Full text: St. Ingberter Anzeiger

getrennte Cristenheit den Frieden wiedergewinnen und Wohlsahrt 
dauernd sichern; 5) endlich erklären wir alle auf Begründung einer 
hierarchischen Machtstellung der.Geistlichkeit und aus schließliche 
Dogmenherrschaft gerichteten Bestrebungen in der protestantischen 
Kirche-für, eine Denlnd d nen Geistes und für 
Brücken nach Ront, — Ueberzeugt, daß die Lauheit und Gleichgil⸗ 
tigkeit vieler Proͤtestanten der irchlichen Reackionspartei eine 
Hauptstütze gewührt, und auch in dem mächtigsten deutschen Staat 
zin Haupthinderniß nationaler und kirchlicher Erneuerung bildet, 
richten wir an unsere sämmtlichen Glauben sgenossen den Mahnruf 
zur Wachsammkeit, zur Sammlung und zu kräftiger Abwehr aller 
die Geistes- und Gewissensfreiheit gefährdend en Tendenzen. 
Wien, 31. Mai. Der „A. Z.“ schreibt ihr offiziöser 
Berichterstatter: Zum erstenmal, seitdem das Vereins- und Ver⸗ 
sammlungsrecht besteht, hat gestern in Wien eine Volksversamm⸗ 
iung unter freiem Himmel stattgefunden. Ob der anwesenden 
Arbeiter mit Einschluß der Frauen und Kinder 10,000, oder nach 
anderen Schätzungen 20,000 Köpfe gewesen, bin ich nicht zu ent⸗ 
scheiden im Siaude; ich habe nur eine in dem Garten eines 
Gasthauses vor der Linie zusammengedrängte Menschenmenge gefun⸗ 
den, und auf der Rednerbühne unangefochten die rolhhe Fahne der 
Sozialdemokraten wehen sehen. Unter dem Vorsitz des Arbeiters 
Hartung wurde fast ohne alle Debatte — denn wo eine Debatte 
fich entspann, wurde sie, vieleicht nicht unbeeinflußt durch die bren⸗ 
—V 
heftig, daß der anwesende Polizeicomissär wiederholt mit der Aufloö— 
sung der Versammlumg drohte — Resolution auf Resolution an⸗ 
genommen: volle Koalitionsfreiheit selbstverständlich, allgemeines 
Wahlrecht, unbeschünkteste Vereinss und Preßfreiheit, unbedingter 
Frieden, das alles untermischt mit Mahnungen, dem Miuisterium 
nicht zu viel Vertrauen zu schenken, und mit Versicherung, daß 
die Arbeiter den gesetzlichen Boden nicht verlassen würden, falls 
man ihnen nicht etwa Hohn oder Gleichgiltigkeit entgegensetze; und 
nachdem ein telegraphischer „brüderlicher Glückwunsch“ zu dei er⸗ 
jochtenen Sieg an die sozialdemokratischen Wähler in Paris, unter⸗ 
zeichnet von „La réunion des démocrates socialistes à Beollevue“ 
(zur schönen Aussicht“ heißt das Bierhaus, in welchem gestern 
Weltgeschichte gemacht wurde), „prés Vienne,“ abgesendet war, 
zing die Versammlung, kurz vorher noch durch einen dramatisch an⸗ 
gelegten Gruß der im Landesgericht ihre Srafe abbüßender 
Brüder“ erfreut, auseinander.“ —ä 
Wien, 31. Mai. Die ojficiöse „Oesterreichische Corre⸗ 
spondenz“ berichtet in ausführlicher Weise über das Altentat anf 
den Grafen Crenneville und sagt, dasselbe sei weniger den Motiven 
persönlicher Rache, als politischen Motiven zuzuschreiben. Die 
italienische Revolutionspartei, welcher eine Annährung zwischen 
Oesterreich und Italien hochst unwillkommen sei, habe durch das 
Attentat bezwecken wollen, Italien gegenüber Oesterreich zu coinpro⸗ 
mittiren; allein das Auftreten derartiger Elemente sei nur geeignet, die 
Hemeianschaft der Interessen zweier von Natur aus aneinander 
gewiesener Staaten, wie Oesterreich und Italien, noch folidarischer 
zu gestalten. 
Frankreich. 
Paris, 1. Jnni. Im „Gaulois“ liest man nachstehende 
unwahrscheinliche Geschichte: „Der Herzog v. Sesto ist schleunig 
nach Madrid abgereisst. Man sagt, er sei beauftragt mit einer 
Mission Issabelens für den Marschall Serrano. Diese Mission 
welche der Exkönigin von dem Kuiser angerathen sein soll, hätte 
den Zweck, dem Präsidenten der ausübenden Gewalt in Spanier 
Vorschläge betreffs Wiedereinsetzung der Bourbonen zu machen 
Wir zweifeln nicht, daß der Marschall Hrn. v. Sesto den klaren 
Satz wiederholen werde, welchen Prim vor den Cortes ausgespro— 
chen: Niemals, Niemals!“ 
Italien. 
Aus Livorno wird gemeldet, daß man der beiden Ver— 
brecher habhaft sei, welche das Attentat gegen Crenneville verübt 
und daß dieselben ihrer That gestandig sind. Der eine soll ein 
Römer, der andere ein Livornese sei, der aber lange Zeit in Ver— 
obannung lebte. 
Die amtliche Zeitung in Rom veröffendlicht den mit dem 
L. d. inkraftretenden Postvertrag mit dem norddeutschen Bunde. 
Spanien. 
Madrid, 2. Juni. Die heutige Sitzung der Cortes war 
der Unterzeichuung der Verfassung durch alle Abgeordneten, dit 
republikanischen eingeschlossen, gewidmet. 
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Schwurgerichtsfitzungen. 
II. Quartal 1860. 9— 
3Zwerbrüsckhen, den 1. Juni. Aunklagesache gegen Johann 
Georg Kegel, 21 Jahre alt, Ackerer in Westheim, wegen crim 
neller Körperverketzung: Verlheidiger Herr Anwall Rofenberger. 
In Westheim wurde am 18 und 19. Detober vorigen Is. das 
Kirchweihfest gefeiern; am letzteren Tage kum es zwischen Andreae 
Münch, Christoph Theis und mehreren anderen Burschen von 
Niederlustadt einerseits und dem Angeklagten und verschiedenen 
Burschen von Westheim in der Wirtschaft zum Ochsen zu einer 
Rauferei, bei welcher Münch von dei Angeklagten einen Suich 
in den Rücken erhielt, welcher zwischen dem linken Schulterplait⸗ 
und der Wirbelsäule in die Brusthöhle eindrang, ein Blutgesäß 
derletzte und eine Arbeitsunfähigkeit und Krankheit des Münch 
von 100 Tagen zur Folge haite. Der Angeklagte, welcher sich 
freiwillig als Thäter stellle, gibt zu, dem Munch die erwähnte 
Berletzung beigebracht zu haben, behaudtet aber, er sei von ihm 
angepackt, zu Boden geworfen und mit einem offenen Messer be— 
droht worden; er sei dem nach ihm geführten Streiche ausgewichen 
und habe im Vorbeigehen dem Münch in den Rücken gestochen. 
Durch die Aussagen der vernommenen Zeugen ist constatirt, daß 
Münch verschiedene Personen, unter Anderem auch den Adjuncten, 
velcher Ruhe stiften wollte, mit dem Messer bedrohte. Eine 
Zeugin, will gesehen haben, wie der Angeklagte dem Münch den 
Stich versetzte und zwar mit solcher Gewalt, daß er das Messer 
nur mit Mühe aus der Wunde herausziehen konnte. 
Die Vertheidigung machte geltend, der Angeklagte sei von 
Münch zu Boden geworfen uͤnd mit einem Messfer bedroht worden, 
er habe nur, um sich vor dem Angriffe des Münch zu schützen, 
diesem den Stich versetzt, könne also nicht für dessen Folgen ver— 
antwortlich gemacht werden, da er in Nothwehr gehandelt habe; 
höchstens könue angenommen werden, daß er die Grenzen der 
Selbstvertheidigung überschrilten habe; jedenfalls aber sei er durch 
die vorausgegaugene Mißhandlung von Münch gereizt worden 
uimd habe sich in Folge von Trunkenheit im Zustande geminderter 
Zurechnungsfähigkeit befunden, 
Die Herren Geschworenen erklärten den Angeklagien der ihm 
zur Last gelegten That für schuldig, unter Annahme der Milder—⸗ 
ungsgründe des Excesses der Nothwehr, des Reizes und der ge⸗ 
inderten Zurechnungsfähigkeit, worauf derselbe vom Gerichtshofe 
u einer Gefängnißestra fe von 13 Monaten herurtheilt wurde, 
VRermischtes. 
7 Wiener Blätter schreiben: Das wunderbare Pfeifenrohr, 
das einem Arader Bürger Namens Sigmund Schwarz gehoͤrt 
und nach einjährigem Gebrauche Blätter getrieben haben soll, hat, 
als die „Arader Z.“ dies botanische Märchen zuerst verkündete 
einige Heiterkeit erregt. Nun aber hält die Arader Ztg.“ ihre 
Mittheilung in vollem Ernste aufrecht und erzählt, man habe das 
wvunder bare Pfeifenrohr an die Pester Akademie gesendei. Auch 
oͤringt sie ein Zeugniß des Drechslermeisters Weil, bon welchen 
das Rohr — ohne Blätter — gekauft wurde und der Meister 
erklärt, es sei imJuni vorigen Jahres gebohrt und hergerichtet 
worden und er selber finde es sonderbar, daß das Holz jetzt ziem⸗ 
lich große Blätter treibe. Wir sind gespannt, was die pester 
Akademie an dem Pfeifenrohrwunder Authentisches entdecken wird. 
Wenn seine wunderbare Eigenschaft, an welcher wir noch immer 
descheidene Zweifel he gen, sich bewahrheitet, so kann der glücklich 
Figenthümer sich bei fleißigem Rauchen nach und nach eine kleine 
Waldanlage herausrauchen. 
fWisen. Eiuen entsetzlichen Fall berichtet die Vorstadtzei⸗ 
tung.“ Eine Taglöhnerin aus Inzernsdorf, die seit dem Tode 
ihres Mannes in der bittersten Noth lebte, hat ihre beiden Kinder 
von 6 und 8 Jahren erwürgt und sich dann selbst erhängt. 
F Aus Sibirien berichten heimkehrende Polen nachsolgen⸗ 
des erschütternde Drama: Graf Erasmus W., einer der nach 
dem Goubernement Irkutsk deportirlen Polen, hatte beim Platz⸗ 
comman danten des Orts als Schreiber Aufnahme gefuuden. Noch 
war er jedoch kaum 24 Stunden im Hause, als er in der Frau 
des Commandanten — seine Schwester entdeckte. Dieselbe war 
im polnischen Aufstande des Jahres 1830 von einem Kosaken⸗ 
hetman gemaltsam entführt worden, ihre Familie war ins Aus⸗ 
and geflüchtet, und sie hat te es vorgezogen, lieber in diesem 
iußerst en Winkel Sibiriens in Verschollenheit zu gerathen, als 
ihrer Famitie von der schmachvollen Existenz Nachricht zu geben. 
War schon die Erkennungsscene zwischen den Geschwistern herzer⸗ 
chütternd, so sollte dieselbe einen noch viel schmerzoollern Abschuuß 
finden. Kaum hatte nämlich der Russe erfahren, wer sein Schrei⸗ 
ber sei, als er denselben auch schon als „Buntowschtischik“, d. h. 
Aufwiegler, in Ketten legen uͤnd zur Zwangsarbeit abführen ließ. 
Die arme schwer geprüfte Frau starb bald darauf an gebrochenem 
Herzen — oder erliitenen Mißhandlungen. Graf W. aber erlag 
den über ihn perhängten Qualen.