Full text: St. Ingberter Anzeiger

eien, in einer Sache, die mehr die Sache der Vaterstadt als die 
unsere ist, den Beweis der Wahrheit zu führen“ 
Berlhin, 24. Dec. Die „Kreuzzeitung“ meldet verläßlich 
Folgendes aus Wien: Die Schutzmächte nehmen den Conferenz⸗ 
vorschlag zur Verhandlung Über den griechischtürkischen Couflict 
an. Rußland beantragt die Zurüchnahme der Ausweisungsmaß⸗· 
zegel und die Einstellung der Feindseligkeiten für die Dauer der 
Fonferenz. Oesterreichs Zustimmung ist zweifellos, diejenige Ita⸗ 
liens und Griechenlands ist wahrscheinlich. Von einer Entschließ⸗ 
ing der Pforte ist noch nichts bekannt. Die allseitige Zustimmung 
porausgesehßt, wird die Conferenz wahrscheinlich schon zu Neujahr 
hre Berathungen beginnen. 
Frankreich. 
Die französische Regierung scheint sich wegen der in den bei⸗ 
den schweizer Grenzstädten Genf und Basel herrschenden und immer 
mehr wachsenden democratisch- socialistischen Bewegung nach und 
nach ernste Besorgnisse zu machen. Sie hat eine schärfere Ueber⸗ 
vachung der Grenze und sogar des Postverkehrs angeordnet. In 
etzterer Hinsicht sei folgender Fall mitgetheilt: J. Ph. Becker, 
ꝛiner der hervorragendsten und thätigsten Führer dieser Bewegung 
in der Schweiz und in Mittelcuropa überhaupt, hatte vor einigen 
Tagen durch die Genfer Post ein Paket revolutionärer Flug- 
chriften an einen Freund in San Francisco in Californien ab⸗ 
gehen lassen. Diese communiflische Sendung nach dem Goldlande 
scheint den französischen Behörden unzulässig gewesen. Das Pakei 
wurde auf der ersten französischen Station der Genf⸗Lyoner Eisen⸗ 
hahn, in Bellegarde, confiscirt. Herr Becker ist entschlossen, alle 
Dittel anzuwenden, um wieder in den Besitz seines Eigenthums 
zu gelangen. Er wird als Schweizer (er ist Bürger des Kantons 
Bern) den Beistand des Bundesraths anrufen, und wohl auch 
zie Intervention des amerikanischen Consuls Upton in Genf er— 
zitten. Die Entscheidung der Sache wird jedenfalls charackeristisch 
werden. 
Paris, 26. Dec. Wie der „Gaulois“ wissen will, hätten 
m letzten Ministerrath die HH. Lavalette und Forcade die Cr⸗ 
rulare vorgelesen, welche sie an die diplomatischen Agenten resp. 
die Präfecken der Departements versenden wollen. Um die Un— 
ruhe, welche der hl. Stuhl über die Ernennung des Marquis 
d. Lavalette empfinden könnte, zu beschwichtigen, soll General 
Dumont, der Commandant der französischen Truppen in Rom, 
zum Senator ernannt werden. Die kaiserliche Regierung würde 
also zu erkennen geben, daß sie an ihrer Politik in dieser Rich— 
tung nichts ändern wolle. 
Paris, 27. Dec. Durch kaiserliches Decret sind der 
Gesetzgebende Körpber und der Senat auf den 18. Januar 
einberufen. 
Paris, 27. Dec. Die Abendblätter sagen, daß weder 
die Zeit noch der Ort des Zusammentritts der Conferenz feststehe; 
zerselbe sei zwar wahrscheinlich, jedoch keineswegs noch bestimmt. 
„Patrie“ will wissen, Lord Clarendon habe erklärt, die Integrität 
des türkischen Reiches müsse außer Discussion bleiben. — Der 
Herzog v. Gramont, französischer Gesandter in Wien, ist hierher 
herufen. 
Belgien. 
In Gent ist am 20. December ein Congreß der Studenten 
zröffnet worden, eine Wiederholung des Lütticher Studenten ⸗Con⸗ 
zresses. Die Eröffnungsrede des Herrn Sartoun ist kühn, ja ver⸗ 
wegen. „Wir sind Atheisten,“ lautet sein Glaubensbekenntniß, 
„und also auch revolutionär. Man hat nicht das Recht, uns 
dieserhalb einen Vorwurf zu machen. Unsere Uebherzeugung ist 
zas Resultat unserer wissenschaftlichen Studien; die ijsenschaft 
hat uns unsern Weg vorgezeichnet und so schlagen wir ihn ein, 
hne rückwärts zu schreiten.“ Die Regierung wird eben nicht 
erfreut sein, daß ihre Genter Staatsuniversität solche revolutionäre 
kFier ausbrütet. Von Paris sind mehre Delegirte in Gent; der 
Fongreß wird mehre Tage dauern. 
Spanien. 
Die Zeitungen verdffentlichen einen Brief des Herzogs von 
Montpensicr aus Lissabon, 19. d., in welchem der Herzog sich zu 
dem Grundsatze bekennt, daß in einem freien Lande das allgemeine 
Stimmrecht die legitime Quelle der politischen Rechte ist. Der 
Herzog erinnert an seine unfruchtbaren Bemühungen in den Jah— 
en 1859 und 1866 für die Herbeifülrung einer liberalen Re— 
rierungspolitik und schließt mit der Versicherung, daß ihn keiu 
Ehrgeiz bessele, und er fest entschlossen sei, dem neuen, freien 
Zpanien dauernd anzugehören. 
— „Imparcial“ versichert, die Candidatur Montpensier's! 
»abe eine wesentliche Umwandlung erlitlen. Auf den Rath ein⸗ 
ftußreicher Staatsmänner würde der Herzog definitiv auf seine 
igene Kandiatur verzichten und die seines ältesten Sohnes 
Prinzen Ferdinand, geb. 1859) mit einer Regentschaft von dri 
Nitgliedern aufstellen. 
— Bei den Gemeindewahlen in Barcelona sind unter 47 
cfrwählten 36 Republikaner. In Madrid sind 24,000 monarchi-⸗ 
che und 3600 republikanische Stimmen abgegeben worden. 
Donaufürstenthümer. 
Bukarest, 24. Dec. In den rumänischen Häfen sind 
uͤber 20 Schiffe mit griechischen Flüchtlingen aus der Türkei an⸗ 
zekommen. Dieselben wurden unter der Bedingnng, daß sie sich 
hen Landesgesetzen unterwürfen und aller Manifestation enthielten, 
uuf dem rumänischen Gebiete aufgenommen. 
Türkei. 
Konstantinopel, 24. Dec. Die Pforte hat die für 
die griechischen Unterthanen bestimmte Ausweisungsfrist von zwei 
auf fünf Wochen erstreckt. 
Bezüglich einer eventuellen Conferenz werden neuestens fol⸗ 
jende telegraphische Mittheilungen gemacht: Die Initiative zu 
derselben wurde anfangs Rußland zugeschrieben. Die Wiener 
Blätter melden nun übereinstimmend, Preußen habe den Vorschlag 
in Paris zuerst und zwar am 20. d. gemacht. Die „Weserztg.“* 
chreibt dagegen aus Berlin: „Die widersprechenden Conferenz⸗ 
nächrichten sind dahin zu berichtigen, daß die Schutzmächté auf 
Frankreichs erste Anregnng die Conferenz in Aussicht nahmen. 
In Folge dessen beantragte Rußland, unterstützt von Preußen, 
die Ausdehnung der Theilnahme an der Conferenz auf die Mächte, 
velche den Pariser Vexrtrag unterzeichnet haben. Bei der Pforte 
Jat Rußland den Antrag gebracht; diese soll jedoch abgelehnt 
Jaben. Nichtsdestoweniger scheint die Conferenz gesichert zu sein. 
Nach der „Times“ ist Napoleon einverstanden, ja habe nicht übel 
Lust zu einem Congresse. England macht blos die Bedingung, 
daß die Conferenz auf die griechischetürlischen Angelegenheiten be⸗ 
schränkt werde. (Nach dem „Temps“ wären sowohl Frankreich 
als England einer Couferenzidee wenig geneigt, sondern zögen 
einen einfachen Notenaustausch der verschiedenen Cabinete vor.) — 
Die italienische Regierung stimmt zu. Die Zustimmung Griechen⸗ 
ands ist nach der „Kreuzztg.“ wahrscheinl ch. — Die immer noch 
ebhaft fortgesetzten Verhandlungen scheinen sich auf das im Vor— 
aus festzustellende Programm zu beziehen. Nach der „Kreuzztg.“ 
heantragt Rußland die Zurücknahme der Ausweifungsmaßregel 
ind die Einstellung der Feindseligkeiten für die Dauer der Con⸗ 
erenzen. Russischer Seits wird ein auf die Conferenz bezügliches 
MNemorandum in Paris und London angekündigt. — Die allsei⸗ 
ige Zustimmung vorausgesetzt, würde der Zusammentritt wahrschein⸗ 
ich schon zu Neuiabhr und zwar in Naris erfiolgen. 
Verwmischtes. 
F In Zweib rücken soll mit dem neuen Jahre ein 
Arbeiter⸗Bildungs-Verein ins Leben treten, gegründet 
auf Gegenseitigkeit seiner Mitglieder. 
München, 23. Dec. Mit Neujahr sollen in Bayern 
Franco· Marlen zum Aufkleben auf die telegraphischen Depeschen, 
in den entsprechenden Beträgen von 14 und 28 kr. ausgegeben 
verden — eine jedenfalls zweckmäßige Einrichtung. 
F Ueber den dreifachen Mord in Altötting (in Nr. 152 
»es St. Ingb. Anzeigers enthalten) wird der „Landsh. Ztg.“ 
interm 16. berichtet: Das Moliv zu dieser entsetzlichen Thal war 
illem Vermuthen nach eine Bürgschaft, welche der Mann, der der 
That dringend verdächtig ist, für einen Andern wegen fünfhundert 
Hulden dem nunmehr Ermordeten leistete; da der Schulduner die— 
elben nicht leisten konnte, wurden diese nun von ihm gefordert. 
Als die von der Abendandacht heimkehrende Magd im Wohnzim⸗ 
ner Licht anzündete, gewahrte sie die röchelnden Sterbenden, von 
denen nur noch die Frau die Worte „ein Mann“ hervorbringen 
'onnte und dann auch verschied. Auf dem Tische fand man den 
A 
naßlichen Thäter führte, einen verheiratheten Schmied von einem 
aahegelegenen Dorfe. Bei der Haussuchung fand die Gendar— 
nerie alsbald die blutigen Stiefel und Kleidungsstücke bor. 
f Die Karlsruher Gasgesellschaft gibt das Gas den stark— 
onsumentirenden Staatsbehörden um 2 fl. 54 fkr. per 1000 
ub'kfuß. 
x In Mainz wurde ein Bahnwärter wegen Verdachts, seine 
erste Frau vergiftet zu haben, gefänglich eingezogen. 
fLichtenfels, 24. Dec. Aus sicherster Quelle kann 
ch Ihnen mittheilen, daß Chorinsky nunmehr in die Kreisirren— 
anstalt Erlangen verbracht wird.) Nach dem K. v. u. f. D. ist 
dies bereits geschehen. 
— Bei Günther in Berlin erscheint von Neujahr an eine 
Deutsche Schuhmucherzeitung““ mit dem danlenswerthen Pro⸗ 
zramm: „Befreiuung von Moden vom Auslande, welche oft 
zjenug gegen Gesundheit und natürliche Gestaltung des Fußes 
ündiaten