Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberler Anzeiger. 
Dder St. Ingberter Amzeiger (und das mit dem Hauptblaite verbundene Unterhaltungsblatt, mit der Dienstags⸗, Donnerstags- und Sonntags⸗ 
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— — — — C— — — — — — — — — ÆMt 
Nr. 23. —36 1869. 
Deutschland. F 
München, 4. Febr.' Der IV. Ausschuß der Abgeord— 
netenkammer beschäftigte sich in seiner gestrigen Sitzung mit fol⸗ 
genden Anträgen, die als formell und materiell zulässig erkannt 
durden: Die bon den Abgeordneten Kolb und Tafel angeeignete 
Horstellung der Gemeindevertreter von Rockenhaujen in der Pfalz 
auf Abänderung des Districtsrathsgesetzes (auch des Landrathsge— 
setzes, fügen Kolb und Tafel bei) in der Richtung, daß die Bil⸗ 
hung sowohl der Districts⸗ als der Kreislandräthe inskünstige auf 
Hrundlage des Princips der Gleichberechtigung aller Bürger 
ohne Rückficht auf besondere Klassen und Stände zu erfolgen 
zabe; der Antrag des Abg. Umscheiden auf einige strafrechtliche 
Zusahzbestimmungen für die Pfalz (es soll danach in allen Ver— 
Jehenssachen dem Beschuldigten mit der Ladung das Verzeichniß 
der Zeugen zugestellt werden, welche in die öffentliche Sitzung 
geladen werden;) es soll ferner bei Vergehen, welche mit Gefäng⸗ 
zißstrafe bedroht sind, der Beschuldigte sich eben so vertreten 
jafsen können, wie bei jenen, welche Geldstrafe nach sich ziehen; 
es soll endlich bei allen Verhandlungen von Strafsachen in öffent⸗ 
licher Sitzungkdem Angeklägten. sowie dessen Vertheidiger oder 
Vertreter das Recht zustehen, mit Erlaubniß des Gerichtsvor⸗ 
igenden an die Zeugen oder Sachverständigen unmittelber Fragen 
zu stellen. —DVVVV— 
Muünch em, b. Febr.“ Die Abgeordnetenkammer hat die 
Berathung der Anträge der Abgeordneten Barth, Jörg, Crä— 
ger, Kolb und Croissant auf Abänderung des Landtagswahl⸗ 
zesetzes wegen eines Erkrankungsfalles in der Familie des Refe⸗ 
enten auf den 11. Febr. vertagt. 
—Dienstesnachrichenn.. 
Die in Speyer erledigte Stelle eines Landgerichtsdieners 
ist dem pens. Gendarmerie-Brigadier Anton Boeser in Speyer auf 
nuf und Wiederruf verliehen worden. 
Einige Säbelhiebe von der Koblenzer Garnison, die am 
. Febr. auf ihrer Heimkehr von Lahnstein in ihren Garnisons- 
t ihr Müthlein an einem, ihnen begegnenden Professor und 
einem, ihnen nicht ausweichenden Fuhrknecht kühlten, wurden durch 
die in der Nähe befindlichen Leute, die sich rasch mit Stangen 
eines Hopfenfeldes bewaffneten, — unschädlich gemacht. Ener⸗ 
zische Selbsthülfe ist in solchen Fällen der Nothwehr immer das 
beste. Würden derartige Helden, gleichviel ob betreßt oder unbe⸗ 
treßt, immer mit dem gehörigen Nachdrucke heimgeleuchtet, dann 
vürde die Zeitungsrubrik Säbelaffaire““ bald aufhören eine 
tehende zu sen. 
MecklenburgeSchwerin, Zur Charackeristik der 
ztimmung, welche über Bismarck und seine Politik in hiesigen 
Funkerkreisen herrscht, diene folgender Artilel aus dem feudalen 
Blatt „Mecklenburgisches Tagblatt“ vom 3. d. Mts., welcher von 
einem der hervorragendsten Führer der mecklenburgischen Ritter⸗ 
chaft, dem mit dem hannover'schen Adel eng liirten Landrath 
Josias von Plüskow, Mitglied des ständischen engeren Ausschusses 
derfaßt worden ist. Derselbe lautet: „Dem frevelhaften Spiel, 
velches aus erbärmlichen, kleinlichen, dynastischen Interessen das 
Wohl des Vaterlandes aufs Spiel setzt und die Conspiration 
mit dem Auslande selbst nicht verschmäht, muß ein Ende gemach! 
verden“ — so sprach Graf Bismarck im preuß. Abgeordnetenhause, 
und seine Myrinidonen jubelten ihm lebhaften Beifall.“ Auch 
wir haben gegen keines seiner Worte etwas einzuwenden, nichts 
gegen das „frevelhafte Spiel“, nichts gegen das „erbärmliche, 
deinliche dynastische Interesse —“ aber freilich sind uns diese 
„erbärinlichen“ u. s. w. nicht etwa die der Welfen oder Hessen, 
sondern die von Graf Bismarck vertrekenen. Er hat das Wohl 
des deutschen Vaterlandes gründlich geopfert, er hat Conspirationen 
mit dem Auslande“ keineswegs „verschmäht“; diesem- ,frevelhaften 
Spiel“ wünschen wir recht bald ein .Ende gemacht“ au sehen. — 
Niemanden im preußischen Abgeordnetenhause ist es anscheinend 
in den Sinn gekommen, daß jeder mit seinem eigenen Maaß ge— 
nessen wird. Ist das nun particularistisch-⸗preußische Verblendung, 
oder ruͤcksichtsloser preußischer Uebermuth ẽ Nun wir wollen mit 
zeiden nicht hadern. — Die kostbaren Eigenschaften werden zu 
unserer Befreiung mitwirken. Je härter, je fühlbarer der Druck, 
desto besser. Eines kräftigen Druckes bedarf die jetzige erbärmliche 
Zeit, „in der es der Ehrloseste kaum durchsetzen kann, verachtet 
zu werden.“! Unter dem Drucke werden die Völker erprobt, ob 
ie noch Stahl in ihrem Blute haben. Hart genug ist der Druck. 
Ansere Fürsten sind verjagt oder unterjocht, unsere Freiheit ist 
dahin bis auf das letzte Zucken. Sie sperren uns in ihre Caser⸗ 
nen, sie schnüren uns in ihre Uniformen, sie pressen uns in ihre 
Zoll⸗ und Steuerschraube. Sie nehmen die Frucht unseres Flei⸗— 
es, das Brot unserer Kinder, das Blut unserer Söhne. Unsere 
Broducte sind nur noch Fourage, unser Vieh Vorspann oder Pro⸗ 
biant, unsete Felder Exercierplätze, unsere Häuser — die unan— 
tastbare Burg des freien Mannes — unsere Häuser Casernen. 
Dazu noch diese unschätzbare, bekannte, verblendete und übermü— 
ihige Rücksichtslosigkeit, da müssen selbst Lämmer Tigerzähne 
zekommen. — Lassen wir das Eisen in unserem Blute 
nicht rosten!“ 
Paris, 5. Febr. Das „Journal officiel““ veröffentlicht 
heute neue Depeschen aus Algier, nach welchen die Araber in 
voller Flucht. nach dem Süden begriffen sind. Oberst Sonis, 
welcher ihnen nachsetzte, hatte sie nicht einholen. können, da sie 
nach seinem Bericht „mit verhängtem Zügel reiten und Todie, 
Verwundete und ermüdete Kameele auf ihrem Wege zurücklassen.“ 
Da jedoch der Oberstlieutenant Colonien von der entgegengesetzten 
Seite, von Rassoul aus, gleichfalls gegen den Feind anrückte, 
rechnete Sonis darauf, ihn zu fangen. Der größte Theil der 
hiesigen Presse beharrt dabei, in dem Zusammentreffen 
dieses Aufstandes mit den verheißenen liberalen Reformen 
für die Verwaltung Algeriens einen Grund zu Mißtrauen zu 
finden. 
Italien. 
Florenz, 4. Febr. Die „Opinione“ kündigt die Ankunft 
des Herrn Fould an, wegen Unterhandlungen über den Verkauf 
der geistlichen Güter., 
Frankreich. 
Spanien. 
Madrid, 5. Febr. Espartero hat befchlossen, keinen 
Zitz in den Cortes zu nehmen. 
Die Nachricht der Patrie, daß General Cheste, an der 
Spitze von 15,000 JIsabellisten in Spanien eingefallen sei, ist 
ohne Begründung. Sicher ist es jedoch, daß die Exkönigin und 
ihr Anhang im Begriff stehen, einen derartigen Plan auszuführen. 
Aus Madrid sind bittere Klagen eingelaufen, daß die französische 
Regierung den isabellistischen und den karlistischen Umtrieben in 
Frankreich so ruhig zusieht, während sie, als die liberale Partei 
lüchtig war, die Mitglieder derselben, welche sich auf französischem 
Gebiete befanden, auf's strengste überwachte und eine große An— 
zahl derer, welche damals von Madrid aus designirt wurden, aus⸗ 
vies. Herc Olozaga soll dieses übrigens bei dem französischen 
Minister des Aeußern, wenn bis jetzt auch ohne Erfolg, zur 
Sprache gebracht haben. 
Griechenland. 
Athen, 6. Febr. Die „Presse“ meldet ein angeblich von 
Rußland ausgehendes Project: die Pforte solle aus eigener 
Fuitiative, gegen eine von den Pariser Vertragsmächten zu 
zarantirende Entschädigungssumme, Kreta an Griechenland 
ibtreten. J 
Aus Athen wird von neuen Bewegungen der türkischen 
Fruppen gegen die Grenze von Thessalien berichtet.