Full text: St. Ingberter Anzeiger

sei, welches die Ebergenyi ihrer Magd Elise Kubesch zur Aufbe— 
wahrung übergeben hatte. Unter den Urkunden befand sich auch 
jener Brief, welcher in einem Eisenbahn-Waggon gefunden wurde, 
und in dem es heißt, daß die Gräfin in einem amerikanischen 
Duell ihren Tod gefunden habe. 
Nachdem ferner jene Mittheilunzen ans den Acten erfolgt wa⸗ 
ren, welche zur Characteristik der Ebergenyi gehören und durch die 
Verhandlung in Wien schon länkt bekaunt sind, wurden auch meh— 
rere Urkunden verlesen, welche fich auf den Character des Ange⸗ 
klagten beziehen. Wir entnehmen in dieser Beziehung der Conduite⸗ 
liste über die letzte Dienstzeit des Grafen im 12. 8.t. Infanterie⸗ 
regimente, welche von dem Generalmajor Erzherz. Heinrich unter⸗ 
iertigt ist, Folgendes: „Graf Chorinsky entstainmt einer sehr acht⸗ 
zaren alten, adeligen Familie, besitzt eine schwächliche Gesundheit, 
ist sehr leichtsinnig, lügenhaft, ohne ausgebildeten Characker, ohne 
Ausdauer, von gewöhnlicher geistiger Begabung, ein großer Schwützer, 
hat wenig Ehrgefühl,ist ohne besondere. mititärische Kenntnisse, 
spricht italienisch, französisch und englifch ziemlich gut, auch etwes 
russisch, kaun gut reiten, fechten und schrvimmen, benumimnit sich brav 
vor dem Feinde — in der Schlacht von Koͤniggrätz erh'elt er eĩuen 
Säbelhieb in die Brust und wurde mit dem Hiilitärderdienstkreuz 
und der Kriegsdecoration ausgezeichnet —, ist ehrerbietig, aber 
aicht offen gegen seine Vorgesetzlen, gegen Gleichgestellte herablas⸗ 
send und gefällig, wegen seines Leichtsinnes aber nicht augesehen; 
gesellig, artig, zieht sich aber voa der besseren Gesellschaft zurück 
und fucht gerne schlechte auf, ferner hat er eine große“ Neigung 
zum Schuldenmäachen.“ »8 6orksekung folgt.)e * 
— BÆAA 
VBermischtes. . 
7 In Speyer hae sich ein Kreuzerbetein gebildet? welche. 
in einem Aufruf um Beiträge“ zu dem längst projectitten Bai 
einer protestantischer Kirche auf. dem historischen Boden des Ret— 
schers bittet. An der Spitze des Vereins steht die Frau Regier— 
ungspräsident v. Pfeufer. 
FSpeyer, 8. Juli. Gestern Nachmittag machte eine Ar— 
rheilung des hier“ garnisonirenden 5.Jägerbataillons einen 
Marsch in unsern städtischen Wald, wobei von ihr ein von sei 
ner Nabenmutter ausgesetztes neugebornes Kind aufgefunden 
wurde, das man noch lebend zur Stadt brachte. Der ruch⸗ 
losen That verdächteg soll dem Vernehmen nach eiue junge Per— 
son sein, welche am gestrigen Tage in der Bierbrauerri zum 
Lamm gesehen wurde und von da mit der Bahn nach Heidelberg 
zereist sein soll. 
T In Oggergheimm wurden vor einigen Tagen 5 Kin—⸗ 
der und 9 Hunde von einem wuthverdächtigen Hunde gedissen. 
Die Aufregung und Besorgniß unter den Eltern der gedissener 
sinder ist begreiflicher Weise sehr-groß. 
F Die Nannheimer Actionäre der bankerotten Baumwollsp'n⸗ 
nerei in Kaiserslautern sind entschlossen, dem Verwaltungsrath der 
Gesellschaft gegenüber den Rechtsweg zu betreten. Der in Mus 
sicht stehende Proceß ist ganz geeignet, die Aufmerksamkeit des bei 
industrieslen Actienunternehmungen betheiligten Publikums zu er—⸗ 
wecken. Es handelt sich um die Frage: ob die solventen Ver— 
waltungsräthe für den Schaden zu haften haben, den sie zwar 
aicht verschuldet haben, den sie aber durch genaue und rechtzeitige 
Untersuchung hätten vermeiden können. Alle Mitglieder des Ver⸗ 
waltungsrathes der gedachten Spinnerei sind Ehrenmänner, deren 
Namen in der Pfalz und darüber hincus den besten Klang ha⸗ 
ben. Ihre Stellung zur Gesellschafi war mit keinen der üblichen 
Tantiemen und Remunerationen verbunden. Niemand beschuldigt 
sie der leisesten Unredlichkeit. Sie ließen sich täuschen und mach—⸗ 
ien sich eines Uebermaßes von Vertrauen in den davongegangenen 
Director schuldig. Dies Vertrauen büßen sie selber mit einer be—⸗ 
deuienden Anzahl werthlos gewordener Actien; aber mit ihnen 
büßen zahlreiche Unschuldige, denen der Verluft sauer ersparter 
kleiner Capitalien wehe thut. Der entlaufene Directot ist notori 
cher Trinker, dem unter anderen alle daufmännischen Kenntniffe 
abgingen. So wurden z. B. Lieferungen für die preußische Armee 
ibernommen, die man in Preußen selbst zu den pfälzer Preisen 
aicht übernehmen konnte noch wollte. Unler den Vorrathen sollen 
ich fur 70,000fl. Indigo befinden, was für den Bedarf der 
Druckerei auf Jahre hinaus genug sein würde. Unter solchen 
Amständen glaubt man aber allgemein, den Verwaltungs 
cath mit Recht für den entstandenen Schaden verantwottuch 
machen zu können und sieht dein Gange des Processes mit Span— 
aung entgegen. 
fHeidelberg 65Jnli. Heute Morgen um 9 Uhr fuhr 
der Zugführer des von Mannheim kommenden Personenzugs statt 
im Bahnhofe haltken zu lassen, fahrlässiger Weise durch die Bahn⸗ 
jofshalle hindurch, gerade auf das nähestehende Postgebäude zu, so 
daß die Locomotide die starke Kette, welche das Fahrgeleise gegen 
enes absperrt; durchbrach, einen der starken Kettenträger aus dem 
hoden riß und auf die schräge hölzerne, unten hohle Brucke welche 
aus dem Vorrathshaus der Fahrpost auf den Bahnof herabführt, 
zueilte. Nachdem sie tiefe Fahrgeleise in das zertrümmerte Plat 
enpflaster gerissen, riß sie auch die gemauerten Seilenwände unter 
der Brücke sammt dieser nieder und wühlte sich in die bloße Erde 
unterhalb derselben tief ein. Dadurch wurde der Stoß gebtochen, 
so daß die Räder der Locomotive nur bis an das Vorrathshaus 
und nur das Vordertheil in dasselbe eindrang, und 2Posikarren 
in Stücke riß. Es waren nachher 8 geheizten Locomotiven nö⸗ 
chig, um die in die Erde eingewühlte Maschine wieder heraugszu⸗ 
ziehen. Die Passagiere auf dem Zuge kamen mit der Erfchuͤlter⸗ 
ung und dem Schrecken davon, aber dem Zugführer wird es 
chlimm gehen: Er hatte schon einmal einen Zusammenstoß im 
Oberland, war in Folge davon längere Zeit vomn Amte entfernt 
und fährt erst seit einigen Tagen wieder. Er ist bereits vom Dienft 
entjetzt und muß den angerichleten Schaden ersetzem 47 
fWiesbaden. In der Nacht zum 8. d. M. gelang es 
einenr gewandten Gauner, aus den Zimmern des Prinzen Join⸗ 
dille in der, Vier Jahreszeiten“ 80 Pfd. Sterl. in baar, ver⸗ 
schiedene Goldsachen und iieoce vou 6000 Pfo. 
zu entwenden.“ Der Diebstahl wurde erst Morgens hemerkt und 
ur Anzeige gebracht. Der Polizei“ gelang es gleichwohl, bis Mit⸗ 
ag den Died in Hast und das gestohlene Guf wieder zu be⸗ 
chaffen. 44 
f(Schwindel) Die? Berliner Post“ warnt vor den 
Schwindeleien eines gewissen Wepler, welcher, obgleich er keine 
Ahnung von dem Wesen: der Epilepsie hat, und obwohl er erft 
türzlich wegen Medizinal⸗ Pfuscherei bestrafi ist, ein Mittel gegen 
diese Krankheit durch eine Apolheke verkauft, womit er das leicht⸗ 
zläubige Publikum geradezu betrügt Um' sich den Geldgewinn 
zu sichern, auf den allein es ihm ankommt, veröffentlicht er Atteste, 
ie sich der Mehrzahl nach gar nicht in seinen Händen? befinden 
ꝛeren Minderzahl aber von Personen herrühren, deren Ehrenhaf ⸗ 
igleit stark zu bezweifeln ist. Aerztliche Alteste bringt er von 
»bscuren Medicinern, die,ebenfalls gewissenlos, alles Mögliche für 
in Butterbrod attestiren. 
f.Pagsau 8. Juli. Wie der „Pass. Ztg.“ mitgetheilt wird 
iel gestern Mittag zwischen 12 und 1 Uhr auf dem Lusen im 
aherischen Walde Schnee, so daß, der Bergrücken ganz mit 
Schnee bedeckt war, Niemand kann sich erinnern, daß je um diese 
Zeit, woyl aber einmal am 27. Juli, dort Schnee gefallen sei· 
F Im verflossenen Jahre verließen über Bremen 73,971 
eutsche Auswanderer ihr Vaterlandz darunter 32,069 aus Preu⸗ 
zen (6387 aus Hannover, 2929 aus Queheffen 803 aus Nassau,) 
252 aus Bayern, 5038 aus ——A Hessen⸗ 
Dari tadt, 2426 aus Baden, 2049 aus Thlringen, 12283 us 
Sachsen ꝛc. Aus Oesterrreich wanderten 15,103 aus, wovon der 
zrößte Theil gqus Böhmen. 
Am Dresdener Hoftheater werden Wagner's „Meei⸗ 
stersinger“ einstudiirr. — 
Zum Wiener ShHülßenfeste sind aus Stutigart bis 
etzt 188. aus Frankfurt 300 Festtheiluehmer angemeldet. — Am 
19. ds. findet ein Probeessen, am 20. Prüfung der sämmilichen 
kinrichtungen der Schießhalle und der festgesetzten Schießcontrolle 
c. statt. — Die Wohnungsnoth macht sich noch immer geltend, 
ꝛa — nach der „A. Z.“ — eigentlich nur für eine weniger an⸗ 
spruchsvolle Classe von Schützen gesorgt ist, denen es michts ver⸗ 
schlägt, in Massen bequatiert zu werden und sich in „ärarischen“ 
Betten zur Ruhe zu legen. Der Bürgermeister von Wien habe 
ich daher in einem öffentlichen Anschlag anden hohen Adel“ und 
,die wohlhabende Bürgerschaft“ mit dem dringenden Erfuchen ge⸗ 
vandt, ihre etwa leer stehenden Paläste und Wohnungen für die 
hervorragenden“ Festgäste zur Verfügung zu stellen.* 
fWien 6. Juli. Wie man höri, ist die Ebergenyin in 
Neudotf in der That avancirt worden, nämlich zur Oberwäscherin 
der Anstalt, womit allerdings ein Aufsichtsrecht über die übrigen 
weiblichen Straäͤflinge verbunden ist. U 
7 Die Maͤßigkeitsvereinler, in London wollen ein Hospital 
errichten, in welchem Kranheiten ohne Anwendung von' Medicin 
oder Alkohol curirt werden sollen. 5 
f. Vor einem englischen Schwurgericht wurde ein Reitknecht 
wegen, böswilliger Vergiftung eines werthbollen Rennpferdes zu 
einer fünfjährigen Zuchthausstrafe verurtheititit. 
f.London, 8. Juli. Gestern fand ugter dem Vorsitze des 
Earl of Shaftesbury die Jahresversammlung der Freunde der Nord— 
londoner⸗Stiefelputzerbrigade statt. Zweck dieser Institution ist, 
unbemittelte Juugen durch auhaltende Beschäftigung vor morali— 
chem Untergange zu bewahren. (Im letzten Jahre standen nicht 
veniger denn 2141. Buben nuter 18 Jahren. davon 151 unter 
10 Jahren, vor den Londoner⸗Gerichtshoöfen.) Im Jahre 1867 
jaben die 48 der Brigade angehörigen Stiefelputzet 293,950 
Paar Schuhe und Stiefel Jereinigt und zu der Tar⸗ don 1 P. 
der Paar 1222 8. 14 Sh. 2 P. eingenommen, also durchschnitt⸗ 
lich jeder Junge täglich etwg b Sh. 8 P. ber 2 S.