St. Ingberler Anzeiger.
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der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöoͤchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblätt. (Sonnlags mit illustrirter Bei⸗
age), erscheint woͤchentlich viermal: Dieustag, Donnerstag, Samstag aud Sonntag. Der Abounementepreis betraͤgt vierieljahrlich
Aarl 20 R.⸗Pfg. Wazeigen werden mit 10 Pfa., von Auswärts nit 15 Pfg. für die vierzgespaltene Zeile Blattschrift oder deren Raum. Neclamen
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Friede ernährt, Unfriede verzehrt!
8.-0. Dieser alte deutsche Kernspruch sollte mit goldenen
zelkern Uber allen Werkstätten und Fabriken angebracht und dadurch
dem Arbeiter mit dem Beginn eines jeden Tagewerks in Erinnerung
ebracht werden. Wer socialdemokratische Blätter obne Kritik liest,
znnte auf den Gedanken kommen, daß nur Unfriede Rahrung gebe
ind die sociale Wohlfahrt erhöhe. In Wahrheit ernährt der sociale
zrieg aber nur die socialist'schen Agitationskassen. Tausende von
orern und Lesern müssen jährlich zur Unterhaltung von agitato⸗
ischen Rednern und Schriftstellerr beisteuern. Dieser modernste
z7Üwerbszweig kann allerdings nur bei der Fortdauer des socialen
Unftiedens gedeihen, aber die Massen als solche koͤnnen sich m't
ieser Steuer für die socialistische Agitation und mit der Unzufrieden⸗
eit über alles Bestehende noch kein Brod und keine bessere Zukunft
chaffen. Der Aberglaube an das Heilmittel eines socialen Krieges
ind an eine neue Gesellschafisorzanisation kann einen Theil der
golksmassen wohl kurze Zeit hindurch bethören und zur Bildung
von Secien in socialistijichem Sinne verleiten, weil an die Sielle
zner religiösen und politischen Begeisterung zeitweise auch eine so⸗
jalist sche treten kann; aber schließlich wird der gesunde Menschen⸗
zersand doch zurückkehren und der Wahlspruch „Friede ernährt,
Unfriede verzehrt“?, der als eine Erfahrung von Jahrtausenden im
hollsmunde fortlebt, auch in den Herzen des Volkes wieder Wurzel
assen.
Die Arbeiterbewegung hat jedenfalls das Gute, daß sie die
Frörterung aller auf das Wohl der Arbeiter bezüglichen Fragen
nachtig anregt und ein besseres Veiständniß der Rechte und Pflichten
on Arbeitgebern und Arbeitnehmern anbahnt. Die Arbeiter müssen
cdoch in dem berechtigten Streben nach Verbesserung ihrer Lage
pie andere Klassen auch Lehrgeld zahlen und auf dem Wege von
em Jerthum zur Wahrheit, von der Unbildang jzur Bildung durch
ie Stufe der Halbwahrheiten und der Halbbildung hindurchgehen,
ais fie zum Selbstdenken und Selbsthandeln kommen und sich daran
ewöhnen, auch andere als socaldemokratische Zeitungen und Schriften
u lesen. Das Verluingen nach wirklicher Belehrung wird ihnen
chon kommen. Wenn nur wirkliche Vollsfreunde n'cht versäumen,
vurch Wort und Schrift ihre Pflicht zu thun und insbesondere ssvch
uuch in der Localpresse an der Prüfung der Arbeiserinteressen un⸗
Jarteiisch zu betheiligen. Dabei werden allerdings Thatsachen immer
Uagender wirken, als Grunde.
In einer sehr nachahmenswerihen Weise beleuchtet in dem uns
ugegangenen „Schweidtaitzer Stadtblatt“ vom 2. September in
Jolksfreund dea unheilvollen Einfluß des socialen Uafriedens
wuf die Entwicklung der Gewerbe mit folgenden Bemerkungen: „Wir
rinnern nur an das Eingehen der blühenden Pflug'schen Waggon⸗
fabrit in Berlin nach einem monatelangen Streilk. ee
at durchschnittlich 2000 Arbeiter beschäftigt und jährlich AMis 22
Rillionen Mark Löhne ausgezahlt. Als ihr aber durch die maß—⸗
osen Forderungen ihrer Ardeiter die Concurrenzfähigkeit benommen
purde, zog sie es vor, die Fabrik zu schließen, die Arbeiter zu ent⸗
assen und Grundstücke, Maschinen, mit Allem was drum und dran
änzt unter den Hammer zu bringen. Es sind dadurch 2000
itbeiter brodloz geworden odet mußten sih minder lohnenden Be⸗
tieben zuwenden, und ich zweifele sehr, ob auch Einer von ihnen
ei den socialistischen Agitatoren neues Brod gefunden hat. Ein
weiter Fall hat sich vor nur wenigen Monaten in unserem Nach⸗
athreise ereignet, wo ein bedentender Fabrikant sich in Folge -socia⸗
istischer Drohbtiefe veranlaßt sah, sein Geschäst aufzulasen und da⸗
urch in einer ohnehin arbeitslosen Zeit Hauderte von Arbeitern
eschäftigungslos zu machen. Als drittes ganz besonders lehr⸗
iches Beispiel der Folgen sccialistischer Hetzereien führe ich die
hließung der Deter'jchen Cgarrenfabrik in O,lau an. Auch
reses dislang friedliche, gewerbfleißige Städtchen hatten die Herren
vcialissen als neues Bersuchsfeld zur Ausfaat ihret Unfriedens⸗
ehre erloren, sind aber bei Herrn Deier an den unrechten Mann
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Fabrik schloß. Nun wird für 200 brodlos gewordene Arbeiter in
ocialistischen Blättern nach Almosen gebettelt, das andere beschäf⸗
sigte Arbeiter ihrem Verdienste abdarbea sollen. Das also sind
die ersten Etappen auf dem Wege zum —XVXX
demolratischen Zukunftsstaat! ?“
Deutsches Reich.
Muünchen, 9. Sept. Die Allerhöchste Enischließung, wodurch
der im Juli vertagte Landiag auf den 27 d. M einberufen wird,
iegt jetzt vor. In so fera ist der g wählte Termin prattisch, als
er vor dem in der zweiten Woche des Ollober abzuhaltenden soge⸗
iannten Oktoberfest, das immer einige Störung der Geschäfle
zerursacht, der Abgeordnetenkammer mehr als eine volle Woche Zeit
äßt, um die Arbeiten in Gang zu bringen. Zu den unerquicklich⸗
ten Aufgaben der Session gehören die ultramontanen Wablbe⸗
chwerden, in denen einfach die alten, mehr als genug wiederlegten
rrigen Grundsätze und Behauptungen aufgestellt werden und woͤmit
zie Herren auf der Rechlen füglich ihre Gegner diesmal hätten ver⸗
chonen können, da die Erneuerang der Wahljurispruden; und Be⸗
veisführung vom vorigen Jahre nur boöses Blut machen wird, ohne
der Kammermehrheit das Geringsie zu nutzen.
Berlin, 10. Sept. Für die in den ersten November⸗
agen hier in Berlin zusammentretende Kommission zum Zweck der
Beatbeitung eines Gefetzes gegen die Verfaͤlschung der Nahrungs⸗
nittel sind, wie der Koln. Zig.“ geschrieben wud folgende tech⸗
nische Mitglieder berufen wocden: Geh. Regierungsrath Professor
hofmann (Berlin), Geh. Hofrath Professor Fresenius (Wiesbaden),
Beh. Sanitätsrath Dr. Varrentrapp (Frankfurt a. M.), Professor
Dr. Knapy (vom Polytechnikum in Braunschweigh. Im Reichsge⸗
undheitsamt wird ein erster Entwurf ausgearkeitet, an dessen Hand
iese Kommission berathen soll. Sobald diefelbe zu einem Resultate
zelangt ist, werden, durch das Reichsfustizamt berufen, Justiz⸗ und
Berwaltungsbeamte hinzutreten, um den Entwurf für den Bundesß—
nath fertigzustellen. Der öffentlich ausgesprochene Wunsch des
Direltors des Reich-Gesundheitsamis um Zusendung von Waterial
ider die bezüglich der Nahrungsmittel ⸗Verfaischung odemachten Wahr⸗
nehmungen, beziehungeweise Vorschlage zur Äbhulfe hat anfänglich
'n erweitertem Umfang Erfüllung versprochen. Einsenduneen von
Behörden und Instituten aus allen Theilen des Reiches lassen noch
mmer auf sich warten. Es ist dies um so mehr ausffällig, als
die Klage uͤber verfälschte Nahrungsmittel allgemein derhreilet und
aberall gleich lebhaft isi.
Berlinn, 12. Sept. Der „Provinz.⸗Corresp. zufolge er⸗
rolgt die Rückkehr des Kaisers nach Berlin nicht vor Mitie Ockober.
Welch' betrübende Folgen d'e traurige Lage der preuß i⸗
chen Lehrer in immer weilerem Umfange nach sich zieht,
rgibt sich aus der Mittheilung der Magdeburger. Zig.“, daß in
degierungsbezirk Merseburg im vorigen Jahre und im ersien Vierlel
ieses Jabres troß mancherlei Schwierigkeilen, welche die Regierung
n den Weg legt, nicht weniger als 103 Lehret den Bezuͤk ver⸗
afsen haben, um nach Sachsen (6), Anhalt (19) oder überhaupt
n's „Ausland“ jit gehen. In andere preußische Bezitke gingen
twa 60, davon 24 nach Wesifalen und der Rheinprovinz, waͤhrend
26 ihr Lehramt gärzlich niederleaten. Am 1. Januar d. J. waren
179 Stellen unbefeßzt.
NAusland.
Man schreibt dem „Berl. Tagebl.“ aus Wien: Die russische
Kriegsführung wird auch jetzt, wo fie die „politischen Gesichs—
punlte“ fallen gelassen hat, in den mil jarischen Kreisen Oesterreichs
ucht beifällig beurtheil. Man nennt dieselbe, wie früher cine
„politischen, so jett eine „moralische“, indem es den Russen nut
)a rum zu thun scheint, den Eindruck der erlillegen Niederlagen an
Itt und Stelle zu verwischen, nicht aber nach rein militärischen
Regeln vorzugehen. Nur dadurch erklärt man sich, daß die Russen
egen Osman Pascha und Plewna eine große Uebermacht entfolim,
vaͤhrend sie Mehemed Ali gegenüber, der doch die türkische Hauvre