Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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— 
X 7. 
Samstag, 10. April 1886. 21. Jahrg. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 8. April. Der Reich tag hat 
eute in 2. Lesung daß Militärpensionsgesetz den 
Anttägen des Marschall Moltke gemäß angenommen. 
De Sozialkommisßssson des Reichstages 
sat die erste Berathung der Anträge über den 
—W Frauenarbeit beendet. Die zweite, de⸗ 
mive Beschlußfafsung wird erst nach dem Oster⸗ 
este stattfinden. 
Ueber den Gesetzentwurf, betreffend den Aus⸗ 
q luß der Oeffentlichkeit dei Gerichtsver⸗ 
andlungen, urtheilt die „Natonal ⸗Ztg.“ folgender⸗ 
naßen: 
i haben schon bei det Mittheilung des dem 
zundesraihe zugegangenen Gesetzentwurfes, wonach 
ine Berichte in ber Presse über Gerichtsverhand— 
ungen statthaft sein sollen, für welche die Oeffent⸗ 
ichteit ausgeschlossen worden, die logische Berech⸗ 
igung dieses Gedankens anerkannt. Der 8 178 
Gerichtsverfassungsgesetzes gibt jedem Gerichte 
je Befugniß, die Sefsentlichkeit auszuschlietßen 
denn von dieser „eine Gefährdung der öffentlichen 
Idnung oder der Sittlichkeit“ zu besorgen ist 
Nan muß zugeben, daß ein Ausschluß der Oeffent⸗ 
ichkeit kͤnen Sinn hat, wenn dadurch nur eine 
leine Anzahl Neugieriger von der Verhandlung 
exngehalten, die eigentliche und wirkliche Oeffent ⸗ 
ichkeit. die vermittelst der Presse, aber nicht ver- 
indert wird, sei es, daß Berichte auf Grund von 
Angaben der Theilnehmer an der Verhandlung 
istatiet, sei es, daß Zeitungs⸗Ref aAlen unter der 
bedingung einer eingeschränkten Berichterstattung 
ugelassen werden, wie es beispielsweise in dem 
brozeß Gräf geschah. Wie wenig diese Einschränk⸗ 
ing damals genützt hat, um die standaldsesten Er⸗ 
ierungen in der Presse fernzuhalten, ist noch in 
iller Erinnerung. Die einzelne Zeitung ist in einem 
olchen Falle kaum im Stande, ihren Lesern vor⸗ 
uenthalten, was in hundert anderen Blättern ge⸗ 
xuckt wird. Ferner hat der Landesverrathsprozeß 
Zarauw, in welchem thatsächlich von Dingen die 
kede war, deren Geheimhaltung im militärischen 
juteresse Deutschlands lag. bewiesen, daß die jetzige 
nangelhafte Sicherung der Nichtoffentlichkeit einzelner 
Herichtsverhandlungen ernstlichen Schaden stiften 
ann. Auf der anderen Seite kann doch nicht außer 
icht gelassen werden, daß die Oeffentlichkeit des 
herfahrens eine der wichtigsten Garantieen einer 
manfechtbaren Rechtspflege ist. Wir haben des⸗ 
zalb schon bei unseren ersten vorläusigen Bemerk⸗ 
ingen über den Entwurf Bedenken betreffs des— 
enigen Vorschlags geäußert, der nicht eine bestehende 
heschränkung der Oeffentlichkeit wirksamer machen., 
ondern eine neue einführen will. Wägsrend jetzt 
das ganze Urtheil, also auch die Begründung des⸗ 
elben öffentlich verlündet werden muß, soll dies 
ünftig nur betreffs der Urtbeilsformel, d. h. der 
zreisprechung oder Verurtheilung selbst nothwendig 
ein. Die Unerläßlichkeit einer so weitgehenden 
lenderung können wir selbst vom Standpunkt des 
ẽntwurfes aus nicht zugeben. Nach einer Ver— 
jandlung, für welche aus Gründen der Sittlichkeit 
Nie Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, wird das 
hericht doch durchaus in der Lage sein, das Urtheil 
¶ abzufassen, daß die Sittlichkeit — die nicht mit 
brüderie gleichbedeutend ist — nicht verletzt wird. 
Wenn bei der Verhandlung über ein Münzvber- 
orechen die Oeffentlichkeit aus Gründen der „öffent: 
ichen Ordnung“ ausgeschlofsen wird, so geschiehl 
3. damit die Verhandlung sich nicht zu einer 
Schule der Falschmünzerei gestalte; im Urtheil läßt 
ich dies leicht vermeiden. Dagegen ist es klar, 
daß die Oeffentlichkeit wenigstens der Urtheilaver⸗ 
undung das letzie Muttel derjenigen Kontrole der 
Rechtsprechung durch die Nation ist, welche einen 
ntenulen Grundsaßz unseres Gerichtsverfahcens 
bildet.“ 
Aachen, 8. April. Gestern Mittag langten 
in Herbesthal 42 Personen an, welche von der 
velgischen Behörde ausgewiesen waren.“ Unter 
hnen befanden sich vier deutscherseits steckbrieflich 
Vverfolgte. Die ganze Gesellschaft wurde von der 
hreußischen Polizei in Empfang genommen ˖ 
Von der lothringischen Grenze, 6 
April. Luxemburg macht mobil! — Bekanntlich 
stellte bis 1866 das Großherzogthum Luxemburg 
in Jägerkorps von 2000 Mann in zwei Batail⸗ 
sonen zur deutschen Bundesarmee. Kurz nach 
1866, besonders aber nachdem 1867 das Land in 
dem Londoner Vertrage zu einem autonomen Staate 
ctlärt war und die preußische Besatzung 1867 im 
September die Bundesfestung verlassen hatte, hatte 
nan nichts Eiligeres zu thun, als an den zwei 
chönen Bataillonen zu rütteln, bis sie endlich ganz 
abgeschafft waren und durch eine Art Freiwilligen⸗ 
kompagnie von 150 bis 200 Mann ersetzt wurden. 
Man erzählte sich damals überall, daß der Konig⸗ 
Zroßherzog nur mit schwerem Herzen in die Ab⸗ 
chaffung der beiden Bataillonen, worin so viele 
andeskinder ein schönes Unterkommen fanden, ein⸗ 
villigte, und vielleicht bedauert man es schon jetzt, 
das Ländchen ohne jeden militärischen Schutz ge⸗ 
lassen zu haben. Die belgischen Unruhen haben 
zuch in Luxemburg ernste Besorgniß wachgerufen 
ind um ein Ueberfluthen der Grenze zu verhindern 
Jat man am 1. April 285 Rekruten. die fich frei⸗ 
villig gemeldet hatten, in die Freiwilligenkompagnie 
ꝛingezogen. Das Gendarmeriekorps, welches augen⸗ 
lidlich an die 120 Mann zählt, ist ebenfalls ver· 
zärkt worden, und es haben die Gendarmeriebri⸗ 
jaden des Erzbeckens nebst militärischen Anord⸗ 
aungen ihres Kommandanten bedeutende Munition, 
00 Pattonen der Mann, erhalten. Die Frei⸗ 
villigenkompagnie beträgt mit den Neueingetretenen 
225Mann. Außerdem stehen noch 250 bis 300 
auf der Meldungsliste, welche ebenfalls eingezogen 
derden konnten, so daß sich die ganze bewaffnete Macht 
auf 500 Mann stellen dürfte. Sollte es wirklich 
die belgischen Anarchisten gelüsten, den Luxemburger 
Fleischsöpfen einen Besuch abzustaiten, wie man es 
in den letzten Tagen allgemein befürchtete. so dürfte 
diese schwache Macht, die ein inländisches Blatt 
selbst ais Ohnmacht“ bezeichnet, kaum ein Ueber⸗ 
fluthen der Grenze verhindern. Etwas anderes 
Järe es allerdings, wenn man in solchen Fällen 
der Gefahr, wie früher, zwei gut ausgebildete 
Jaͤgerbataillone zur Aufrechterhaltung der oöffent. 
schen Ordnung aufbieten könnte. 
schließen, daß er es nicht bis zum äußersten Wider⸗ 
tand wird kommen lassen. Da auf der andern 
Seite auch die Mehrzahl der Mächte ein Interesse 
daran hat, daß der Fürst dem Abkommen zustimme 
und nicht in offenen Widerstreit mit dem Willen 
Furopas gerathe, so erscheint es nicht unmöglich, 
daß man fich neuerdings mit dem Fürsten auf 
seinen Wunsch in Verhandlungen einlassen wird, 
die vielleicht ein dem Battenberger genehmeres Er⸗ 
gebniß herbeiführen duürften. 
Wien, 7. April. Aus Athen: Türkische 
Truppen versuchten, den von Elassona nach Larifsa 
führenden Grenzpaß Meluna zu besetzen, wurden 
jedoch durch die Griechen daran gehindert. 
In Folge mangelnder Beschaftigung in den 
Fisenwerken von Fourchambault (Departement 
Niovre) wurden 500 Arbeiter entlassen. Der in 
Decazeville kommandirende General Borson 
warnt in Mauer-Anschlägen alle im Rerservisten⸗ 
oder Territorial⸗Armee⸗Verhältniß stehenden Indi⸗ 
viduen, somit die ganze männliche Bevölkerung bis 
zum Alter von 40 Jahren, vor der Theilnahme 
an Versammlungen, da sie sonst vor's Kriegsgerich! 
gefiellt und wegen Rebellion verurtheilt würden. 
Für das von Rochefort aufgegebene Pariser Abge⸗ 
ordneten⸗Mandat stellen die Gambettisten Doͤrou⸗ 
lede, die Intransigenten Duc⸗Quercy, den einen der 
beiden in Decazeville verhafteten Redakteure, als 
standidaten auf. — Die Post aus Numea in Neu⸗ 
Caledonien meldet den am 7. Februar erfolgten 
Tod Assi's. Der ehemalige garibaldische Freischärler 
war 1840 geboren, er wurde einer der Grunder 
der Internalionale und war vor dem Kriege von 
1870 Führer der großen Arbeiterbewegung in 
Creuzot. Als Mitglied des Zentral-Ausschusses 
und der Kommune nahm er einen regen Antheil 
an dem Pariser Aufstand von 1871, überwarf sich 
aber mit seinen Genossen und wurde von den 
dommunisten in das Gefängniß von Mazas gebracht. 
Die Versailler Kriegsgerichte verurtheilten ihn zur 
Verbannung nach einem befestigten Platz; nach der 
Amnestie aber zog er es vor, in Numea zu bleiben, 
denn er hatte dort ein Geschäft als Mechaniker 
gegrundet und war zum Gemeinderath gewählt 
worden. 
. Nachdem alle moͤglichen Maßregeln erfolgt sind, 
um die russische Ostseeprovinzen der Russi⸗ 
fizirung zu unterwerfen, ist jetzt ein weiterer Schritt 
in Aussicht genommen: die Schließung der deut⸗ 
schen Universitat Dorpat und die Ueberführung 
derselben in irgend eine russische Stadt. Diese 
Frage wird jetzt in der That in den leitenden 
reifen ernstlich erwogen, da man sich die Aksa⸗ 
koff'sche Anficht angeeignet hat, daß alle Russifizir⸗ 
ungsmaßregeln zweckles sein werden, so lange Dor⸗ 
pat besteht. die „Hochburg des Deutschthums“ in 
den Ostseeprobinzen, und da das Blatt „St. Pe⸗ 
tersburger Wedomosti“, das dem Ministerium der 
„Volksaufklärung“ nahesteht, sich jetzt in scharfer 
und gehässiger Weise gegen Dorpat ausspricht, et 
als Herd des Antirussenthums und des Widerstan⸗ 
des gegen die Regierung kennzeichnet, so deutet diet 
zur Genüge an, von welcher Seite der Wind welt. 
Das dürfie der empfindlichste Schlag sein, den man 
der deutschen Cultur seitens der fanatisch betriebenen 
Russificirung beibringen könnte, aber es scheint bei 
den gegenwaͤrtig herrschenden Tendenzen unvermeid 
lich. Es ist nur eine Frage der Zeit für Dorpat 
nicht mehr, und unentschieden bleibt es nur, ob 
die Universität ganz in eine russische Stadt ver— 
pflanzt wird oder ob man sich damit begnügt, für 
Auslaud. 
Wien. 7. April. Die Kölnische Zeitung 
melder von hier: In unserer diplomatischen Welt 
blickt man zur Zeit mit begreiflicher Spannung auf 
die Haltung. die der Fürst Alexander jetzt gegen— 
uͤber der ihm seitens der Großmächte zugegangen 
Aufforderung, dem türkisch⸗bulgarischen Abkommen 
in der neuen Fassung beizutreten, einnehmen wird 
Zuverlässiges über das, was der Fürst thun wird 
var hier heute noch nicht bekannt. Privatnachrich 
en aus der Umgebung des Fürsten lassen daraus