris angekom⸗ 
men. — Der „Etendard“ meldet, daß in Konstantinopel von den 
Broßmächten ein Protocoll unterzeichnet worden sei, wodurch die 
Dauer der Vollmachten geregelt wird, welche dem neuen Gouver— 
neur des Libanon, Franko Pascha, verliehen wurden. 
Paris, 29. Juli. Im Gesetzgebenden Körper wurde das 
Anleihegesetz mit 218 gegen 16 Stimmen angenommen. Hierauf 
Herlas der Präsident Schneider ein Decret, durch welches die 
Session der Kammer als geschlossen erklärt wird. Die Deputir⸗ 
en trennten sich unter dem Rufe: Es lebe der Kaiser 
England. 
London, 20. Juli. Beim Citybankett versicherte Disraeli 
Die Beziehungen Englands zum Auslande seien befriedigend, die 
ẽrledigung der Differenzpunkte mit Amerika schreite fort, Ir⸗ 
sand sei ruhig, die Ernte ergiebig und die Geschäfte lebten wie— 
der auf. 
Schweiz. 
Der seit 7 Jahren bestehende Verein der Rationalisten Frei⸗ 
venker) in Genf hat in einer Versammlung, an der auch weib 
iche Mitglieder sich zahlreich betheiligten, den Gedanken gefaßt, zu 
zleicher Zeit mit dem öcum⸗nischen Concil in Rom einen inter⸗ 
jatisnalen Rationalistencongreß in Genf abzuhalten. Der Verein 
hat seine Verzweigungen in Frankreich und Italien; letzteres Land 
lählt bereits fünf rationalistische Monatsschriften. 
Italien. 
Florenz, 28. Juli. Es steht die Veröffentlichung einer 
»on dem General Cialdini inspirirten Brochüre binnen Kurzem 
zevor, welche die von dem General Lamarmora bei Gelegenheit 
seiner neulichen Interpellation gethanen Behauptungen bekämpft 
und zugleich den Nachweis führt, daß der preußische Feldzugsplan 
jür den Krieg vom Jahre 1866 bereits lange Zeit vor dem 
17. Juni mitgetheilt war. — Rattazzi ist wieder hier eingetroffen. 
Die Debatten über die Berpachtung der Tabalsfteuer und die 
Aufhebung des Zwangscourses werden noch im Laufe dieser 
Woche beginnen. 
— Man versichert, daß die Voraussetzung der „Allg. Ztg.“ 
Zronprinz Humbert von Jialien habe mit seiner Gemahlin in 
Folge einer Mittheilung des italienischen Cabinets, den König von 
Zreußen in Ems nicht besucht, unrichtig sei. Ems habe nicht in 
der Reiseroute des kronprinzlichen Paares gelegen, welches sein 
Incogniis aufrecht erhalten und die Rüdsicht beobachten wollte, 
Jen König in seiner Zurückgezogenheit nicht zu stören. Graf de 
Launay habe indeß den König Namens des prinzlichen Paares 
egrüßt und ihm die Beweggründe dargelegt, weshalb vom Reise⸗ 
Zrogramm nicht abgewichen worden sei. 
Rußland. 
Den polnischen Geistlichen aller Confessionen wurde angekün⸗ 
igt, daß von Neujahr 1869 an in ihren amtlichen Korrespon⸗ 
denzen nur noch die russische Sprache erlaubt sei; die Benützung 
eder anderen Sprache wird mit Strafen bis zur Amtsentsetzung 
geahndet. Da die wenigsten Geistlichen das Russische verstehen, so 
stdieser Befehl nahezu gleichbedeutend mit dem Untersagen jeder 
amtlchen Korrespondenz. 
Amerika. 
NRewyork, 15. Juli. Die Hitze in Newyork am 13. d. 
Hits. war, wie man sagt, die drückendste, wie solche seit 14 Jah— 
ten nicht gespürt worden ist. Eine große Anzahl Leute stürzten 
nuf den Straßen ohnmächtig zusammen und zwei starben sofort. 
Doͤwohl das Wetter am 14. etwas kühl er war, fanden in New— 
jork 44 Todesfälle durch Sonnenstich statt, und 2 in Brooklin. 
Auch liefen aus allen Theilen des Landes Berichte über ähnliche 
Fälle ein. Die Maximalhöhe des Thermometers war an diesem 
Tage 95 Grad, in Baltimore 1032; in Toronto 100 und in 
Montreal V8. 
Die Mitglieder des berüchtigten geheimen Ku-Klur⸗Kean-Club 
haben den 4. Juli durch eine Reihe von Erzessen an Republikan— 
ern und Negern gefeiert, welche sie in Banden von etwa 400 
Mann vor den Augen der gegen sie ohnmächtigen Civilbehörden 
vegingen. So statteten sie einem Schullehrer in Shelbyville 
inen Besuch ab, knebelten ihn und zählten ihm 200 Hiebe auf 
veil er — einer aufblühenden Schule für Farbige vorssand. In 
Fennesse prügelten, ja tödeten sie Neger in großer Zahl. 
Vermischtes. 
Kaiserslautern, 28. Juli. Gestern Nachmittag, et ⸗ 
vas vor 4 Uhr, zogen sich mehrere Gewitter über unserm Haupte 
zusammen, welche nach kurzem Regengusse, ohne erheblichen Scha⸗ 
den zu verursachen, nach allen Seiten auseinanderstoben. Gegen 
jechs Uhr erhob fich der drohende Gast jedoch in seiner Große 
zurück und schüttelte sein Füllhorn über uns aus. Der Sturm 
aste, entwurzelte und zerriß die Bäume, deckte Dächer ab, schwarze 
Wolken bedeckten den Himmel, Blitz folgte auf Blitz. Donner auf 
Donner, unfere Stadt war ein Feuermeer, welches die totale 
Finsterniß verscheuchte, der Regen rauschte in Strömen nieder und 
llie die Bäche bis zur Uebersteigung des Ufers. Die in Ans— 
icht gestandene, reiche Obsternte ist größtentheils dahin. Seit es 
s uns gedenkt, wurden wir von solch einem Wetter noch nicht 
heimgesucht. 
F Deidesheim, 29. Juli. Kaum sind zehn Tage ver⸗ 
flossen, seit der Hummel unsere Gemarkung durch ein schweres Ge⸗ 
willer auf das Empfindlichste heimgesucht hat, und abermals wird 
unser Städtchen von einem Naturereigniß so schwer betroffen, daß 
auch die lebhafteste Schilderung des Unglücks kaum der Wirklich- 
leit entsprechen dürfte. Das am gestrigen Abende über dem Ge⸗ 
birge sich entladende Gewitter sandte in reißenden, Alles vernicht⸗ 
enden Strömen die Wassermassen den Berg hinab nach unserm 
friedlichen Städtchen. In wenigen Minuten wälzte sich die schäu⸗— 
mende Fluth meterhoch durch die Straßen und Angst, Schreden 
und Verzweiflung erfaßte die Bewohner. Ganz besonders wüthete 
das Element im Mühlenthale und Senfenthale. In ersterem 
unterwühlten und zerstörten die Wogen in kurzer Zeit den größten 
Theil der Mühle. Der Müller lag um diese Zeit krank darnie⸗ 
der und mußte, um dem Wassertode entrissen zu werden, schleu⸗ 
nigst aus der Mühle entfernt werden. Der Besitzer des Wappen- 
hammers in demselben Thale erlitt gleichfalls schweren Schaden; 
er sah sich gezwungen zur Rettung des Lebens mit seiner Fami- 
lie auf den Berg zu flüchten. In rasender Eile wälzten sich die 
hochgehenden Fluthen über die Felder und Gärten, Alles fortreiß⸗ 
end. Ein in der Nähe befindlicher Damm wurde durchbrochen 
ind eine feste Mauer uͤmgerissen. Keiner der Eigenthümer ist im 
—Stande, nach dem Werke der Zerstörung sein Eigenthum zu er⸗ 
sennen. — Das Wasser nahm den Weg nach dem Buhl'schen 
Garten, riß dort in einer länge von mindestens 50 Meter eine 
feste Mauer um und drang vernichtend auf die Häuser am west— 
lichen Stadtgraben. Der hier wohnende Winzer Heinrich Arens 
hefand fich gerade in dem Hofe, um gegen das wüthende Element 
seine Habe zu schützen. Die heranstürzenden Wassermassen stießen 
das Hofthor ein und rissen den Unglücklichen sowie seine anwesende 
Tochter in den durch den Strom erbrochenen Keller. Später fand 
man — und dies ist das Entsetzlichste bei dem Unglück — Va— 
ter und Tochter nach langem vergebenen Suchen im Keller als 
deichen, tief im Schlamm versteckt. Krampfhaft schien sich die 
Tochter in den letzten Momenten an den Vater angeklammert zu 
haben, denn man fand beide eng umschlungen. Der Anblick war 
ein tief erschütternder. Der Verunglückte, ein braver, geachteter 
Bürger wird allgemein und schmerzlich betrauert, nicht minder 
seine brave, einundzwanzigjährige Tochter. — Allgemein that man 
den Ausspruch, daß man gerne die Größe des Unglücks verschmer⸗ 
en wollie, wenn dasselbe nicht diese beiden Opfer gefordert hätte. 
Der größte Theil der untern Stadt stand unter Wasser, nament⸗ 
lich die Haupistraße, die Stadtmauergasse und Neugasse. In 
erstgenannler Straße drang das Wasser an mehreren Stellen 
durch die Fenster. Wie uns verfichert wird soll das Wasser 
Unjn Fuß höher gewesen sein, als wie bei dem Unglück vor 10 
Tagen. 
Der herbeigeschwemmte Sand liegt in der Hauptstraße an 
mehreren Stellen 1/2 Meter hoch. Mehrere Einzelheiten im 
daufe des Ereignisses sind wahrhaft herzzereißend. So namentlich 
das jämmerliche Wehklagen des bedrohten Viehes in den Ställen, 
das hie und da bis an den Hals in den Fluthen staud, das 
Hilferufen einzelner schwer betroffenen Bewohner u. s. w. Ju 
dem Locale des Wirthes Bried stieg das Wasser in einer Minute 
uim 55 Centimeter. Der in den Weinbergen ⁊c. ⁊c. angerichtete 
Schaden ist enorm und kann zur Stunde noch nicht genau ange⸗ 
geben werden. 
Diese neue, schwere Heimsuchung macht den Schmerzensaus- 
ruf natürlich: „Was soll aus Deidesheim werden, wenn hier nicht 
schnelle uud sichere Abhülfe geschieht?“ Es muß der in dieser Jah— 
reszeit stets in Besorgniß und Angst schwebenden Einwohnerschaft 
zeholfen werden, mögen die deßfallfigen Arbeiten auch noch so 
kostspillig sein! 
Sqhließlich noch die Mittheilung, daß der um 11 Uhr Abende 
hier eintreffensollende Zug auf seiner Tour (bei Mußbach) stehen 
zleiben mußte, indem er bei dem furchtbaren Wetter nicht mehr 
don der Stelle kommen konnte. Derselbe kam erst heute Morgen 
gegen Z3 Uhr hier an.