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ur. 599.
Donunerstag, den 15 April. . 1869.
Der neue Eivilprocesi.
(Schluß.)
sehen von einzelnen Mißständen, die sich hüben, wie drüben
finden, nichts als eine Fori⸗ und Ausbildung des in der Pfalz
geltenden code de procédure, und der Pfälzer wird in Zukunft
jein Recht vor den Gerichten mindestens eben so schnell, in
zielen Fällen sogar schneller, wahrscheinlich auch bedeutend wohl—
eiler finden, als dies bisher der Fall war. Es ist keine Frage,
die Pfalz hat keine Reform ihres Processes verlangt und die
Pfalz hängt mit Recht an ihrer Gesetzgebung. Es ist auch keine
Frage, daß den Resulltaten der pfälzischen Rechtspflege gegenüber
und in Betracht, daß immerhin in Folge der Durabrechung des
zeschlossenen Rechtes der Pfalz Störungen in der Rechtsprechung
zu befürchten sind, die Einführung des neuen Gesetzes im ganzen
Umfange des Königsreichs mit Recht von der Pfalz angefochten
wird. Aber es ist auch keine Ftage, daß das neue Gesetz in
seiner jetzigen: Gestaltung die schlimmen Folgen nicht bringen
vird, welche größten Theils aus Unkenntniß davon besorgt werden.
Aber am allerwenigsten kann es eine Frage sein, daß die pfälzi—
schen Abgeordneten perpflichtet waren, Angcsichts der Lage
»ahin zu wirken und alle zulässigen Mittel in Bewegung zu
etzen, daß das neue Gesetz in jedem Falle die möglichst annehm—
dare Gestalt erhalte. Und wahrlich in dieser Beziehung ist Vieles
zeschehen. Es soll hier nicht auf eine Ktrritik und einen Vergleich
im Einzelnen eingegangen werden. Das verbieten Zrveck, Zeit
und Raum. Auf einige Punkte des Einführungsgesetzes hinzu—
weisen, wird aber doch am Platze sein. Nach diesem Einführ—
ungsgesetze, das man irrthümlich als den „Ausgleich“
bezeichnet hat, während nur einzelne Theile des angestrebten aber
nicht vollständig erreichten Ausgleichs darin enthalten sind, wird
der Pfalz die Geschlossenheit ihres Civilrechts in dem wesentlichsten
der gefährdeten Punkte in der Materie vom Beweis vollkommen
erhalten und damit die Gefahr entstehender Rechtsunsicherheit in
hrem Umfange beschränkt. Es werden für die Handelsgerichte
örmlich ernannte Handelsrichter aus dem Kaufmannsstande mit
Sitz und Stimme wie die rechtsgelehrten Richter beigezogen. Es
nird eine große Reihe von Formen und Fristen für verschiedene
Procedurarten auf eine dem Interesse der Partien entsprechende
Weise nach Maßgabe der in der Pfalz gemachten Erfahrungen
besser geregelt. Es wird der Pfalz ihre Besonderheit in den
nannigfachsten Beziehungen — Termine bei Zwangsversteigerungen,
Behandlung der Besitzstörungsklagen, Nachlaßvertheilung u. s. w.
— gewahrt; es wird das Recht der Wiederversteigerung bei
Nichtzahlung des Kaufpreises in sachgemäßer, einfacher und wohl—
feiler Weise gesetzlich festgestellt. Es wird die Wahl der Blätter
zei Einrückungen von Mündelgutversteigerungen ebenso wie bei
Zwangsveräußerungen den Betheiligten wieder anheimgegeben,
tud so weiter. Das reue Gesetz wird also neben mancher unwill⸗
ommenen Neuerung doch auch eine erhebliche Reihe zweifelloser
VBerbesserungen bringen und man wird von „verhängnißvollen
Folgen“ nicht sprechen dürfen. Sowie das Gesetz heute beschaffen
ist, wird dessen Einführung dem großen Publikum kaum besonders
nuffällig sein und nur den Juristen wird die Aufgabe zufallen,
sich behufs richtiger Anwendung, mit dem Gesetze recht dertraut
zu machen. Die Pfalz wird aber nicht mit Unrecht erwarten,
daß die den Juristen zufallende Aufgabe mit' Pflichttreu gelöst
verde. I —————
Hoffen wir also zum Schluß, daß wenn die Pfalz mit ihrem
immerhin berechtigten Verlangen nicht obsiegt, hoffen wir, statt
durch Streit und Anklagen die Lage zu verschlimmern, daß eine
umnsichtige Praxis die Rechtsprechung und deren Sicherheit recht
bald wieder in das gewohnte Geleise zurückoringe.
Fr. Adt, Alwens, Böcking, Dingler, Erter,
P. Gelbert, J. W. Jakob, Jordan, Kolb, Louis,
8assquay, Ph. Tillmann, Umbscheiden,
FSogt. (Bezino, Dr. Groß, Wolf augenblicklich abwesend).
Neuerdings macht man geltend, es solle das neue Gesetz als
ine Verfassungs-Verletzung angefochten werden. Ganz abgesehen
jon der Begründung eines solchen Einwandes und abgesehen von
der Frage, ob damit in der Sache selbst etwas gebessert werden
rönnte, darf doch billigerweise daran erinnert werden, daß eine
olche neue Haltung mit der Gesammthaltung der Pfalz seit
deginn der ganzen Frage in grellem Widerspruch steht. Als im
Jahre 1863 die Pfalz die Wahlen mit Rücksicht auf den kommen⸗
nen Cibilproceß vollzog, sprach man von keiner Seite ein Wort
»avon, daß die Pfalz und ihre Abgeordneten in dem neuen
Fivilproceß eine Verfassungs-Verletzung bekämpfen wollten; mau
zing vielmehr von der übereinstimmenden Annahme aus, daß
Abgeordnete zu wählen seien, durch deren Mitwirkung der neue
Proceß eine möglichst gute Gestalt erhalte. Als die pfälzische
lerichtliche Begutachtung des Entwurfs eingeholt wurde blieb auch
ede Andeutung fern, daß durch Einführung eines neuen Civil⸗
xrocesses in der Pfalz die Verfassung verletzt werde, als die
Hesetzesvorlage in die Kammer gebracht, und öffentlich besprochen
vurde, als dann die Wahl in den Ausschuß erfolgte und die
iffentliche Aufforderung zur Unterstützung bei der Ärbeit erging
- von keiner Seite wurde auch nur eine Silbe laut, daß ein
Attentat auf die Verfassung im Anzuge und abzuwehren sei, als
m Ausschusse von pfälzischer Seite nur unter Vorbehalt, je nach
er Gestaltung des Processes, für dessen Einführung in der Pfalz
zu stimmen, in die Berathung eingetreten wurde, fand dieses
Vorgehen in der Pfalz allgemeine Zustimmung; von der Forder⸗
ung wegen beabsichtigter Verfassungs-Verletzung die Theilnahme
ihzulehnen oder nur unter dem Vorbehalte späterer Geltendmachung
olchen Einwandes einzutreten, ist nie und nirgends etwas ver⸗—
autet. Auch Zusammenkünfte pfälzischer Juristen, der Landrath
»er Pfalz, die gesammte Presse, Niemand — gar Niemand —
yerfiel auf diese Einrede der Verfassungs-Verletzung; ja als vor
venig Wochen ganz dieselben energisch weitrufenden, vorwurfs⸗
ereiten Stimmen ihre Anschauung der Lage nach München ent⸗
endeten, war von Ahlehnung wegen Verfassungs-Verletzung nicht
rur keine Rede, sie blieben selbst in den Vorbedingungen der Ein⸗
ührung des Gesetzes weit hinter den Aufstellungen der Abgeord⸗
neten zurück. Und nun sucht man heute sich und Andere zu
iberreden, mit einem solchen Einwande gewappnet könne die
Fnergie der pfälzischen Abgeordneten das neue Gesetz abwenden!
Vährend man für das Interesse und die Selbstachtung der Pfalz
u kämpfen proclamirt, bringt man die Pfalz und ihre Abgeord-
jeten in eine Lage, welche nicht blos in moralischer Beziehung
zroße Interessen der Provinz gefährdet, man spricht selbst von
vstematischer Mißhandlung der Pfalz und sieht nicht, daß gerade
u diesem Augenblicke der bayerische Staats-Credit in anerkennens-
verther und wohlwollendster Weise von der k. Staatsregierung
ür pfälzische Interessen eingesetzt werden soll. Wenn aber die
fälzischen Abgeordneten an anderer Stelle und zur rechten Zeit
»ie Haltung des k. Staatsministeriums in der Civilproceßfrage
vekämpften, weil dies ihre Pflicht berlangte, so ist es der aus der
ffal; erhobenen Beschuldigung gegenüber ein Gebot der Gerech—
igkeit, anzuerkennen, daß das jetzige Staatsministerium die Lage
nicht geschaffen hat und daß bei seiner Beurtheilung doch auch
er Widerstand in Betracht gezogen werden muͤß, welcher es im
Falle einer der Pfalz in dieser Frage entgegeukommenden Haltung
Jei der rechtsrheinischen Majorität gefunden hätte.
Nun droht man gar mit „verhängnißvollen“ Folgen, welche
zus der Einführung des neuen Processes entspringen sollen! Es
vird bezweifelt werden dürfen, daß wer also spricht, das neue
Hesetz auch nur oberflächlich kennt. Das neue Gesetz beruht genau
uuf denselben Principien, welche dem in der Pfalz gelienden
hesetze zu Grunde liegen. Ja es ist nach der Gestalt, welche es
urch das Einführungsgesetz angenommen, im Ganzen und abge⸗