Full text: St. Ingberter Anzeiger

Eine höchst scandalöse Scene erreignete sich in der Nacht 
zum 18. d. um 2 Uhr auf dem Boulevard des Jialiens am Ein— 
gange in die Rue Vafitte, wo sich das bekannte Restaurant 
„Maison Dore“, welches die ganze Nacht über offen bleibt, be— 
findet. Um die genannte Stunde kamen dort ungefähr sechs bis 
acht Reiter an, von denen drei Bediente waren, und versperrten 
den Eingang zur Rue Lafit⸗. Ein Kutscher, der in die Straße 
einfahren wollte, rief den Reitern zu, Plaß zu machen, worau⸗ 
man ihm entgegnete, daß er nicht passiren dürfe. Der Kutscher 
wollte aber nun doch durch, als einer der Reiter ihm mit der 
Peitsche über das Gesicht schlug, und als dieser aufschrie und 
fragte, wer er sei, ihm einen zweiten, und zwar so heftigen Schlag 
Jab, daß die Reitpeitsche zerbrach, mit den Worten: —Ich bin 
der Herzog von Hamilton.“ Die Menge, die sich inzwischen an⸗ 
gesammelt hatte, schimpfte nun auf die Reiter, es waren faft nur 
Engländer, aber diese ritter nun auf das Publikum ein, indem 
sie auf alle Diejenigen losschlugen, die fich die geringste Bemer⸗ 
kung erlaubten. Der Herzog von Hamilton war wie besessen und 
schrie ohne Aufhören: „Ih bin Hamilton, ich stehe Jedem zur 
Disposition.“ Seine Genossen schrieen mit. Es war ein furcht⸗ 
barer Lärm. Das Ganze währte ungefähr eine Stunde, ohne 
daß sich die Polizei, die, wenn es sich um nicht beabsichtigte De⸗ 
monstrationen handelt, so schnell zur Hand ist, einfand. Gegen 
3 Uhr endlich erschienen vier Polizeidiener und fielen dem Pferde 
Hamilton's in die Zügel. Derselbe sprang sofort vom Pferde 
herab und' rief den Pollzeidienern zu: „Ich habe keine Kart— 
bei mir, aber ich bin Haͤmilton: das dürfte Ihnen genügen.“ 
Und dies genügte merkwürdigerweise auch den Polizeileuten, dit 
fich nun ganz und gar emuͤthlich unter die Menge als Zuschaue 
stellten. Von da ab machten die Engländer jedoch keinen Ge⸗ 
brauch mehr von ihren Peitschen. Nur wollte Hamilton einen 
jungen Mann dverhaften lassen, der sein Erstaunen ausdrückte, daß 
die Polizei die Engländer nicht fesinehme. Hamilton und sein 
Gefolge begaben sich hierauf in die Restauration und die Menge 
vberlief sich. Daß die Polizei sich so ruhig verhielt, darf nicht ver⸗ 
wundern; dieselbe fürchtete den Zorn ihrer Oberen, wenn sie sich 
an einem Herzoge und Verwandten des Kaisers vergreifen würde, 
wie es denn überhaupt das democratische System des zweiten 
Kaiserreiches nicht zuläßt, daß man die hochgestellten Persön⸗ 
lichkeiten und ihre Nachkommenschoft als einfache Sterbliche 
behandeli. 
FIn Großwardein wurde 1 Faß, 1 Ctr. Arsenil 
enthaltend gestohlen. Man fürchtet, daß das Gift wegen sciner 
weißen Farbe und seines süßen Geschmacks für Zucker gehalten 
werden und entsetzliche Folgen haben koͤnnte. 
FCork. Der „Cork Herald“ berichtet über eine schred— 
liche Unthat, die an Vord des holländischen Schiffes, Finnechina 
Cabpitän Hotze, auf der Reise von Südamerika nach dem hiesigen 
Hafen verübt wurde. Unter der Mannschaft befand sich ein Lon— 
doner, Namens Rogers, der entweder aus Irrsinn oder aus Hab⸗ 
sucht — da er wußte, daß eine bedeutende Contantenladung sich 
an Bord befinde — den Plan gefaßt zu haben schien, durch Er⸗ 
mordung der gesammten Bemannung in den Besitz des Schiffes 
zu gelangen. Am vierten Tage nach der Abfahrt des Schiffes 
pon Buenos Ayres nahm Rogers eine günstige Gelegenheit wahr, 
den ersten Steuermann über Bord zu sioßen. Den Koch, der dem 
Unglücklichen ein Rettungsseil zuwerfen wollte, faßte Rogers an 
den Beinen und schleuderte ihn ebenfalls in das Meer. Veide 
Schiffsleute waren Holländer. Der zweite Steuermann, ebenfalls 
ein Holländer, eilte zur Rettung seiner Landsleute herbei, Rogers 
aber hielt ihn auf und versuchte ihn mit einem Handbeil zu er⸗ 
schlagen. Er entrann jedoch, spraug in die Lucke hinab, wo er 
den Capitän über den Haufen stürzte, so daß Beide sich am Boden 
wälzten. Diesen Umstand benutzte Rogers, um sie abzusperren 
und so gefangen zu halten. Zwei Matrosen, ein Amerikiner und 
ein Irländer, von denen der eine auf dem Vorderdeck, der andere 
auf dem Hinterdecke stand, wußte Rogers durch Todesandrohungen 
von einander entfernt zu halten, und nöthigte sie, das Schiff 
zurückzusteuern. Vier Tage lang, während welcher Zeit er kein 
Auge schloß, blieb der Moͤrder Herr des Schiffes. Der Capitän 
jeuerte zweimal seinen Revolver auf ihn ab, ohne ihn jedoch ernstlich 
zu verwunden. Insolge einer Beschädigung an dem Compasse 
wurde er zu dem Glauben verleitet, daß das Schiff direct auf's 
Land zusteuere, in Wirklichkeit aber bewegte es sich parallel mit 
der Küste. Am Ende des vierten Tages übermannie ihn endlich 
der Schlaf. Der Irländer, diese Gelegenheit benutzend, schlich 
—O—— 
Schlage trennte er fast den Kopf des Schlafenden vom Rumpfe. 
Dann befreite er den Capitän und den zweiten Steuermann, und 
das Schiff segelte nach Rio de Janeiro, wo nach einer gericht 
ichen Untersuchung des Falles die Bemannung ergänzt und die 
Fahrt nach Cork angetreten wurde, wo die , Finnechina“ am 
Montag eintraf. 
f. Die „D. A. 3.* erzählt aus Petersburg: Der dritte 
Sohn der Großfürstin Marie Nicolajewna, der kaum achtz ehnjäh⸗ 
rige Herzog Sergei Marimilianowitsch Leuchtenberg, ist dem 
Beispiele seiuer Brüder folgend, im Begriffe, eine · Mesalliance 
einzugehen. Es hat sich zwischen dem jungen Herzoge und einem 
noch jüngeren Hoffräulein, Fürstin Trübeßkoi, Cousine der ehe⸗ 
maligen Herzogin Mornh, ein Liebesverhältniß entsponnen, das 
durch eine baldige Ehe seinen Abschluß finden wird. — Die 
junge Fürstin Putiatin ist diese Woche mit einem Garde⸗Rittmei⸗ 
ster auf und davon gegangen. Der berzweifelte Ehemann hat sich 
an den General⸗-Polizeimeister Trepow gewendet uud ihn gebeten, 
Alles anzuwenden, um die Flüchtigen einzuholen. Es wurden 
120 Telegramme nach allen Richtungen des Reiches mit dem 
Signalement der Flüchtlinge gesendet. — 
F Im Hafen von St. Georgen (Militärgrenze) wurde am 
16. ds. ein 15 Fuß langer und 20 Centner schwerer Haifisch 
gefangen. Das Scelett desselben wird in das Agramer Museum 
gebracht. 
Ingenieur Felll, der Erbauer der MontCenis-Bahn, will 
Anfangs nächsten Jahres nach der Schweiz kommen, um die Frage 
der Ueberschwemmung eines oder mehrerer der schweizerischen 
Alpenpässe an Ort und Stelle zu studiren und in's Werk 
zu setzen. J 
— russischen Kreise Rossinowm hat ein Bauer seinen drei⸗ 
jährigen Sohn lebendig in einen Ameisenhaufen vergraben, um 
ihn zu tödten. J 
fIn London wurde bei einer Entschädigungsklage zu 
Hunsten dreier Waisen, welche durch das große Eisenbahnunglück 
in Walis ihren Vater verloren, die Eisenbahngesellschaft zur Zah⸗ 
lung von 4850 Ppfd. Sterl. verurtheil. 
f In Shrewsbury (England) wurden in voriger Woche 
mehrere Personen mit Geld- und Gefängnißstrafe belegt wegen 
Fluchens und Schimpfens au öffentlichen Orten, gegen das der 
Magistrat ein streuges Mandat erlassen hatte. 
Das deutsche Hilfscomito in Philadelphia hat dem Bundes—⸗ 
kanzler Grafen v. Vismarck 1500 Thlr. übersandt. Diese Summe 
soll nach Bestimmung der Einsender unter den Schullehrern Ost⸗ 
preußens, und zwar in Summen nicht unter 10 Thalern vertheilt 
verden. Eine unverhoffte Weihnachtsfreude für die Betreffenden. 
Im März d. J. hat dasselbe Comits in Philadelphia schon einmal 
dem Bundeskanzler 1500 Thlr. für Ostpreußen eingesandt. 
F In Kairo arbeiten 6500 Arbeiter Tag und Nacht an 
dem neuen Theater, welches der Vicekönig dort für die „Groß⸗ 
jerzogin von Gerolstein“, Fraulein Schneider, bauen läßt, deren 
Bekanuntschaft er während der Industrieausstellung in Paris ge— 
macht hatie. Frl. Schneider wird mit 82 Pariser lyrischen dra⸗ 
matischen Künstlern nach Aeghpten kommen. Sie erhält 50,000 
Francs für 15 Vorstellungen, eine Subvention von 20,000 Fres. ꝛc. 
Man spricht von einer neuen ägyptischen Anleihe. 
Landwirthschaftliches. 
—Knochenmehl und Superphosphat. Wiewohl 
die Anwendung dieser Düngemittel nicht mehr neu und fast allent⸗ 
jalben mit dem besten Erfolge gekrönt ist, taucht doch immer und 
mmer wieder die Frage aäuf, wie dieselben und in welcher Zeit 
ie am besten anzuwenden seien. Wenn wir unsere zahlreichen 
Erfahrungen über die Frage Wie? zusammenhalten, so kommen 
vir zu der Ueberzeugung, daß es fast in allen Verhältnissen am 
vhesten ist, das Knochenmehl dem Wiste zuzufügen, der für den 
Acker bestimmt ist; denn hierdurch erhält der Mist nicht nur eine 
galere Zusammensetzung, sondern das Knocheumehl selber wird 
auch leichter löslich, gelangt daher rascher zur Wirksamkeit. Unsrer 
Meinung nach sollten es alle Landwirthe und unler allen Ver⸗ 
yältnissen so einzurichten suchen, daß man anftalt sogenannter 
zanzer Mistdüngungen nur zwei Drittel der üblichen Mistmenge 
den Feldern überweist und ein Drittel Ddem Preise nach) durch 
Knochenmehl ersetzt. Besser noch ist das Superphosphat als Zu⸗ 
satzmittel für den Stallmist, deun derselbe erfährt dadurch nicht 
nur die nöthige Bereicherung an der dem Miste meistens fehleuden 
Phosphorsäure, sondern die in dem Superphosphat nie fehlende 
Schwefelsäure wirkt auch bindend anhaltend auf das so leicht 
lüchtig werdende Ammoniak. Ueberdies hat das Superphosphat 
den Vortheil. daß dadurch den Feldern immer auch eine gewisse 
Menge von Gyps zugeführt wird. Hierdurch erhält der Boden 
nicht allein den für die Ernährung mancher Pflanzen unentbehr⸗ 
lichen Schwefel, sondern der Gyps wirkl auch auflösend auf eine 
Menge anderer im Boden befindlichen aber schwer löslicher Stoffe, 
z. B. auf die Kaliverbindungen leicht löslich machend ein. Daß 
z)em so ist, geht daraus hervor, daß in manchen Gegenden, z. B. 
in Rheinhessen und der Pfalz, wo seit etwa 13 Jahren das 
Zuperphosphat in so starkem Maße angewendet wird, der Gyps, 
der in früherer Zeit so auffallend günstige Wirkungen äußerie, 
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