Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberker Anzeiger. 
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R 130. Dienstag, den 16. August 
1881. 
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* Die französische Armee im Felde. 
Der Feldzug der Franzosen in Tunis sollte, wie man vielfach 
zus den französischen Zeitungen merken konnte, der Probirstein für 
die Tüchtigkeit der französischen Armee im Felde sein, doch hat, 
wie sich nunmehr herausgestellt hat, gerade die französische Expe⸗ 
dition nach Tunis eine Menge Fehler der französischen Armee und 
auch eine ziemliche Unfähigkeit des französischen Oberkommandos 
nn Bezug auf die Anwendung richtiger Kampfmittel und Soldaten 
nuf dem afrikanischen Kriegsschauplatze ergeben. Der französische 
driegsminister hat nach Tunis und auch nach Algier Truppen ge— 
andt, die gar nicht im Stande sind, auf afrikanischem Boden zu 
fämpfen, d. h. die meisten dort kämpfenden französischen Ofsiciere 
und Soldaten hatten keine Ahnung von der arabischen Kampfweise 
ind von den Schwierigkeiten auf dem afrikanischen Boden, und die 
ranzösische Heeresleitung hatte also einen der größten Fehler be— 
zangen, den die moderne Kriegsführung überhaupt kennt; denn 
ieben strammer Disciplin und schneidigem Waffendienste gilt es 
als eine unerläßliche Vorbedingung des Sieges, daß eine Armee 
die Schwierigkeiten kenne und an dieselben gewöhnt sei, die sie 
auf feindlichem Boden zu überwinden hat. Ein sachkundiger Be— 
richterstatter der „Times“ schreibt aber über das Auftreten des 
ranzösischen Heeres in Afrika Folgendes: „Die französische Armee 
sst in vieler Beziehung besser geworden und vielleicht! auf einem 
europäischen Kriegsschauplatze zu gebrauchen. Die Officiere und 
Soldaten sind eifrig und disciplinirt, auch unterziehen sie sich ohne 
Murren großen Anstrengungen und Beschwerden, doch ist die fran⸗ 
oͤfische Armee nur eine gute Truppe, was den Garnisondienst an⸗ 
zelangt, denn die Wahrheit für den Felddienst ist, daß es außer⸗ 
zrdenllich schwer war, die französischen Soldaten in Afrika unter 
zem Feuer ruhig zu halten und, wenn sie auch nicht geradezu die 
Flucht ergriffen so zogen sie fich doch mit unbezwinglichem Eifer 
sinter die kleinsten Erhöhungen zurück, die irgend einen Schutz 
hzoten. Die französischen Truppen sind ausgezeichnete Rekruten, 
iber keine Soldaten. Man hatte ihnen erzählt, daß die Krumirs 
urchtbar seien, sie sahen einzelne ihrer Kameraden, welche in die 
zande der Feinde gefallen waren, furchtbar verstümmelt und jeden 
Flintenschuß glaubten sie auf sich gerichtet. Bei Sfakes lehnte es 
zer Admiral ab, die französische Infanterie zu landen; er traute 
hr nicht gegenüber dem Feind, der gedeckt hinter Wällen lag und 
ntschlossen war, bis zum letzten Mann auszuhalten. Es waren 
Mattrosen, gediente Veteranen, die an das Feuer gewöhnt waren, 
welche die feindlichen Batterien mit dem Bajonet nahmen, die sich 
des Thores bemächtigten und, so den Ehrgeiz der Infanterie ent⸗ 
lammten. Zuletzt, als ein Schiffslieutenant ruhig mitten im 
Feuer erschien, die grüne Flagge wegriß und die Tricolore auf⸗ 
Fflanzte, verlangten auch die Linienregimenter in das Gefecht ein— 
utreien und hielten nun auch tapfer.“ Sonach braucht sich also 
zie Welt vor dem stürmischen Kriegsmuth der reorganisirten fran⸗ 
ösischen Armee nicht allzusehr zu fürchten, eher könnte man schon 
Angst haben vor der Plünderungswuth der Franzosen, denn trotz 
iller officiellen Ableugnungen haben die französischen Truppen die 
roberte tunesische Stadt Sfakes furchtbar geplündert, ja selbst das 
panische Consulat nicht geschont, wie die spanische Regierung stand⸗ 
jaft behauptet. Auch ist es eine Thatsache, daß Officiere der eng⸗ 
ischen vor Sfakes liegenden Schiffe den französischen Soldaten 
verthvolle Beutestücke abgekauft hahen. 
Deutsches Reich. 
S. Maj. König Ludwig U. von Bayermn reiste am 
Samstag inkognito mit zwei Begleitern von Linderhof nach Paris. 
Das baierische Gesetz⸗ und Verordnungsblatt Nr. 48 
zringt die von den Ministerien des Innern und der Finanzen zum 
hollzug des Gesetzes vom 19. Mai 1881 über die Capital— 
entensteuer nunmehr erlassenen Vorschriften. Die Anlage 
»er Capitalrentensteuer findet von zwei zu zwei Jahren in dem 
zer Steuerperiode vorangehenden Kalenderjahre, sohin erstmals im 
zhr 1881 für die Steuerperiode 1882/83 statt. Demzufolge sind 
ie Vollzugshandlungen für die Steueranlage alsbald in Angriff 
u neomen. 
Am Samstag Vormittag ist Fürst Bismarck zu Wagen 
von Hissingen abgereist, um auf einer Nebenstation der Schwein⸗ 
furt-⸗Meininger Bahn seine Reise nach Berlin fortzusetzen. 
* Die Veränderungen in den höheren preußischen Ver—⸗ 
valtungsstellen sind noch immer nicht abgeschlossen. So ist an 
Stelle des aus dem Amte scheidenden Ober-Präsidenten von Hessen⸗ 
Kassau, Frhrn. von Ende, der frühere preußische Staatsminister Graf 
Botho zu Eulenburg ernannt und der Regierungs-Präsident in 
Bumbinnen. Herr von Schlieckmann, zum ÜUnterstaatssecre- 
är im Ministerium des Inneren ernannt worden. Zugleich wurde 
derr von Schliechmann zum Wirkl. Geh. Ober⸗-Regierungs-Rath 
nit dem Range eines Rathes Erster Classe befördert. Beide Er— 
nennungen sind bereits im „Reichs⸗Anzeiger veröffentlicht worden. 
Ausland. 
* Die Zwitterstellung Oesterreich Ungarns in Bosnien 
ind Herzegowina hat mehrere ungarische und österreichische Jour⸗ 
iale zu einer ernsthaften Erörterung dieser Angelegenheit veranlaßt. 
In der That läßt die staatsrechtliche Stellung Oesterreichs in den 
jenannten Ländern an Klarheit manches zu wünschen übrig, denn 
nach den Bestimmungen des Berliner Congresses sollten die Herze— 
jowina und Bosnien von Oesterreich occupirt und verwaltet werden, 
pabei aber der Oberhoheit der Plorte unterstellt bleiben. Es liegt 
unuf der Hand, daß dieses eigenthümliche Verhältniß mancherlei 
Schwierigkeiten mit sich bringt und man drängt daher in Ungarn 
zuf eine offene Annexion der neuen Provinzen, dagegen meint man 
'n Oesterreich, daß eine Annexion die vorhandenen Schwierigkeiten 
aoch vergroͤßern würde, eine Ansicht, die nach mehr als einer Hin⸗ 
icht gerechtfertigt erscheint. 
Die internationale Friedensliga zu Genf hat zum 
leberfluß gleichfalls ihre Stimme in der französischen Wahlbewe— 
zung ertönen lassen. In einem phrasenhaften Aufruf fordert sie 
ie französischen Wähler auf, ihres hohen europäischen Berufes ein— 
zjedenk zu sein und für Erhaltung des Friedens zu sorgen. Gegen 
den Schluß kommt folgende schöne Stelle vor: „Gebt Elsaß und 
Lothringen nicht auf, niemals; aber keinen Krieg, keinen Krieg! 
Ihre Befreiung wird durch den Frieden erfolgen.“ „Befreiung“ 
st gut, „durch den Frieden“ noch besser. Wie sich übrigens die 
Friedensliga diese „Befreiung durch den Frieden“ denkt, hat sie 
nicht verrathen; wahrscheinlich hat sie sich bei der Phrase selbst 
nichts gedacht. 
Den Dingen in Frankreich wird von Seite der deutschen 
stegierung große Aufmerksamkeit zugewendet; der Botschafter Fürst 
hohenlohe, welcher erst auf Urlaub gehen wollte, hat die Weisung 
rhalten, während der Wahlen und der Manöver auf seinem Vo— 
ten zu verbleiben. 
Gambetta wies in einer Rede in Belleville die Behauptung 
urück, daß er eine Diktatur gewünscht, und entwickelte im Uebri— 
jen sein Programm. In der auswärtigen Politik müsse Frankreich 
ich vollkommen freie Hand bewahren, gleich gut mit Allen stehen 
ind auf der Hut sein gegen ehrgeizige Bestrebungen nach außen 
ind dynastische Bestrebungen im Innern. Der Tag werde erschei— 
jen, wo die aufgestelten Probleme durch das Völkerrecht und den 
Triumph des Friedensgeistes entschieden würden. „Ich hoffe, daß 
vir die getrennten Bruͤder einst kraft der Maiestät des Rechtes 
viedersehen!“ 
Vermischtes. 
— St. Ingbert, 16. Aug. An der in den Tagen 
vom 8. bis 11. August abgehaltenen Aufnahmsprüfung in das 
ath. Lehrerseminar in Speyer betheiligten sich 52 Schüler — 
18 Präparanden und 4 von anderen höheren Lehranstalten 
Bymnafien und Realschulen. — Die Prüfung bestanden 42; 10, 
parunter 6 Präparanden und 4 von anderen Anstalten, mußten 
als nicht befähigt zurückgewiesen werden. Die Aufnahmsprüfungen 
in das prot. Lehrerseminar in Kaiserslautern beginnt heute, den 
16. August. 
Gestern Nachmittag hatten sich in dem Becker' schen 
dokale, einer Einladung folgend, eine Anzahl junger Leute von 
hier versammelt, um die ersten Schritte zur Gruͤndung eines