Full text: St. Ingberter Anzeiger

verwundert und aufgebkücht sein soll über“den herzlichen Empfang, 
der dem König Wilhelm in Hauover zu Theil geworden ist, und 
benso verstimmt soll man in der Umgebung Georgs über die Be 
richte aus Frankreich und über den Zustand der Legion sein. Man 
scheint zu besürchten, daß Seitens der französischen Regiernng irgend 
ein vermittelnder Schritt geschehtz um den armen Leuten noch jetzt 
die straffreie Rücktehr in ihr Vaterland zu ermöglichen, soweit sie 
nicht anderweite Verbrechen begangen haben. 
Berlin, 16. Imi. Die bhayerischen Zollparlaments⸗Abge⸗ 
ordneten Stauffenberg und Völk hielten gestern in zahlreicher 
Versammlung des Vereins der Stadibezirke 36 und 837 Vorträge. 
Ersterer betonte, daß ein Herauslommen aus den gegenwärtigen 
Verwichelungen nur mögtich sei, wenn man sich zaun den Voden 
der gegebenen Verhältnisse stelle und wenn. der Süden und Norden 
gemeinsam an dem Ausbau der deutschen Verhältnisse arbeiten. 
Süddeutschland werde nie die Verwirklichung des nationalen Ge⸗ 
dankens aufgeben. — Voll hob hervor, daß die bayerische Forl⸗ 
schrittspartei die Herstellung eines einigen Deusschlauds erstrebe. 
In der Nothwendigkeit der Zusammengehörigkeit von Rorden und 
Süden liege die Zukunft des gemeinsamen, Vaterlandes. Dies⸗ 
Bereinigung allein köͤnne Schutz gewähren gegen äußere Feinde; 
das gemeinsame Ziel sei die Herstellung eines großen deuischen 
Reichs. . 
—A—— Munchener 
biotsor Karl Piloih das Homthurkreuz des Franz Joseph- 
rdens. W —3 4243 
Pest, I1. Juni. Johanues Ronge, der sich seit einigen 
Wochrn hier befindel, wird in wenigen Tagen seine Vorträge zur 
Gründung einer Gemeinde, von Reformvereinen wie über Schulen 
und Kindergärten beginnen. Einflußreiche Männer sind ihm in 
seinen Bestrehungen behülflich. Man wird ihm einen großen, 
schönen Saale für die Vorträge überlassen. Die katholische Geist⸗ 
lichkeit wird wohl Gelegenheit nehmen, mit Ronge anzubinden. 
Zchon 1848 biidete sich hier, uach Vorgang der Wiener Gemeinde, 
eine religiöse Reformgemeinde. Es verlautet, das auch Uhlich nach 
Pest kommen will. Rouge ist auch in andere ungarische Städie 
eingeluden. 3 — ” ada— D 
. u e: Frankrrich , 
Paͤris“, 15. Junije, Bei den Tumulten der porigen Woche 
ind eine Menge sonderbarer Sachen vorgelkommen. So 3. B. 
wurde der Baron v. Rothschild, der Chef des berühmten Banquier⸗ 
hauses, festgenommen und nach der Mairie in der Rue, Drunot 
abgeführt. In derselben Razzia wurde auch Hr. Thoͤophile Gautier 
der Sohn, Chef des Presse⸗Bureau's im Ministerium des Innern, 
berhaftei. Auch der Gouverneur des laiserlichen Prinzen, der 
General Frossard, ist, wie man sagt, nur mit genauer Noth dem 
hiebe eines Todtschlägers entgangen, den ihm ein Polizei⸗Agent 
versetzen wollte. Der Herzog von Mortemart, dessen Sohn ver⸗ 
haflei und mit den Gesangenen nach Bictre transportirt worden 
st, hat aller seiner bis jetzt gethanen Schritte ungeachtet noch nicht 
seinen Sohn in Freiheit setzen tönnen. — 
Parris, 17. Juni.Bei St. Etienne arretirten Truppen 
die Arbeitsstörer. Die Grubenarbeiter machten einen Befreiungs— 
versuch. Die angegriffenen Truppen gaben Feuer. Die Angreifer 
haben mehrere Todie, die Truppen 5 Verwundete. 
Italien. 
Florenze, 16. Imi. Von der Kirchenstaatsgrenze wird 
hie rher berichtet, daß laut Briefen aus Rom vom gestrigen Tage 
die Sendung des Cardinal Berardi nach Paris in einer außer⸗ 
ordentlichen Mission heschlossen sei, und daß der Cardinal morgen 
bereits abreisen werde. Als Grund für diese Mission werden 
wichtige aus Paris in Rom eingetroffene Depeschen angegeben.— 
Der Papst hat einen leichten epileptischen Anfall gehabt, von dem 
er jedoch bereits vollständig wieder hergestellt it. 
Florenz, 16. Juni. In der Nacht von gestern auf 
heute fand ein Mordversuch gegen den Deputirten Lobbia statt. 
Dieser hat bekanntlich in der schmutzigen Tabaksangelegenheit 
ompromittirende Documente vorgelegt.) Die Wunde ist ungefähr⸗ 
lich, der Mörder noch nicht bekannt. Das Ministerium und 
die Deputirtenkammer drückten ihren Abschen über das 
Attentat aus. —— cetee un 
Sypanies. 
Madrid, 186. Juni. Die Cortes ernannten nach Annahme 
des Regentschaftgesetzes mit 198 gegen 45 Stimmen Serrano 
zum Regenten von Spanien. — Ein Antrag, von 
den Coupons der inneren und äußeren Schuld während 5 Jahren 
33 pCi. und während weiterer 5 Jahre 25 pCt. abzuziehen, 
vurde trotz Widerspruchs des Finanzministers mit 163 gegen 87 
Stimmen in Erwäcung zu ziehen beschlossen. 
dDer repablikanifsche ‚Pueblo“ von Madrid empfiehlt 
jeiner Partei, sich der neuen Verfassung zu fügen, Die Siaals. 
verfassungk sagt er, „ist feierlich verkündigt worden; sie ist heute 
das Grundgesetßz, welches Jedermann zu achten hat, die Deputirten 
die es genehmigten, und die, welche es belampften. Wir gehören 
zur Zahl der Lez ren, und wir- werden die Ersten sein— 
das Beispiel des Gehorsams und Respectes zu geben. Es ijß 
indessen noihwendig, daß die mit der Ausführung der Verfassung 
zetrauten Männer sie nicht durch ihr Verhalien discreditiren, denu 
n einem freien Volte ist die Achtung vor den erworbenen Rechien 
zie beste Garantie der gesetzlichen Pflichten. 
Vermischtes. — 
ibBergzabern, 15. Juni. Der älteste Mann der dhn— 
jegeind. Nicolaus Reither von Pleitzweiler, ist Jestern zur Ern 
bestattet worden. Derselbe war im Jahre 1774 in Pleisweiler 
geboren, demnach schon fuͤnfzehn Jahre alt, als die franzöfische 
Revolution ausbrach, jund hat also ein Altex von 95. Jahren 
erreicht. Sehr häufig gab er Auskunft über längst perstorbene 
Familien und Personen, ebenso über besondere locale Verhältniss⸗ 
ind Ereignisse früherer Zeit. Er war sozusagen eine lebende 
Thronik der ganzen Umgegend, heiteren Gemüthes und bei vollem 
Berstande bis an sein Lebensende. Kürzlich erst starb ihm ein 
Zohn von 69 Jahren. Er hinterläßt eine bedeutende Anzahl 
Nachkommen, Kinder, Enkel, Urenkel und Ururenlel. 
—7Nöon14. Juni. Laut telegraphischer Benachrichtigung 
waren die Briieftauben der Gesellschaft ‚Union? gestern Morgen 
um 6 Uhr15 Miuuten in Straßburg aufgeworfen worden und 
zereits um 10 Uhr 21 Minuten langte die erste hier an. Datß 
Thierchen hatte mithin die große Strecke, circa 80 Stunden, in 
dier Stunden zurüctgelegtg. 
7In Berlin wurde letzterr Sonnabend der Weinhändlet 
stob. Oppenheim aus Frankfurt a. / M., welcher im Flur des 
Dpernhauses während des Gedränges zum Eingang sich erlaubl 
zatte, eine junge Dame mit handgreiflichen Unanständigkeiten der 
zrobsten Ari zu belästigen, zu B Mon. Gefängniß verurtheilt, und 
das von Rechts wegen. 
Vor Linigen Tagen langte Lein deutschet Uhrenhändletaut 
San Franzisco in Beruͤn an, welcher mit zu den Pafsagieren 
des ersten Personenzuges der Patifichahn gehört hatte. Es waren 
nur 69 Personen, weicht die ganze Strecke bis New⸗NYork durch⸗ 
gefahren waren, wozu sie die Zeit von 7 Tagen 16 Stunden ge—⸗ 
hrauchten. Interessant sind die von dem Reisenden mitgetheillen 
Erlebnisse während der Fahrt durch die Prairie und das gebir⸗ 
gige Terrain. Bei besonders geführlichen Stellen, deten es nicht 
wenige gibt, hielt der Zug auf einige Minuten an und sämmt ⸗ 
licze Passagiere stiegen aus, um untet Führnung eines Priesters 
niederzuknieen und zu beten. Dann ging die grausige Fahrt lot 
über Abgründe oder Sümpfe, bdei schwanklenden Brücken “ und 
vankenden Schienen. Die ganze Dauer der Reise von San 
Francisco bis Berl in betrug nicht mehr als 19 Tage. 
— Ein großes Unglück ereignete sich am Dienstag Abend 
wischen 6 und 7 Uhr im Kalbo'schen Eitablissement Gerlinen 
Hrater) und gab dem dort abgehalten en, alljährlich vom hiesigen 
AXV 
Wendung. Der Gymnastiker Biermann war eben im — 
mit seinem etwa 16jährigen Eleven Rudolph Kolbe die gewohnten 
chwindelerregenden Evolutionen auf dem circa 40“ hohen Thurm⸗ 
eile auszuführen, und nahm seinen Anlauf, um über den ihn 
entgegenkommenden Knaben hinwegzuspringen, als plötzlich das 
charf gespaunte Drahtseil auseinanderrifz und beide Künstler zu 
zleich aus det schwindelnden Höhe derab mitten unter das vor 
kntsetzen starre Publikum stürzten. Rudolph Kolbe fiel auf dre 
A 
hrach das Kreuz und wurde so schrecklich zermalmt, daß er seinch 
'ofortigen Tod fand und den Anblick riner fast formlofen, blutigen 
Fleischmasse bot, die zuerst in den Saal des Etablissements und 
dann zum Obductionshause der Charite geschafft und Biermanr 
dagegen, der auf den glatten Erdboden gelangte, klam zwar zu 
aächst mit dem Leben davon, allein nach dem Urtheil der schnel 
jerbeigerufenen Aerzte Auerbach, Gensch und Jung, welche seinen 
Transport nach dem katholischen Kranienhause anordneten, ist aud 
er nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich durch Zerreißung 
von Lunge und Leber so schwer verletzt, daß fein Ableben flündlidh 
zu erwarten steht. Im Fallen rissen dir Unglücklichen von einigen 
Bäumen, durch deren Kronen sie geschnellt wurden, mehrere starke 
Zweige nieder, die eben so wie die Balancirstangen unter die 
Zuschauermenge fielen, wunderbarerweise aber, ohne irgend 
Jemand zu beschädigen. Ueber die Ursache des Unglücks ver— 
autet, daß die verunglückten Künstler selber Schuld waren 
da sie des am Dieustag herrichenden Sturmes halber, das 
Seil um 8 Fuß ftärker als sonst gespannt und dadurch desstn