St. Ingberler Anzeiger.
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An —
— ZZZW
M 100. Samstag, den 30. Juni
1877.
—
— M
Deutsches Reich.
Mäünchen, 27. Juni. Kaum daß kürz!ich die Nachricht,
eß würden in Bayern zwei neue Cavalerie⸗(Husaren-)Regimenter
errichtet, als unbegründet sich erwiesen hatte, wurde durch mehrere
Blätter wieder die Naͤchricht verbreitet, daß unter Aufhebung von
jechs Jagerbata llonen zwei neue Infanterie ⸗-Regimenter errichtet
würben; es ist aber auch diese Nachricht ganz grundlos. — Wie
wir vernehmen, hat Herzog Karl Theodor in Bayern dem Fürsten
Bismarck für den Fall, daß er nach beendeter Cur in Kissingen
Aufenthalt im bayetischen Oberlande nehmen wolle, das Schloß
Tegernsee anbielen lassen; doch soll die Absicht des Reichskanzlers,
in's baherijche Hochgedirge zu kommen, wieder aufgegeben sein.
Aus Bayern. Bei den Socialdemokraten herrscht
großer Jubel über den Wahlsieg, den die Partei in einem Berliner
Wahlkreis errungen hat, wo ein gewisser Hasenclever dem Cend:⸗
zaten des bürgerlichen Fortschritis auf's Haupt schlug und für die
rothe Fahne überhaupt fast um 3000 Stimmen mehr abgegeben
wurden, als das letzte Mal. De sogenannte „Haupistadt der
Jutelligenz“, wo in dem bedrohten Bezirk mehr als 10,000 Wahl—
zerechtigte, troßz der ihnen bekannten Gefahr, dennoch zu Hause
dlieben, hat sich also elend blamirt, der Berliner Weißbierphilister
deht an politischer Sildung und an Pflichtgefühl den Bürgern
oieler süddeutschen Slädte entschieden nach, das ist jetzt erwiesen.
Fortwährend nergeln und raisonniren, allenfalls auch faule Witze
machen, das ist die Staͤrke dieser „Siebengescheidten“. Der so⸗
zenaunte Fortschritt aber, der die Bäume mit der Wurzel ausreißt,
hat durch seine Verhöhnung und Berdächtigung der gemäßigt
Denkenden nichts wester erreicht, als daß der Elel an öffentlichen
Angelegenhe'ten wähst und den staats⸗ und ordnungsfreundlichen
clemerten alle Ermunteruang, alle Thatkraft entzozen wird. Hundette
ind Tausende, um deren Haut und Besizz es sich doch auch handelt,
legen die Hände in den Schooß, gleich fatalistischen Türken, die
hr Schicksal erwarten. Die Commune und der Volksstaat wird
aun deshalb allerdings nicht entstehen, aber wenn der bornirte
cadikale Spießbürger sein Selbstbestimmungsrecht so nachlässig aus⸗
ibt, wird ein Anderer die Sache in die Hand nehmen, und das
—
Jlauben, daß mit ihrem leßten Berliner Sieg die Revolution einen
Schritt vorwärts gemacht hat, so irren sie sich. Dec Reaction
wird d'eses Wahltesultat zu gute kommen! Es beweist, daß beim
allgzemeinen Stimmrecht und selbst beim allgemeinen Wahlrecht, wie
s für den bayerischen Landtag besteht, nicht viel Besseres heraus
lommt, als eine karrikirte Standesbertretung. In Bayern haben
vir unverhältnißmäßig viel Geistliche in die Kammer bekommen; in
Sachsen und nun auch in Bertin bemächtigen sich die Handarbeiter
der Wahlurne, um des Parlament zu einer Vertretung ihrs
Standes zu machen. In den früheren parlamentarischen Körper—
schaften, nach den alten Wahlnormen, waren die verschiedenen Stände
auch bertreten, jedoch in ihrem nutürl chen Verhältiniß zu einander,
e daß keiner überwog. Und zu dem Prine'p der Veriretung nach
Ständen wird man früher oder später zutüdkehren. Die Sturm⸗
läufe der Socialdemokraten im Norden, die lierikale Mandatzgier
im Süden wird wisentlich dazu beigetragen haben, der bürgerlichen
Vesellschaft dieses Bdürfniß klar zu machen. Und darum sagen
wir: Socialisten und sog. Forischrittler, ebenso auch klerikale Wühlee,
kurz Alle, welche einem gemaäßigten und vernünftigen liberalen Streben
entgegen sind, arbeiten nur für die Reoction. — U⸗brigens ging
es bei der Hasenclever'schen Wadl selbst toll genug zu; maan warf
mit Phrasen herum, deren sich die Rothen bei uns doch schämen
vürden. Nanientlich wurden Socialisten und Nichtsocial sten als
Re „Hungrigen“ und die „Satten? gegenüder gestellt! Die Lasten
und Nahrungssorgen, unter welchen Tausende von ehrlichen Familien⸗
»ltern seufzen, existiren also nicht jür baterlandelose Vurschen. die
ediglich heute da, morgen dortagitiren“, und sich eigemuch ua
—
en Versammlungsgesthzen ein Schnippchen schlagen. Hat man doch
sogar in München den wirklich frevelhaften Versuch gemacht, von
ꝛinem angeblichen „Nothstande“ zu reden. Angesichts der Ver⸗
lilgung sämmtlicher Salvatorvorrälhe dinnen wenigen Tagen ist
man aber doch wieder davon abgestanden. Aber abgesehen von
München scheint es den „Hungrigen? auch anderwücie nicht ganj
chlecht zu gehen. So lkündigt der neueste „Nürnberg⸗ Fürther
Zocialdemoltat“ an: „Großes Sommerfest der Acrbeiter Nüruberg'a
m Cafe Reutersbruunen“! ferne. „Felfenkeller⸗Partie in Wimmer«
Felfenkeller“; „Flügelkränzchen in Wiesenhain“; „Gartenfest im
Hurggärtlein mit bengalischer Beleuchtung“; „Metzelsuppe im Con⸗
umazgarten“; „Weißweine im Johannisschlößchen“ u. s. w. Aus
loßem Hohn wird man dergleichen doch nicht in das socialdemo⸗
ratische Oegan einrücken, wenn nicht auf ergiebige Theilnahme
ius diesen Kreisen zu rechnen ist? Man wird den Arbeilern gewiß
eden quten Tag vergönnen, den sie sich antzun lönnen, nur sollen
ewisse Führer nicht so unanständigen Hungerschwindel treiben. Im
Rüncher Ze tgeist kündigt „Bürger Bruius“ die Feier seines Geburts⸗
estes an, welches in einem Wirthshaus der Gabelsbergerstraße von
Nachmittags 4 Uhr an beginnt. Das scheint nicht nur ein ehren⸗
verther“, sondern auch ein „gemüthlicher“ Brutus zu sein. Möge
er sein erfreuliches Wiegenfest unter dem Schuß des Casarismus
doch oft begehen.
Zerlhin, 26. Juni. Dem Bundesrath ist eine Vorlage
iber den Bau einer besonders auch für militärische Zwecke wichtigen
Bahnlinie zugegangen. Es handelt fich um eine neue Bahnlinie,
velche nicht nur Metz mit Saarlou's direkt, sondern auch durch
)en neuen Anschluß an die Saarbahn über diese und die im Bau
Hesindliche Feschbachthalbahn mittels eines zweiten Schienenwegs von
Torcelles⸗ Neunkirchen nach der Rhein⸗-Nahebahn, somit zwischen
Metz und Mainz, und dann durch die Saar⸗ und Moselbahn eine
ꝛirekte Verbindung mit Koln und Koblenz herstellen soll. Die
rosten für den Bau der Bahn sind auf 6, 400,000 M. veranschlagt.
Wie wir hören, sollen säm ntliche im Bau befindliche Bahn⸗,
eziehungsweise Ergänzungsstrecken in Elsaß Lothringen neun an der
Zahl noch im Laufe dieses Jahres eroͤffnet werden. Ddie wichtigsten
dieser Linien sind die von Kolmar über Neu- nach Alt⸗Breisach mit
MAaschluß nach Freidurg im Breisgau. Drei neue stehende Rheiu-
prücken zwischen Batel und Breisach gehen ihrer Vollendung ent⸗
gegen.
Berlin, 26. Juni. Nach der Vossischen Zeitung werden
im Laufe dieses Sommers höhere Offiziere des Generalstabes die
Bahnstrecken und das vorhandene Material und Personal in Bezug
auf Quantilät und Qualität einer Prüfung unterziehrn. Die
uletzt vorgenommene Inspicirung hat ergeben, daß die deuischen
cijenbahnen bei einer regelmäßigen, nicht beschleunigten Mobil—
nachung Eisenbahn vaggons dritter Classe in genügender Anzahl
zesizen, um die Truppen in diesen und nicht wie bisher theilweise
n offenen Gepädwagen zu befördern. Eben so hat sich herausge⸗
tellt, daß ein ausreichendes Unterbeamtenpersonal an Schaffnern,
Heizern ꝛc. vorhanden ist. Es wird beadsichtigt, an allen wichiigsten
Lceuzungspuncten Verpflegungsstationen für Truppen anjulegen und
dieselben mit dem nöͤthigen Material zu versehen, so daß bei Mobil⸗
machungen ohne Zeitverlust diese Auftalten in Betrieb gesetzt werden
oͤnnen um die durchpassirenden Truppen zu speisen.
Berhin, 27. Jani. Die „Provinzial:Korrespond enz“
chließt ihren Bericht über die Beraihungen des französischen Senats
zetreffend die Auflösung der Deputirienkammer mit folgendem Saße:
„Der Auflösungsbeschuß wurde der Kammer am Montag, 28. d.,
mitgetheill. Sie hrennte sich unter dem Rufe: ‚Es lebe die Repu⸗
»lit!“ von der einen Seite, „Es lebe Frankreich!“ von der andern
Seite. Die weitere Eutscheidung ist nun in die Hand des fran⸗
zösischen Volkes gelegt, eine Entscheidung, wie sie von gleich großer
und weitteagender Bedeutung, seit den Wahlen zur Nationalver⸗
jammlung von Bordeaux nicht Statt gefunden.“
Berlinm, 27. Juni. Mit den sortschreitenden Erfolgen der
russischen Waffen in Kleinasien und an der Donau und Angesichts