St. Ingberler Anzeiger.
— — —
Der „St. Ingberter A nzeiger“ mit seinem Unterhaltungsblatte erscheint wöchentlich dreimnal: Dien stag, Don ners tag
und Samstag. Abonnementspreis vierteljührig 45 Krzr. oder 13 Silbergr. Anzeigen werden mit 8 Arzr. die dreispaltig Zeihe
Blattschrift oder deren Raum berechnet.
Donnerstag, den 831 December
Nro 18ß.
Deutschland. J
München, 25. Dec. In der Ausschuß⸗ Berathung über
den Schulgesetzentwurf entstand dei dem principiell wichtigen Art.
113 eine lebhafte, längere Debatte. Dieser Artikel setzt fest, daß
die Aufsicht über den Religionsunterricht und das religios⸗ittliche
Leben in den Schulen der einschlägige Pfarrer der beir. Confes⸗
sion zu führen hat, er mag Müglied der Schulcommission fein
oder nicht, und daß derselbe in dieser Eigenschaft seiner vorgesetz ·
ten kirchlichen Oberbehörde, welcher verfassungsmäßig das Auffichts
recht auf Religionslehre und religiös sittliches Leben in der Schule
zusteht, verantwortlich ist. Hiefür hatte der Referent (Pfr. Gelbert)
die Einstellung des folgenden Sahes befürwortet: „Zur Beauf
sichtigung des Religions-Unterrichies kann im Eindernehmen mit
der Kreisverwaltungsstelle die kirchliche Oberbehörde jährlich
ordentliche, sowie außerordentliche Visitanionen durch ihre amtlichen
Organe anordnen.“ Von der Vertretung der Staatsregierung
wurde der von ihr schon bei Berathung des Art. 3 entwickeln
Standpunkt festgehalten, daß nicht blos der Religionsunterricht
sondern auch das religisös-sittliche Leben in den Schulen zum
Wirkungskreis der kirchlichen Organe gehöre. Ferner wurde von
dieser Seite geltend gemacht, daß in Arl. 3 nuͤr von Anordnung
und Leitung des Relig'onsunterrichts und des religiösesittlichen
Lebens gehandelt werde, nicht aber von der Aussicht hierauf, und
daß deßhalb hier auch eine Bestimmung in letzterer Beziehung
erforderlich erscheine. Der Abg. Pfr. Reger schlug folgende Fas
sung vor: „Die Aufsicht auf das religiös-sittliche Leben in den
Schulen führt der Pfarrer der einschlägigen Commission, er mag
Mitglied der Ortsschulcommission sein oder nicht. Derselbe us
in dieser Eigenschaft seiner vorg setzten kirchlichen Behörde verani—
wortlich.“ Die Mehrheit des Ausschusses trat jedoch weder dem
Vorschlag der Staatsregierung, noch dem des Referenten Gel—
bert, noch dem des Abg. Reger bei, sondern nahm einen von dem
Abgeordneten Dr. Brater geflellten Antrag au: „Die Aufsficht
auf den Religionsunterricht sieht den kirchlichen Oberbehörden zu.“
Unbeanstandet blieb Art. 114 des Ent vurfes, welcher lauet:
„Die Ortsschulconmissionen sind dem Bezirksschulinspeckor und dem
Bezirksschulamt untergeordnet.“ — In Art. 115 wird ausgespro
chen, daß jeder Kreis in eine bestimmte Anzahl von Schuldezirtken
abzutheilen und für jeden derselben ein Schulinspector bon der
Staatsregierrung zu ernennen ist. Der weiter im Entwurf
enthaltene Zusatz, daß der Schulinspector ‚aus der Reihe der
lüchtigen und erfahrenen Schulmänner“ zu nehmen sei, wurde
gestrichen.
München, 27. Dec. Die nüchstjährige praktische Prüfung
für den Staatsbaudienst beginnt am 1. Februar.
— Die Subcommission des Schulgeseß · Ausschusses tritt
morgen zufammen.
Das Regierungsblatt Nr. 89 enthält eine k. Verordnung
üͤber die Organisation der Gendarmerie in der Pfalz.,
— Der Betrag der monatlichen Peusionen für die Wittiwe
eines Gendarmen ist auf 64 und 6 fl., eines Stationskomman—
danten un“e, eines Brigadiers auf 715. fli, eines Oberbriga—
birrs mit Feldwebelsachtung auf 81 fl., eines Oberbrigadierẽ
mit Junkersachtung auf 18fl. vom 1. Januar 1869 an fest
esetzt.
t Der pfälzische Genossenschaftsverband hat eine Denkschrift
an die Kammer der Abgeordueten eingereicht über die bayerischen
Erwerbs⸗ und Wirthschaftsgenossenschaften und ihr Verhältuiß zum
Entwurf eines bayerischen Genossenschaftsgesetzes.
Aus der Pfalz, 24. Dec., wird dem „Pfälz. Kurier“
geschriebnꝛ Aus den jüngst veröffentlichten amtlichen Berichten
über die Rekrutenprüfungen dieses Jahres geht herdor, daß unter
den pfälzischen Recruten abermals mmehr 'als 10 Procent eine
mangelhafte Schulbildung besaßen, d. h. nicht oder nicht recht
jesen und schreiben konnsen. Ein Zehntel also, ein Zehntel de
Bevbölkerung! denn diese Zahl wiederholt sich Jahr für Jahr
Eine solche Erfahrung ist wahrhaft niederschlagend. Bigher tröstete
man sich noch über diese jährlich wiederkehrenden Ziffern, indem
nan sich vorsagte, daß dieseiben von der allgemein herrschenden
Sitte herrühren, daß die Gebildelen nicht zum Militär einträten,
jondern sich loskauften, so daß nur die untersten Schichten-der
Bevölkerung in jenen Listen ersjcheinen, während dies in den jen⸗
'eitigen Kreisen anders sei: aber im gegenwärtigen Jahr hat keine
Stellvertretung mehr stattgefunden, di Ziffer ist unanzweifelbar.
Wir stehen umnittelbar bei der Oberpfalz (13 pCt) um bei
Niederbayern (12 pict.), wir haben mehr als doppelt so viel
—R jenseitige Provinzen, die als „Alt⸗
bayern“ so gern von uns über die Achfet angese hen werden. Und
hier gibt es keine Entschuldigungen. Wir haben zwar einige
wenige Gegenden mit herumziehender Bevböllerung. allein selbsu
diese ist im Winter, der Hauptunterrichtszeit, großentheils zu
Hause, und außerdem hat fast jeder Kreis seine besonderen Hinder⸗
nisse. Man denke ar die oberbayerischen Sennhütten, an die weit
auseinanderliegenden, im Winter oft eingeschneiten Gehöfte, die
doch wahrlich den Schulunterricht nicht begünstigen; und doch
hat Oberbayern nur etiras über 4 pCt. solcher Halbharbaren.
Dieser nicht zu läugnenden, nicht zu bemäntelnden Thatsache gegen⸗
über erhebt fich nun die Frage: Wo liegt die Schuld? Legi sie
an den Lehrern? liegt sie au den Geistlichen als Shulinspectoren?
liegt sie an den Ortsschulräthen, die den Schulbesuch zu über—
wachen und gegen die Widerspenstigen (sogar gegen die wider⸗
penst gen Sountagsschüler) mit Strafen, selbst Arreststrafen, ein⸗
zuschreiten befugt und verpflichtet sind ? Man darf wohl gespannt
sein, welche Antwort hierauf gegeben werden wird. Und Antwort,
Recheuschaft darf die Pfalz, welche sich ihre Schule dedeutend mehr
losten laͤßt, als alle anderen Kreise, wohl verlangen, wenn ihr
als Lohn für ihre Opfer solche Resultate geboten werden.
Wiesbaden, 20. Dec. Am 10. Januar findet dahier
eine von nationalliberaler Seite veranstaltete Versammlung zum
Bebuf der Vereinigung aller liberalen Elemen in Nassau zu
einer deutschen Fortjschrittspartei statt.
Berlin, 28. Dec. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ und die
„Kreuzztg.“ melden übereinstimmend, daß die Nachricht der „In⸗
dependance belge“, wonach die Einladung zur Conferenz von Sei⸗
ten Frankreichs erfolgte, uͤnd die Conferenz in Paris jrattfinden
solle, degründet ist. — Die „Nordd. Allg. Zig.“ meldet zuve⸗
läjsig, daß die franzoͤsische Einladung zur Conferenz, auf dem 2.
Januar n. J., am 25. December in Berlin überreicht worden ist.
Wien, 25. Dec. Die. „Allg. Ztg.“ schreibt Eine in
ihrer Art interessante Versammlung ist der in Pesth tagende Is⸗
raelitencongreß. Alle Schattirangen des religiösen Judeuthums
sind in demselben vertreten, von der streng orthodoxen Richtung
bis zu dem liberalen Neujudenthum und da die geistige Richtung
der Juden bei uns sich noch in ihrem Aeußern abspiegelt, so sitzen
in der Versammlung Strenggläubige im Kaftan und nit den ge⸗
wissen zwei Locen geziert, und wieder Reformjuden, für welche
sogar schon wie für unsere Aristocratie, der ungarische Anzug ein
üüberwundener Standpunkt. Ob der Congreß für Regelung der
jüdischen Schul⸗ und Religionsangelegenheiten von bractischer Be⸗
deutung sein wird, bleibt dahin gesteut ; die stürmischen Scenen,
velche sich in den ersten Sitzungen abgespiegelt haben, zeigen, daß
zwischen den Strenggläubigen und den Liberaͤlen (etztere sihen aus
nahmsweise diesmai rechts) eine kaum überbrückbare Kluft besteht,
da erstere mit großer Hartnäckigkeit an den allen Formeln und
Bebräuchen fest halten, während die letzteren wie ein alter Rab⸗
biner sagte, schon mit einem Fuße im Christenthume stehen. In⸗
dessen hat der Congreß die äußere parlamentarische Maschinerie
in Thätigkeit gesetzt, daß das Bureau gewählt umd die Clubs
'onstituirt. Die Verathungen sind sehr stürm:sjsch und man glaubt
ich eher auf einer sehr bewegten Boͤrse als in einer Verfamm⸗
ung, die über Religions⸗ und Schulangelegenheiten berathen soll.
Besprochen wird der Ehee halber Ungarisch, Deutsch aber, so oft
s gilt, verstanden zu werden, da gewiß drei Vierilel der Mit⸗
zlieder der Unzarischen Sprach⸗ nicht mächtig sind.